Der Mensch, sagt Milan, muss einfach angemessenen Respekt zeigen und ein gutes Benehmen an den Tag legen. Als der 72-Jährige unlängst einen Braunbären traf, habe sich das Tier sich auf seine zwei Hinterbeine gestellt, erzählt der Landwirt einer Radiostation, dann habe das Tier sein Maul aufgerissen und die Zähne gezeigt. "Und dann habe ich verstanden, wer von uns beiden der Gescheitere ist. Ich habe ihm zugewunken." Dann, sagt Milan, sei das Tier Richtung Milenkići gegangen – "und ich Richtung Rastište".

Anders als hierzulande leben in den urigen bosnischen Wäldern bis heute viele Braunbären. Von den breitschultrigen Tieren mit dem mächtigen, aber gleichzeitig tapsigen Gang gibt es unzählige Geschichten und Youtube-Videos, wie sie in Mülltonnen hineinklettern, mit Leitkegeln am Straßenrand spielen oder vorbeifahrende Autos betatzen. Im Krieg Anfang der 1990er-Jahre flüchtete ein bosnischer Braunbär sogar bis nach Italien.

Wilderei unter Bauern

Im bosnischen Landesteil Republika Srpska darf man Bären von 1. Oktober bis 15. Mai jagen. Es gebe aber auch Wilderei, und manche Bauern würden das "Gesetz selbst in die Hand nehmen", wie Jovica Sjeničić von der Gesellschaft für Biodiversitätsforschung und -schutz in Banja Luka erzählt. Etwa wenn sie sich ärgerten, weil ein Bär viele Schafe reiße. "Entweder ist diesen Leuten nicht bekannt, dass man für Bärenschäden Geld bekommen kann, oder die Entschädigung kommt ihnen nicht schnell genug."

Ab und zu bekommt man auf Berghütten jedenfalls getrocknetes Bärenfleisch angeboten. Doch generell blickt man auf dem Balkan zu den prächtigen Tieren auf. Im Nebeneinander von Bär und Mensch gibt es keine Zweifel an der Rangordnung. Wenn man in die Wälder geht, pfeift man am besten laut vor sich hin, damit die Bären wissen, dass man da ist, aber Abstand sucht.

Zuweilen sind sie noch immer eine Touristenattraktion und werden in Restaurants vorgeführt. Im Kosovo gibt es aber mittlerweile eine Bärenrettungsstation für gestohlene Wildtiere.
Foto: EPA / Valdrin Xhemaj

Es gibt ein paar Ausnahmen. Maša zum Beispiel, eine Bärin, die als Waisenkind domestiziert wurde und mit der man sich balgen kann wie mit einem Hund. Eine zugespitzte Diskussion wie in Mitteleuropa, wo das Zusammenleben von Bär und Mensch zurzeit zu einer Entweder-oder-Frage gemacht wird, gibt es in Südosteuropa nicht. Denn auf dem Balkan gibt es viel essenziellere Alltagsherausforderungen – und auch nicht so viele Sportler, die ihrem Hobby in der wilden Natur frönen.

Dennoch gehört auch der bosnische Braunbär – ein strikter Vegetarier, was manche wundert – zu den gefährdeten Wildtieren. Die Population wird auf 600 bis 700 Tiere geschätzt. In der Republika Srpska gibt es mittlerweile ein Interventionsteam für Bären, das auch für Luchse und Wölfe da ist. Auch ein Managementplan für Braunbären wurde entwickelt, der erste in einem europäischen Nicht-EU-Staat.

Bärenlebensraum

Probleme gebe es immer dann, wenn die Menschen in die Bärenlebensräume eindrängen, etwa beim Schwammerlsuchen, Jagen oder Wandern, erklärt Sjeničić. Ein heikles Thema – räumt der Forscher ein – seien ungeschütztes Vieh und die Bienenstöcke. In der Herzegowina habe etwa ein Bär dreißig Bienenstöcke geplündert und 40 Kilo Honig vernascht. Und von dem Hirten Dušan Sikimić ist überliefert, dass er, "sobald er einen Bären am Horizont sah", nach Hause nach Ljubomišlje gesaust sei und seiner Familie gesagt habe: Es ist besser, ein Schaf stirbt, als ich sterbe.

Amina Hrković von der Universität für Veterinärmedizin in Sarajevo erzählt, dass Bären häufiger wegen des Klimawandels auf Nahrungssuche aus den Bergen in besiedelte Gebiete absteigen, wo sie großen wirtschaftlichen Schaden anrichten würden. Wichtig sei die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten, weil Bären keine Staatsgrenzen kennen. Es fehle aber an gesetzlichen Regulierungen und Hilfseinrichtungen für verletzte Tiere. "Die Menschen auf dem Balkan leben seit Tausenden von Jahren Seite an Seite mit den Bären", betont sie die balkanischen Traditionen. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 22.4.2023)