Es gehört nicht viel Fantasie dazu, im bald 59-jährigen Mario Traxl den Radsportler von einst zu sehen. In einem Café in der Wiener Innenstadt lässt der Sieger von nahezu hundert Rennen die Komplimente für sein blendendes Aussehen mit einem Lächeln abperlen. "Ich bin froh, dass ich jetzt graue Haare bekomme", sagt der Tiroler. Er steht ungern im Verdacht, aus Eitelkeit zur Farbe zu greifen.

Das Lob für seine immer noch sportliche Figur kontert Traxl mit nackten Zahlen. Das Renngewicht von einst überschreite er deutlich. Rund 74 Kilogramm waren das auf 1,82 Meter Größe – ein Hinweis auf die Spezialität des Radsportlers, der 1994 in Schwanenstadt mit dem Gewinn seines zweiten Meistertitels im Straßenrennen einen geradezu idealen Karriereabschluss hatte.

Geschenkter Esel

Mario Traxl war trotz seiner Herkunft aus Flirsch am Fuß des Arlbergs ein Sprinter, einer der schnellsten seiner Zeit, egal ob Amateure oder Profis, die seinerzeit noch in getrennten Welten fuhren. Der Weg in den Radsport begann mit einer Enttäuschung für den elfjährigen Burschen, der nicht die erhofften Skier, sondern eben ein Rad geschenkt bekam. Schuld war neben Vater Rudolf dessen Schwager Walter Falch. Der prägte in seiner Funktion als sportlicher Leiter des Vereins Innsbrucker Schwalben den Tiroler Radsport wie kaum ein anderer. Neffe Mario Traxl wurde eines der Aushängeschilder der Schwalben, obwohl er wohl auch als Skifahrer reüssiert hätte. Einige Jahre vor Mario Matt war er diesbezüglich ein Hoffnungsträger am Arlberg.

8. Juni 1993, Kundl: Mario Traxl feiert im Herbst seiner Karriere den vierten Tagessieg bei einer Österreich-Rundfahrt.
Foto: Klaus Titzer / picturedesk.com

Wie der spätere Slalomolympiasieger Matt wurde auch Traxl zuweilen als Adler vom Arlberg tituliert. Zumal er seine Qualitäten öfter ausspielen konnte, als es Radsportlern gegenwärtig auf nationaler Ebene vergönnt ist. Bis zu 85 Rennen fuhr Traxl im Jahr, darunter Klassiker, die es in dieser Form nicht mehr gibt: Wien–Eisenstadt–Wien, Wien–Gresten–Wien, Laßnitzhöhe, Lavanttaler und Schwarzataler Radsporttage, Kirschblütenrennen. Und natürlich Rundfahrten. Traxl feierte bei der Österreich-Rundfahrt, dem alljährlichen Saisonhöhepunkt, vier Etappensiege. 1988, an seinem 24. Geburtstag, und 1989 triumphierte er im Dress der österreichischen Nationalmannschaft jeweils vor zehntausenden Zusehern in Innsbruck.

In seinem besten Jahr kamen 23 Siege zusammen. Das ergab neben den Vereinszuwendungen und den Einkünften als Heeressportler ein tadelloses Auskommen. Aussorgen konnte Traxl aber als Sportler nicht. Seit mehr als 25 Jahren wirkt der Einzelhandelskaufmann bei Ricoh, einem international tätigen Hersteller von u. a. Bürokommunikationssystemen.

Den bedeutendsten Erfolg als Sportler feierte Traxl ebenfalls in Rot-Weiß-Rot. 1987 fanden die Straßenweltmeisterschaften erstmals in Österreich statt. In Villach fuhr das Quartett von Bundestrainer Karol Madaj im Mannschaftszeitfahren der Amateure über 100 Kilometer zur Bronzemedaille – bis heute die einzige Dekoration für Österreichs Männer bei Straßenweltmeisterschaften.

Mit einem leichten Anflug von Grauen erinnert sich Traxl noch heute an Ausfahrten auf die Neunkirchner Allee, die mit ihren 16 schnurgeraden Kilometern optimale Trainingsbedingungen für Zeitfahren bietet. "Da sind wir auf und ab gefahren", quasi auch auf der Suche nach einem vierten Mann, der neben Helmut Wechselberger, Johann Lienhart und Traxl einem Schnitt von 50 km/h gewachsen war. Auf Wechselbergers Empfehlung kam noch der junge Bernhard Rassinger dazu. Österreichs Quartett – gewertet wurde die Zeit des jeweils dritten Mannes – musste sich bei der WM nur Italien und der Sowjetunion geschlagen geben.

Sabine und Mario Traxl haben fünf Enkelkinder.
Foto: Privat

Die Medaille hat er noch heute zu Hause in Münchendorf, aber Traxl, der gegen Ende seiner Karriere als Kapitän der unter wechselnden Sponsornamen fahrenden Innsbrucker Schwalben stets ein Auge auf Supertalent Georg Totschnig hatte, sammelt keine Devotionalien. Nur der Pokal für seinen zweiten Meistertitel hat einen Ehrenplatz – neben fünf Trophäen, die er bisher als Hobbygolfer sammelte.

Die Radsportkarriere, sagt Traxl, hätte kaum besser verlaufen können. Lediglich der Chance auf einen Etappensieg bei der Tour de France trauert er ein wenig nach. Die Beine hätte er gehabt, wie Siege gegen spätere Touretappengewinner wie den Deutschen Olaf Ludwig bewiesen. Traxl war nur eine Saison lang Profi – in Paul Popps Varta-Team. Längerfristige Engagements lehnte er nach Bronze im Vierer und Rang 14 im Straßenrennen der WM 1987 ab. Auch weil seine Frau Sabine, mit der er seit 1989 verheiratet ist, damals ihr erstes Kind erwartete. Heute schätzt sich Traxl fast glücklich, nicht einer Profiszene angehört zu haben, die nach und nach in Dopingskandalen versank.

Auf dem Rad sitzt der Vater zweier Töchter und fünffache Großvater, der die Namen seiner Enkel als Tattoo auf dem linken Unterarm trägt, nur noch der Gesundheit wegen. Sie ist ihm noch kostbarer, nachdem er im Oktober 2020 einen Schlaganfall infolge eines winzigen Lochs im Herzen ohne bleibende Schäden überstand. Sabine deutete damals die Symptome – allen voran vorübergehender Sprachverlust – goldrichtig. Mag sein, dass Traxl diese Erfahrung die paar grauen Haare beschert hat, die ihm heute den Verdacht auf Eitelkeit ersparen. (Sigi Lützow, 25.4.2023)