Im Gastblog analysiert der Innsbrucker Rechtswissenschafter Malte Kramme, welche Chancen und Risiken der digitale Wandel mit Blick auf die Nachhaltigkeit bietet.

Dieser Beitrag ist der zweite Teil einer Serie zu den Lebensgrundlagen in einer automatisieren Welt. Im ersten Teil ging es um eine Bestandsaufnahme, wie es momentan um die natürlichen Lebensgrundlagen bestellt ist.

Der digitale Wandel führt zu zahlreichen Veränderungen des Wirtschaftens und Zusammenlebens. Vier für die Nachhaltigkeit relevante Veränderungen werden hier herausgestellt: Erstens die Beschleunigung von Transaktionen, zweitens die effizientere Nutzung begrenzter Ressourcen durch digitale Lösungen, und drittens eine Verschiebung von wirtschaftlichen Leistungen in den digitalen Raum. Der vierte Punkt ist ein Effekt, der in naher Zukunft besonders relevant wird: der uns bevorstehende flächendeckende Einsatz autonomer Aktanten bei der Abwicklung wirtschaftlicher Transaktionen.

Wie kann technologischer Fortschritt dazu genutzt werden, Nachhaltigkeit zu fördern? Und welche Rahmenbedingungen müssen dafür gesetzt werden?
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Beschleunigung wirtschaftlicher Transaktionen

Im vorherigen Blog-Beitrag gab es Lob für die Volkswagenstiftung und ihr kluges Investment in die Studie des Club of Rome. Wenn wir über kluge Investments sprechen, sollten wir aber auch Warren Buffet nicht vergessen, der schließlich als der erfolgreichste Investor aller Zeiten gilt. Aber als die Digitalwirtschaft Fahrt aufnahm und das Silicon Valley zur Herzkammer der neuen Wirtschaftswelt wurde, dachten viele, ihn hätte sein Gespür verlassen. Denn statt sich bei seinen Investments auf die strahlenden Sterne am Firmament der Informationstechnologie zu konzentrieren, kaufte er im Jahr 2009, also mitten in der Weltwirtschaftskrise, den Eisenbahnkonzern Burlington Northern Santa Fe. Es war mit 44 Milliarden Dollar der bisher größte Deal der Geschichte seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway. Was war passiert? Halluzinierte Warren Buffet etwa? Wähnte er sich als Eisenbahnmogul im 19. Jahrhundert und wollte den Wilden Westen erschließen?

Wahrscheinlicher ist, dass er eine wesentliche Folge der Digitalwirtschaft richtig erkannt hatte: Die neue Technologie wird wesentlich zum Vertrieb der altbekannten, also industriell hergestellten Güter eingesetzt. Und diese Güter müssen transportiert werden. Das Internet mit seiner personalisierten Werbung und dauerhaft geöffneten Onlineshops schafft aber sogar noch zusätzliche Konsumanreize. Der digitale Wandel führt damit nicht bloß zu einer Verlagerung der Vertriebskommunikation in eine virtuelle Umgebung, sondern führt auch zu einer Beschleunigung der Kommunikation und der globalen Interaktion. Die Digitalisierung ist damit Motor für ein stärkeres industrielles Wachstum und führt obendrein noch zu einer Verlängerung der Logistikkette: es reichen ein paar Klicks aus einem New Yorker Wohnzimmer im Online-Shop eines Unternehmens, das sein Warenlager an der Westküste der USA hat, um der bestellten Ware ein Ticket für einen der Züge Warren Buffets zu kaufen und sie auf die lange Reise an die Ostküste zu schicken. Berkshire Hathaway ist bis dato Hauptanteilseignerin der Eisenbahngesellschaft und fährt weiterhin immer neue Börsenrekorde ein. Warren Buffet hatte es also mal wieder allen gezeigt. Mit Blick auf die ökologischen Folgen war das Investment der Volkswagenstiftung natürlich nachhaltiger.

