Elon Musks Launen richteten Chaos auf Twitter an. Der Milliardär postet mehr oder weniger lustige Memes.

Foto: DADO RUVIC, Reuters

Zu behaupten, Elon Musk habe seit seiner Twitter-Übernahme im Herbst des Vorjahres für "Unruhe" auf der Plattform gesorgt, wäre eine maßlose Untertreibung. Doch die jüngste Laune des Tech-Milliardärs stürzt seinen Kurznachrichtendienst vollends ins Chaos. Doch der Reihe nach.

VIDEO: Elon Musks Twitter-Übernahme, ein Drama in sechs Akten.
DER STANDARD

Will man die Ereignisse der vergangenen Tage auf Twitter nachverfolgen, fängt man am besten im Herbst 2022 mit einem Tweet von Stephen King an. Darin kritisierte der Autor Musks Pläne, für den blauen Verifizierungshaken eine Gebühr von 20 Dollar im Monat zu verlangen. Diese Markierung sollte eigentlich die Identität von Prominenten, Sportlern, Politikern und anderen im öffentlichen Leben stehenden Personen einigermaßen zweifelsfrei nachweisen.

Musk gegen King

Doch Elon Musk hielt das kostenlose System für "korrupt". Jeder sollte sich den Haken kaufen können, argumentierte der Milliardär einmal mehr mit seinem Verständnis von Meinungsfreiheit. Er ließ sich daraufhin auf einen Schlagabtausch mit Stephen King ein und senkte als "Kompromiss" den Preis von 20 auf acht Dollar im Monat. Von der Debatte blieb, dass King einen günstigeren Preis für die Twitter-Userinnen und -User herausgehandelt hatte, obwohl das nie seine Absicht war. King wurde von Musk getrollt.

Musk begann schließlich, seinen Plan umzusetzen, und machte das Verifizierungshakerl käuflich. Es dauerte nicht lange, und Scam- und Fake-Accounts mit dem blauen Logo tauchten auf. Zeitweise war auch ein zusätzliches graues Häkchen für bisherige Inhaber verifizierter Accounts geplant, und ein goldenes Häkchen sollte schließlich Unternehmen kennzeichnen. All das Chaos wurde von Musk zuerst verursacht und dann von ihm wieder gestoppt.

Neuerlicher Anlauf

Jetzt, fünf Monate später, versucht es Musk erneut: Am vergangenen Donnerstag verschwanden schließlich nach und nach die weißen Haken auf blauem Grund neben den Namen von Prominenten wie Bill Gates, Justin Bieber, Katy Perry und Lady Gaga. Selbst Twitter-Gründer und Ex CEO Jack Dorsey musste ohne sein Hakerl auskommen. Auch der Papst blieb nicht von Musks Verifizierungskahlschlag verschont, den das US-Magazin "Techcrunch" "The Great Unchecking" taufte.

Doch wenige Stunden später bemerkten einige Promis, dass der blaue Haken neben ihrem Namen plötzlich wieder zurück war. Das Problem: Die Mehrheit wollte diesen nicht mehr zurück, denn das hätte bedeutet, sie würden Musk acht Dollar im Monat für den Abodienst "Twitter Blue" bezahlen.

Erneut war es Stephen King, der sich wehrte: "Mein Account sagt, ich hätte Twitter Blue abonniert. Das habe ich nicht. Mein Account sagt, ich hätte Twitter meine Telefonnummer gegeben. Das habe ich nicht." Doch der US-Autor war nicht der Einzige: Auch Basketballstar LeBron James hatte plötzlich sein Verifizierungssymbol wieder, obwohl er mehrfach erklärt hatte, sicher nicht für Twitter zu bezahlen.

Musk bezahlt die Gebühr für manche

Musk selbst mischte sich ein und trug zur Aufklärung bei: Er selbst bezahle die Abogebühren für die Accounts mancher Prominenter, so der Milliardär. Das wiederum führte dazu, dass diese öffentlich die Entfernung des Häkchens von ihren Profilen forderten, weil sie nicht in Verdacht geraten wollten, für Musks Chaos Geld zu bezahlen. Wie schon im November dauerte es nur wenige Stunden, bis erneut Spam- und Fake-Accounts in Massen auftauchten – von der falschen New Yorker Stadtverwaltung bis zum Krypto-Scam.

