Das Aufnahmezentrum Lipa wurde mit EU-Geld, aber auch beträchtlichen Mitteln aus Österreich errichtet.

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Die Perspektive auf das Lager in Lipa und auf die Situation der Migranten in Bosnien-Herzegowina ist aus bosnischer Perspektive völlig anders als aus österreichischer. Immer wenn österreichische Politiker und Politikerinnen nach Sarajevo kommen, sprechen sie hauptsächlich über Migration und die Balkanroute.

Kanzler Karl Nehammer geht es dann meistens darum, die "irreguläre Migration" zu stoppen, während die Grün-Politikerin Ewa Ernst-Dziedzic das Narrativ der NGO SOS Balkanroute übernimmt. Viele Bosnier und Bosnierinnen können diese österreichische Positionen nicht nachvollziehen, weil Migration im Land selbst kaum ein Thema ist und es in Bosnien-Herzegowina viel größere Herausforderungen gibt.

Auf Anfrage des STANDARD hat nun die EU-Delegation in Sarajevo, die das Aufnahmezentrum in Lipa zum Großteil finanzierte, eine Stellungnahme abgegeben. Im Lager bei Bihać finden Migranten und Flüchtlinge nicht nur Unterkunft, Verpflegung und ärztliche Versorgung, es wird auch ihr Aufenthaltsstatus bewertet und ihre Identität beim Betreten und Verlassen des Zentrums überprüft.

Das Lager kann etwa 1.500 Flüchtlinge und Migranten aufnehmen und wird vom bosnischen Sicherheitsministerium verwaltet. "Es wird im Einklang mit internationalen Standards und dem EU-Recht auch die Möglichkeit bieten, in bestimmten Fällen Freizügigkeitsbeschränkungen und Haftmaßnahmen einzuführen", erklärt die EU-Delegation zur aktuellen Debatte um die Hafteinheit, die in Lipa gebaut wurde.

Im Einklang mit internationalen Normen

Bisher wurde die Hafteinheit, die vom ICMPD errichtet wurde, noch nicht in Betrieb genommen. Deshalb war auch noch kein einziger Migrant in den Containern der Einheit. In Zukunft können jene Personen, die gegen das Strafrecht verstoßen haben, die als Gefährder gelten oder die in ihre Heimatstaaten zurückgeführt werden sollen, höchstens 72 Stunden darin festgehalten werden.

"Eine wirksame und humane Rückkehrpolitik für diejenigen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz haben, ist von wesentlicher Bedeutung, um sicherzustellen, dass die Anträge der Anspruchsberechtigten zeitnah geprüft werden können, und für die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Asylsystem", heißt es dazu vonseiten der EU-Delegation. Die neue Hafteinrichtung in Lipa sei im Einklang mit internationalen Normen konzipiert worden. Es handelt sich um eine separate, vollständig freistehende Einrichtung mit einem Eingang und einem Korridor.

Von Lipa aus zum "Game"

Die Hafteinheit wurde deshalb gebaut, weil es bislang nur im Einwanderungszentrum in Lukavica in Ost-Sarajevo eine solche Einrichtung gibt. Lipa kann man von Sarajevo aus jedoch nur nach vielen Stunden Autofahrt erreichen. Für die Behörden ist es deshalb schwierig, Migranten, die festgehalten werden müssen, jederzeit in Lipa abzuholen. Deshalb brauchte man auch in Lipa eine Hafteinheit. Es handelt sich aber bei Lipa nicht um ein Abschiebezentrum, wie dies die NGO SOS Balkanroute behauptet hatte.

Das Lager selbst, das 2021 nach einem Brand ganz neu gebaut wurde, wird von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geleitet. Von Lipa aus gehen die Migranten zum sogenannten Game, so bezeichnen sie den Versuch, von Bosnien-Herzegowina aus in der Nacht durch die Wälder nach Kroatien zu gelangen.