Negative Effekte für die Klimabilanz verursachen aber nicht nur die Investmentstars, auch rechtliche Rahmenbedingungen des Online-Handels, die uns eigentlich vor der rauen Wirklichkeit der Digitalwirtschaft schützen sollen, haben ihren Anteil. Das gilt insbesondere für das vermeintlich vornehmste aller Verbraucherrechte, nämlich das Recht, einen online abgeschlossenen Vertrag ohne Angabe von Gründen widerrufen zu können. Die Kosten für das Retourenmanagement dürfen Verbrauchern nicht auferlegt werden, mit Ausnahme der Portokosten für die Rücksendung der Ware, wobei aber die seitens des Unternehmers zu leistende Erstattung auch die ursprünglichen Lieferkosten umfassen muss. Hierdurch wird der eklatante Fehlanreiz gesetzt, Waren nur zur Ansicht oder zur Anprobe zu bestellen. Insbesondere der Fashion-Sektor hat extrem hohe Retourenquoten, die einen erheblichen CO2-Fußabdruck verursachen. Die Kosten, die Unternehmen für das Retourenmanagement entstehen, werden auf den Produktpreis umgelegt und damit auch von denjenigen Verbrauchern getragen, die Waren nicht zurücksenden. Da die Kosten für die Bearbeitung der Retouren oft in keinem Verhältnis zum Warenwert stehen, gehen viele Unternehmen zudem dazu über, retournierte Waren zu vernichten, obwohl sie völlig einwandfrei sind.

Ein paar Zahlen für Österreich: Der Versandhandel verschickte im Corona-Jahr 2020 139 Millionen Pakete an Privathaushalte. Jede dritte Bestellung, also 46 Millionen Pakete, ging wieder zurück. Im Bereich Fashion und Elektronik sollen 1,4 Millionen Rücksendungen vernichtet worden sein. Im Jahr 2021 belief sich die Menge der vernichteten ungenutzten Textilien in Österreich auf 4.600 Tonnen. Was ist hier zu tun? Eine Vernichtung einwandfreier Waren sollte im Regelfall verboten sein. In Österreich ist ein entsprechendes Verbot in Vorbereitung. In Deutschland wurde bereits eine entsprechende Regelung getroffen. Im Entwurf zur Ökodesign-VO ist eine europaweite Regelung geplant, die der Vernichtung entgegenwirken soll. Das reicht aber nicht: Unternehmen sollte es auch möglich sein, die tatsächlich anfallenden Kosten für die Retourenbearbeitung (oder wenigstens einen angemessenen Pauschalbetrag) der Kundtschaft in Rechnung zu stellen.

Effizienterer Umgang mit knappen Ressourcen

Die Digitalwirtschaft hat aber auch positive Effekte mit Blick auf die Nachhaltigkeit, insbesondere, was die Ressourcenschonung angeht. Die Plattformwirtschaft hat die "sharing-economy" erschaffen. Die bessere Vernetzung von Nutzern und Nutzerinnen erlaubt es, industriell hergestellte Güter vielen zur Nutzung bereitzustellen, ohne dass es noch darauf ankommt, das Gut tatsächlich zu besitzen. Das kann den Bedarf und die Nachfrage nach solchen Produkten zügeln. Großes Potential besteht hier vor allen Dingen im Mobilitätssektor. Carsharing sollte nur der Anfang sein. Das Ziel sollte darin bestehen, einen öffentlichen Personenverkehr anzubieten, der genauso individuell und flexibel ist, wie die Nutzung eines eigenen Autos.

Die Plattformökonomie ist nur ein Ausschnitt, der Teil eines größeren Bildes ist: nämlich des Einsatzes von digitaler Technologie zu einem schonenderen Umgang mit knappen Ressourcen. In dieses Gesamtbild gehören etwa auch Smart-Meter, die Elektroautos gezielt dann laden, wenn gerade viel Strom aus Windenergie zur Verfügung steht.