"Für regelmäßige Nutzer können die Haken nun als umgekehrtes Zeichen für die Integrität eines Kontos dienen – das Zeichen von Krypto-Betrügern und Musk-Akolythen, nicht von Journalisten und Prominenten. In der Praxis ist es jetzt schon viel schwieriger zu erkennen, welche Informationen auf der Plattform relevant oder nützlich sind, als es noch vor ein paar Stunden der Fall war", urteilt man bei "Techcrunch".

Echte Tote

Ganz so handverlesen, wie es Musk darstellt, dürfte die Liste der unfreiwillig Verifizierten dann aber doch wieder nicht sein. Wie sich herausstellt, wurden einfach viele Konten mit mehr als einer Million Followern mit dem blauen Häkchen versehen.

Diese Vorgehensweise hat reichlich makabre Konsequenzen. So wurden in diesem Zuge die Konten von einigen Prominenten "verifiziert", die etwas eint: Sie sind allesamt nicht mehr am Leben. Darunter der Schauspieler Chadwick Boseman, Basketballlegende Kobe Bryant oder Koch Anthony Bourdain, der nicht zuletzt für seine Reisedokumentationen bekannt war.

Mord

Doch es gibt auch einen Fall, bei dem dieses Vorgehen von "makaber" in wirklich "geschmacklos" übergeht. So wurde das Konto des Journalisten Jamal Khashoggi mit dem Twitter-Blue-Haken versehen. Khashoggi wurde im Jahr 2018 auf grausamste Weise im Auftrag der saudischen Regierung ermordet. Unter den 15 Tätern fanden sich sieben Mitglieder aus der Elite-Personenschutzeinheit des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.

"Makaber" ist das aber auch deswegen, weil es an etwas erinnert, worüber in der Techbranche nicht so gerne gesprochen wird: wie wichtig die Rolle von Saudi-Arabien als Investor mittlerweile ist. So ist der saudische Prinz Alwaleed bin Talal denn auch einer der größten Investoren hinter Twitter.

Auch der graue Haken ist wieder da

Damit nicht genug, scheinen nun bei manchen Prominenten die eigentlich abgeschafften grauen Verifizierungshaken wieder aufzutauchen. Diese sollen nun signalisieren, dass es sich um die echte Person handelt, diese aber nicht für Twitter Blue bezahlt. Zumindest haben die Konten des Pontifex und von US-Präsident Joe Biden nun das neue Symbol.

Auch für Unternehmen sollte das Blue-Abo verpflichtend werden, denn nur so können sie Werbung auf Twitter schalten. Mehrere Twitter-Nutzer haben Screenshots einer E-Mail gepostet, die angeblich von Twitter verschickt wurde. Darin heißt es, dass ab dem 21. April verifizierte Häkchen erforderlich sind, um weiterhin Anzeigen auf der Plattform zu schalten.

Der Papst hat jetzt einen grauen Haken.
Foto: Screenshot Twitter

"Diese Änderung steht im Einklang mit der breiteren Verifizierungsstrategie von Twitter. (...) Dieser Ansatz unterstützt auch unsere laufenden Bemühungen, betrügerische Accounts und Bots zu reduzieren", hieß es da.

Propagandakanäle werden nicht mehr markiert

In all der Aufregung ging eine weitere Änderung bei Twitter beinahe unter: Von vielen Falschmeldungen verbreitenden Kanälen wurde der Warnhinweis entfernt. So sind Russia Today, die russische Nachrichtenagentur Tass und Sputnik-News nicht mehr als staatliche Propagandakanäle gekennzeichnet.

Elon Musk selbst scheint das alles nicht zu stören: Er hat neben seinem Twitter-Blue-Haken nun auch ein Symbol in seinem Profil, das ihn als Chef von Twitter ausweist. Das Chaos der letzten Tage quittierte er wie üblich mit einem mehr oder weniger lustigen Meme. (pez, apo, 24.4.2023)