Sophie Karmasin war von 2013 bis 2017 Familienministerin.

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Es ist für Sophie Karmasin die wohl wichtigste Umfrage, an der sie je beteiligt war: Ist die ehemalige Familienministerin schuldig oder nicht? Das Sample: ein Berufsrichter und zwei Schöffen. Der Befragungszeitraum: ab 25. April.

Die einstige Meinungsforscherin ist die erste prominente Person aus dem Dunstkreis der ÖVP, der infolge der Ibiza-Ermittlungen der Prozess gemacht wird. Der Weg von der Baleareninsel zu Karmasin ist ein langer, er hat die Republik die vergangenen vier Jahren in Atem gehalten. Was bei Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und einem vermuteten Deal zwischen Politik und Glücksspielbranche begann, endete über die sichergestellten Chats von Thomas Schmid – vorerst – bei Sebastian Kurz’ ÖVP und womöglich gekaufter Medienberichterstattung.

Da spielt auch Karmasin eine zentrale Rolle: Die Demoskopin war Ende 2013 vom damaligen ÖVP-Chef und Kurz-Mentor Michael Spindelegger als Familienministerin geholt worden. Noch während ihrer Amtszeit soll sie am Aufstieg ihres Ministerkollegen Sebastian Kurz zum Parteiobmann und Spitzenkandidaten mitgewirkt haben: Sie soll dem Team Kurz die "Rutsche" für einen Deal mit den Brüdern Wolfgang und Helmuth Fellner gelegt sowie ihre frühere Mitarbeiterin Sabine Beinschab für Studien und Umfragen empfohlen haben.

Das war aus Sicht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) der Ausgangspunkt der Inseratenaffäre, deren Aufkommen im Herbst 2021 zum Rücktritt von Sebastian Kurz und gewissermaßen dem Ende der türkisen Zeitrechnung führte.

Kronzeugin vor Gericht

Beinschab, die einräumte, Scheinrechnungen an das Finanzministerium gestellt zu haben, wurde mittlerweile Kronzeugin; der frühere dortige Generalsekretär und Karmasin-Kontakt Thomas Schmid will es werden.

Doch um die große Inseratencausa soll es nächste Woche vor dem Wiener Straflandesgericht nicht gehen. Die Anklage beschäftigt sich mit anderen Vorwürfen, die im Rahmen der Ermittlungen gegen Karmasin aufgetaucht sind, etwa durch belastende Aussagen von Sabine Beinschab. Die Kronzeugin ist übrigens auch als Zeugin geladen.

Die WKStA klagt Karmasin wegen zweier Vorwürfe an: Erstens soll Karmasin Beinschab und eine weitere Meinungsforscherin dazu angestiftet haben, Scheinangebote an das Sportministerium zu legen. Vergaberechtlich reichen bis zu gewissen Auftragssummen drei Vergleichsangebote; Karmasin soll durch die wettbewerbswidrigen Absprachen als Bestbieterin hervorgegangen sein. Angeklagt ist wegen der Vorgänge auch ein Beamter aus dem Sportministerium. Um den Inhalt der Studien geht es also nicht, nur um das Zustandekommen der Auftragsvergabe.

Zweitens wirft die WKStA der Ex-Ministerin schweren Betrug vor, weil sie nach ihrer Regierungstätigkeit eine Gehaltsfortzahlung in Anspruch genommen haben soll, obwohl sie bereits wieder beruflich aktiv gewesen sei. Den zuständigen Beamten habe sie versichert, "nichts dazuzuverdienen", was Voraussetzung für die Gehaltsfortzahlung war, heißt es in der Anklageschrift. Dadurch habe Karmasin die Republik um rund 78.000 Euro geschädigt.

Karmasin schweigt (noch)

Die WKStA dürfte sich ihrer Sache recht sicher sein: Das zeigt sich daran, dass die beiden Vorwürfe gegen Karmasin trotz weiterer Ermittlungen zur Anklage gebracht wurden – und das noch dazu vergleichsweise rasch. Tatsächlich ist die Ausgangslage für Karmasin schwierig: Den Vorwurf der Absprachen haben Beinschab und die dritte Beteiligte eingeräumt, die Kronzeugin lieferte außerdem entsprechende E-Mails.

Die zu Unrecht erhaltene Gehaltsfortzahlung wird nicht bestritten, Karmasin zahlte einen Großteil des Betrags sogar vor Aufnahme dieses Ermittlungsstranges zurück. Eine sogenannte tätige Reue und somit nicht strafbar sei das aber nicht, argumentiert die WKStA: Einerseits sei Karmasin zu diesem Zeitpunkt klar gewesen, dass Ermittler ihre beruflichen Aktivitäten prüfen würden, andererseits hätten schon Journalisten dazu recherchiert und bei Karmasin angefragt.

Zu den Vorwürfen äußern will sich Karmasin laut ihrem Anwalt Norbert Wess frühestens vor Gericht. Das liege auch daran, dass während der Ermittlungen "unerfreuliche Dinge" passiert seien, etwa rund um ihre Zeit in Untersuchungshaft, erläuterte Wess im Investigativ-Podcast Die Dunkelkammer. Es habe "Interaktionen mit ihr gegeben, die ich durchaus für bedenklich halte", sagte Wess.

Ab Dienstag wird verhandelt, fortgesetzt wird am 29. April und am 9. Mai. Die WKStA dürfte jedenfalls schwere Geschütze auffahren. Schon in der Anklageschrift schrieb die Behörde, die "wirtschaftlich äußerst gut situierte Erstangeklagte" habe ihr Handeln auf "maximale persönliche Bereicherung zulasten der Allgemeinheit" gerichtet. Und: Unter Türkis-Blau sei eine "Taskforce Sozialleistungsbetrug" eingerichtet worden, während Karmasin als Ex-Ministerin mit Vorbildfunktion einen solchen begangen habe. Daher liege eine "schwere Schuld" vor, die etwa eine Diversion ausschließe. (Fabian Schmid, 24.4.2023)