Verschiebung der Leistungserbringung

Während in der "sharing-economy" nur die Anbahnung der Leistungserbringung in den virtuellen Raum verlegt wird, die eigentliche Leistungserbringung aber typischer Weise im "real life" erfolgt, eröffnet die Digitalwirtschaft aber auch die Möglichkeit, die eigentliche Leistungserbringung in den virtuellen Raum zu verlegen und damit die Herstellung industrieller Güter obsolet zu machen. Das ist am besten beim Smartphone nachzuvollziehen: Wir haben heute alle ein industriell gefertigtes Gerät in der Tasche, das viele uns aus dem Industriezeitalter bekannter Produkte ersetzt: Telefon, Pager, Fotoapparat, Videokamera, Taschenlampe, Taschenrechner, Kompass, Navigationsgerät, Schrittzähler, Walkman und allerhand von Druckwerken.

Dieser Effekt zeigt sich aber nicht nur bei Konsumgütern, sondern auch in der Industrie: Allerhand Vorhaben, vom Auto-Crashtest, über die Planung von Fertigungsstraßen in Fabriken bis hin zum Bau von Wolkenkratzern kann an virtuellen Zwillingen getestet werden und entsprechende Tests an industriell gefertigten Modellen obsolet machen.

Automatisation des intellektuellen Beitrags

Mit der Industrialisierung hat der Mensch das wirtschaftliche Wachstum von seinen physischen Grenzen entkoppelt. Maschinen konnten Güter in solchen Massen herstellen, wie es Menschen ohne maschinelle Unterstützung niemals zustande gebracht hätten. Die teils verheerenden Folgen dieser Entwicklung für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen wurden in meinem früheren Beitrag geschildert.

Eine ähnlich große Disruption steht uns nun bevor. Ende des vergangenen Jahres wurde mit ChatGPT ein KI-Sprachmodell der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, das auf zahlreiche Fragen und Problemstellungen Antworten und Lösungen parat hat, die zwar manchmal noch von fragwürdiger Qualität sind, aber stets überzeugend vorgetragen. Die Qualitätsprobleme bekommen die Anbieter aber schnell in den Griff. Während ChatGPT in der Version 3.5 im Dezember 2022 beim Uniform Bar Exam (UBE) zwar beachtliche Ergebnisse erzielt hat, im Ergebnis aber durchgefallen war, ließ ChatGPT 4.0 bereits 90 Prozent seiner menschlichen Kommilitonen und Kommilitoninnen hinter sich und bestand mit Bravour.

Derartige Sprachmodelle werden nicht nur Menschen bei der Vornahme wirtschaftlicher Transaktionen unterstützen können, sondern als autonome Aktanten diese auch selbst vornehmen. Ein Ausblick auf diese neue Arbeitswelt gab bereits 2013 die viel beachtete Oxford-Studie "The Future of Employment".

Nach der Entkopplung des Wachstums vom Beitrag der menschlichen Physis im Zuge der Industrialisierung, steht uns damit nun auch eine Entkopplung vom intellektuellen menschlichen Beitrag bevor. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird also noch weiter von der Bevölkerungszahl als limitierendem Faktor unabhängig. Ist das Wachstum dadurch völlig vom menschlichen Beitrag entkoppelt? Diese Entkopplung droht wohl nicht vollends, solange der Antrieb zur Erbringung von Wirtschaftsleistungen menschliche Bedürfnisse bleiben, aus denen Nachfrage entsteht. Solange autonome Aktanten nicht ihre eigene Nachfrage kreieren, bleibt dieser begrenzende Faktor des Wachstums erhalten. Zu hoffen ist dabei, dass die materiellen Bedürfnisse der Menschen aber irgendwann nicht mehr weiter steigen und wir lernen, uns mit dem zufrieden zu geben, was unsere Grundbedürfnisse sichert.

Rechtliche und politische Maßnahmen

Welchen Beitrag kann das Recht leisten, damit der Weg in die Digitalwirtschaft ökologisch nachhaltig verläuft und unsere natürlichen Lebensgrundlagen wieder gesichert werden?