140 Millionen Euro aus der EU

Die EU hat seit 2018 über 140 Millionen Euro bereitgestellt, um das Migrationsmanagement von Bosnien und Herzegowina zu stärken. Im Winter 2020 war es zu einer humanitären Krise gekommen, weil es durch den Brand in Lipa kaum Unterkünfte für Migranten – meist junge Männer aus Pakistan und Afghanistan – gab. Seit es das neue Lager in Lipa gibt, sind ausreichend Unterkünfte und Versorgung vorhanden.

Zurzeit ist die Aufenthaltsdauer der Migranten in Bosnien-Herzegowina – sie sehen das Land nur als Zwischenstation auf ihrem Weg in die EU – relativ gering. Dies bedeutet, dass es nun nach dem Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum für die Migranten offensichtlich leichter geworden ist, über die Grenze zu kommen. Vor ein, zwei Jahren konnte man immer wieder Migranten treffen, die erzählten, dass sie dreißig, vierzig Mal versucht hatten, nach Kroatien zu gelangen.

Änderung der kroatischen Vorgangsweise

Immer wieder berichteten sie auch darüber, dass sie von kroatischen Beamten geschlagen wurden und ohne reguläre Verfahren wieder nach Bosnien-Herzegowina zurückgebracht wurden. Nun hat Kroatien offenbar seine Vorgangsweise diesbezüglich geändert. In jüngster Zeit wurden Migranten immer wieder aufgrund von bilateralen Abkommen von Kroatien aus nach Bosnien-Herzegowina zurückgebracht.

Dies ist den kroatischen Behörden allerdings nur dann möglich, wenn sie beweisen können, dass sich die Migranten zuvor in Bosnien-Herzegowina aufgehalten haben. Wenn sie bei den Migranten etwa die sogenannten Weißen Papiere finden, die in Bosnien-Herzegowina ausgestellt wurden, können sie sie zurückschicken. Mit der Unterzeichnung der Weißen Papiere geben die Migranten an, in Bosnien-Herzegowina um Asyl ansuchen zu wollen – was sie dann aber nicht tun, wodurch sie aber zwei Wochen legal im Land bleiben dürfen. Die Rücknahme Hunderter anderer Migranten aus Kroatien, bei denen solche Beweise nicht gefunden wurden, wurde in jüngster Zeit allerdings von den bosnischen Behörden verweigert.

Reguläre Rücksendung statt Zurückprügeln

Die reguläre Rücksendung von Migranten aus Kroatien nach Bosnien-Herzegowina ist in rechtsstaatlicher Hinsicht ein Fortschritt, zumal die Migranten in diesem Fall auch nicht "zurückgeprügelt" werden. Die Rücksendung der Migranten aus Kroatien führt nicht dazu, dass sie danach aus Bosnien-Herzegowina abgeschoben werden. Denn die Abschiebung aus Bosnien-Herzegowina ist sehr schwierig und bedarf eigener Verfahren. Es gibt kaum bilaterale Abkommen, die das ermöglichen, nur mit Pakistan konnte so ein Abkommen abgeschlossen werden.

Seit 2022 wurden insgesamt neun Personen von Bosnien-Herzegowina in ihre Heimatländer zurückgebracht. Darunter waren zwei Pakistaner, vier Marokkaner und drei Personen aus Bangladesch.

Konkurrenz zwischen IOM und ICMPD

Hinter der Debatte um Lipa steckt möglicherweise auch das Konkurrenzverhältnis zwischen der IOM und dem ICMPD. Denn die IOM, die das gesamte Lager Lipa aufbaute und leitet, war nicht damit einverstanden, dass das ICMPD von der EU den Zuschlag für die Hafteinheit bekam. Man wollte sich sozusagen nicht die Konkurrenzorganisation ins Haus holen. Die IOM suchte deshalb die Unterstützung von NGOs, und es wurde ein Brief versandt, der auch an die EU gerichtet war. Allerdings war von Anfang klar, dass es im Aufnahmezentrum Lipa eine Hafteinheit geben würde, weil dies den Bedingungen der EU entsprach. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 26.4.2023)