Gerade von der Medienpolitik wurde bei der Vorbereitung auf die Digitalisierung Entscheidendes versäumt, schreibt der Medienforscher Peter A. Bruck in seinem Gastkommentar.
Die eruptiven Manifestationen der einvernehmlichen Kündigung einer ganzen Redaktion durch die zweitauflagenstärkste Zeitung des Landes, die Grazer Kleine Zeitung, und des Abbaus von mehr als zehn Prozent der Journalistinnen und Journalisten für die drittstärkste Zeitung, den Wiener Kurier, mögen zwar in ihrer Dramatik überraschen, aber die Entwicklungsdynamiken sind der Branche seit drei Jahrzehnten bekannt.
Schon 1989 hat der Verband der Zeitungsherausgeber und Verleger (VÖZ) danach gefragt, welche Mittel und Strategien Zeitungsverlage wählen müssten, um sich im medialen Wettbewerb des elektronischen Publizierens zu behaupten. Die Antworten wurden in dem dreijährigen Forschungsprogramm "Ökonomie und Zukunft der Printmedien" von 53 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern unter meiner Leitung erarbeitet.
Trotz 30 Jahre Vorausschau zur Digitalisierung hagelt es hier und heute im April 2023 Negativmeldungen, entstehen für Tageszeitungen Untergangsszenarien, werden vielerorts Hilf- und Kopflosigkeit im Medienmanagement gezeigt. Wieso? Warum? Zumindest vier Entwicklungen sind hier anzuführen.
Das Nichtweiterentwickeln in der notwendigen Radikalität und Innovationsentschlossenheit ist den hiesigen Verlagen weitestgehend selbst anzulasten. Im Digitalen altern Geschäftsmodelle schnell bis zum Tod. Businessmodelle für das digitale Publizieren mit einem Aufbau einer starken Onlinecommunity mit einer hohen Interaktion mit Leserinnen und Lesern wurden in Österreich vorrangig vom STANDARD umgesetzt.
"Always on"
Der zweite Faktor der Mobilrevolution war in den 1990er-Jahren nicht zu erkennen. Die täglichen Praktiken des Lesens haben sich grundlegend geändert, Stichwort "always on". Die gerade anlaufende VÖZ-Kampagne "Du bist, was du liest" greift hier zu kurz, wenn nicht gar daneben. "Du bist, womit du liest" müsste es heißen, denn das Papier hat seine Rolle als vertrauter Informationsträger verloren. Jeder Verlag muss seine papierbasierenden Produkte von den Nutzungspraxen seiner Kundinnen und Kunden her wesentlich neu konzipieren.
Ein dritter Faktor besteht in der globalen Vernichtung der Anzeigenmärkte durch die digitalen Funktionsmonopolisten aus dem Silicon Valley. Werbeeinnahmen wurden und werden von Google, Apple, Facebook und Amazon in einer Weise aufgesaugt, die allen Massenmedien wirtschaftlich den Boden entzieht. Zwei Jahrzehnte passierte dies jenseits jeglicher Kontrolle und Regulierung. Das Abschrumpfen der Anzeigenerlöse ist bei den Zeitungsverlagen am massivsten, bei TV und Radio aber ähnlich transformativ. Dazu kommt noch das eklatante Ungleichgewicht in den staatlichen Auflagen. Erst in den letzten Jahren wurde dank EU ein notwendiger Paradigmenwechsel begonnen. Hier müsste viel härter zugegriffen und die Digitalsteuern gerade für den Erhalt der publizistischen Vielfalt zweckgewidmet werden.
Als vierter Faktor haben sich Social Media als dominierender Kommunikationskanal entwickelt. Instagram, Snapchat, Tinder und Tiktok übertreffen noch Facebook, Youtube, Flickr, Myspace: Sie alle konkurrieren mit Verlagen um die Aufmerksamkeit ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Die global verfügbaren Bild- und Videoinhalte werden von den Nutzerinnen und Nutzern selbst generiert, sind augenblicklich verfügbar und werden von Algorithmen trickreich personalisiert vorgelegt. Das geht zulasten des Aufmerksamkeitspotenzials für "langsamere" Medien wie Print.
Teuerung abfangen
Diese Faktoren lassen sich nicht durch Kündigungen und radikaleren Personalabbau managen. Im Gegenteil. Dadurch verlieren die Zeitungen eines ihrer entscheidenden Assets: professionelle, originelle, vertrauenswürdige Inhalte. Dies passiert just zu dem Zeitpunkt, an dem die Qualität von Inhalten wieder viel stärker, ja existenziell nachgefragt wird. Denn Fake News, Hasspostings und systematische Desinformation missbrauchen die digitale Info-Intimität. Social Media spalten Gesellschaften und zerstören demokratische Prozesse und Legitimation.
Gegenwärtig setzen die europäische und auch die nationale Politik an, die globalen Digi-Tech-Konzerne einzufangen, ihnen Steuern abzunehmen, ihren Datenraub zu verbieten, sie für ihr Tun und Wirken zur Verantwortung zu ziehen. Damit muss die Weiterentwicklung der Finanzierungsmodelle traditioneller Medienhäuser unweigerlich einhergehen.
Dem haben jedoch viele Bundesregierungen und Wiener Stadtregierungen der letzten zwei Jahrzehnte massiv mit ihrer Inseratenkorruption zuwidergearbeitet. Herausgekommen ist ein Schaden für alle: immense Verluste an Vertrauen und Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft gegenüber der Politik, den Zeitungsmachern, Journalistinnen und Journalisten, und vor allem gegenüber den Möglichkeiten, die digitale Zukunft informationsmäßig positiv gestalten zu können.
Es müsste nicht so sein. Eine Investition der Mittel der Inseratenkorruption in Medienträgerinnovation würde es dem gleichtun, wozu die Presseförderung vor knapp 40 Jahren eingerichtet wurde. Damals ging es um das Abfedern der eben eingeführten Mehrwertsteuer für Tageszeitungen. Heute ginge es um das Abfangen des Teuerungssprungs von Energie und Papier. Gehandelt müsste sofort werden. Das haben die Geschehnisse bei Kleiner Zeitung und Kurier in den letzten Tagen einmal mehr verdeutlicht. (Peter A. Bruck, 24.4.2023)