In erster Linie muss das Digitalwirtschaftsrecht so gestaltet werden, dass die Kosten, die dieses Wirtschaften nach sich zieht, vom Verursacher getragen werden, sich also im Preis der Leistungen niederschlagen. Mit Blick auf den Klimawandel bedeutet das eine konsequente Bepreisung von Treibhausgasemissionen, die bei der Leistungserbringung anfallen, sei es über eine Besteuerung oder über einen Zertifikatehandel. Zentral ist hier insbesondere eine entsprechende Bepreisung der Energie aus nicht-erneuerbaren Quellen. Parallel dazu muss die Energiewende zu einem schnellen Abschluss gebracht werden. Dann können virtuelle Leistungen fast nachhaltigkeitsneutral erbracht werden.

Was die Herstellung der Hardware und aller anderen industriell hergestellten Güter angeht, ist es mit einer Bepreisung der Treibhausgase nicht getan. Hier bedarf es einer Regulierung, die sicherstellt, dass auch alle anderen externen Kosten internalisiert werden. Die Produktion muss unter Bedingungen erfolgen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben und die Produktionsbedingungen auch für die Arbeiterinnen und Arbeiter fair sind. Ein wichtiges regulatorisches Werkzeug dafür ist die Lieferkettenregulierung, mit der die Einhaltung umweltbezogener und menschenrechtlicher Standards beim Outsourcing industrieller Produktion sichergestellt werden soll.

Allein dabei kann es aber nicht bleiben. Gerade die EU ist auf dem Gebiet der Nachhaltigkeitsregulierung auch aktiv. Es lassen sich im Rahmen des Green New Deal viele sinnvolle Regulierungsansätze aufzählen. Leider dauert es oft zu lange. Gerade was den Erhalt besonders artenreicher Ökosysteme angeht, muss es schnell gehen. Insbesondere darf der tropische Regenwalt des Amazonas nicht der industriellen Produktion im Digitalzeitalter zum Opfer fallen. Hierzu würde die Verabschiedung der Entwaldungs-VO, die bereits seit Ende 2021 als Entwurf vorliegt, einen wichtigen Beitrag leisten.

Wir sollten dabei aber nicht aus den Augen verlieren, dass sich nicht alle negativen Auswirkungen für die Umwelt bei Herstellung industrieller Güter vermeiden lassen. Bei einer weiter steigenden Weltbevölkerung und notwendigem Wachstum, um Armut und ihre schlimmsten Folgen zu beseitigen, sollte die Regulierung auch darauf gerichtet sein, die Nachfrage nach industriellen Gütern im Rahmen zu halten. Stattdessen sollten Anreize zu einer Verlagerung des Wirtschaftswachstums in den virtuellen Raum gelegt werden. Ein Instrument dafür kann das Umsatzsteuerrecht sein. Industrielle Güter, die der Deckung materieller Grundbedürfnisse dienen, sowie virtuelle Güter sollten geringer besteuert werden als sonstige industriell gefertigte Güter.

Digitale Nachhaltigkeitsregulierung muss aber auch Grenzen haben. Seit den Terroranschlägen vom 11.September 2001 wurden immer wieder – oft auch erfolgreiche – Versuche unternommen, Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts mit der Bekämpfung von Terrorismus oder allgemeiner Kriminalität zu rechtfertigen. Mit Schlagworten wie "Nachhaltigkeit" oder "Klimaschutz" sollten ähnliche Einschnitte in Persönlichkeitsrechte, etwa zur Messung des individuellen CO2-Abdrucks nicht legitimiert werden.

Neue Form des Wirtschaftens

Ob die Erde so lebenswert bleibt, wie sie ist, hängt davon ab, wie wir wirtschaften. Der digitale Wandel hat daran einen entscheidenden Anteil. Es ist also zentral, dass wir durch gute Regulierung die Chancen für ein ressourcenschonendes Wirtschaften nutzen und Anreize für nicht-nachhaltige Geschäftsmodelle ausschalten. Hier kann die bevorstehende Automatisation eine Chance bieten: Lästige Arbeiten werden wir uns zunehmend von Maschinen abnehmen lassen können. Menschen, die keinen direkten Beitrag zur Wirtschaftsleistung mehr erbringen müssen, bekommen mehr Freiraum, dafür Lösungen zu entwickeln. (Malte Kramme, 25.4.2023)