Endlich Schluss machen mit lästigen Mäusekönigen! V. li.: Cassiano Rodrigues, Gala Lara und Annachiara Corti im Landestheater Salzburg.

Foto: Löffelberger

Damals, 1892 in St. Petersburg, wurden Jolanthe und Der Nussknacker an einem Abend uraufgeführt. Der Operneinakter war ein Triumph für Tschaikowski, das Ballett ist durchgefallen. Heute steht Nussknacker so verlässlich auf den Spielplänen wie das Christkind im Kalender, während Jolanthe ein Schattendasein fristet. Der Doppelabend, wie von Mariinski-Theater und Tschaikowski vorgesehen, kommt ohnehin kaum vor.

Das Salzburger Landestheater hat Oper und Ballett zu einem so opulenten wie delikaten Tschaikowski-Abend verwoben: Teile der Oper umrahmen jeweils die beiden Akte des Balletts. Die blinde Königstochter Jolanthe weiß nichts von "Blindheit". Der Vater hat bei Todesstrafe verboten, ihr zu sagen, dass "Augen nicht nur zum Weinen" da sind. Liebevoll betreut aufgewachsen, spürt die in ihrem Gartenparadies Eingesperrte immer stärker, dass etwas nicht stimmt. Dieses Unwohlsein schlägt sich in wirren Träumen nieder. In diesen kämpfen Nussknacker und Mausekönig, tanzen Harlekin und Columbina, Mäuse und Küchenpersonal.

Im Landestheater verschmelzen die Choreographie von Ballettdirektor Reginaldo Oliveira und die Inszenierung von Thomas Mika, der auch für Bühne und Kostüme zeichnet, überzeugend zu einem einzigen Werk von großer psychologischer Tiefe. Die Wechsel zwischen Realität und Traum erfordern nur wenige Handgriffe und ein paar Requisiten in Weiß und ganz wenig Gold.

Die Sängerin der Jolanthe, Tatev Baroyan, und die Tänzerin der Marie, Larissa Mota, sind fast immer gemeinsam auf der Bühne, und sie sind einander in Gestalt und Anmut sehr ähnlich. Ein Glücksfall für dieses Konzept. Die Jolanthe der Realität "rettet" den unbekannten Ritter, der ihr, gegen das Verbot des Vaters, vom Licht erzählt hat. Die Marie des Traums greift siegreich an der Seite des Nussknackers in den Krieg gegen den Mäuskönig ein.

Moderne Moves

Gleichwertig brillant sind die jeweils sängerischen und tänzerischen Leistungen aller Beteiligten. Der "Doppelrolle" Jolanthe-Marie steht die "Doppelpartie" Vaudémont-Nussknacker gegenüber. Strahlend helle "Lichtfiguren" beide: Tenor Luke Sinclair und Kammertänzer Flavio Salamanka. Der Bassist Per Bach Nissen als König René hat kein tanzendes Alter Ego: Er liefert profunde Tiefe und tiefe Menschlichkeit. Auch die kleineren Partien sind überzeugend besetzt, Samuel Pantcheff etwa als maurischer Arzt Ibn-Hakia oder Mona Akinola als Amme Martha. Das gleiche gilt für das Ballett-Ensemble, das natürlich viel mehr "Personal" zu stellen hat. Als Harlekin und Mäusekönig begeistert Ben van Beelen, als Colombina und Zweispitz die fulminante Chigusa Fujiyoshi. "Klassisches" Figurenwerk geht in der Choreographie von Reginaldo Oliveira immer wieder mit leichten Füßen über in moderne Moves, denen man gespannt folgt.

Musikdirektor Leslie Suganandarajah (Mozarteumorchester) hält den federleichten oder auch bizarren Tschaikowski-Sound mit profunder Klangmacht in perfekter Balance. Ein wunderschöner Abend. (Heidemarie Klabacher, 23.4.2023)