Palladium-Barren aus der sibirischen Stadt Krasnojarsk, wo es eine Fabrik zur Verarbeitung seltener Metalle gibt.
Foto: ALEXANDER MANZYUK

Der Traum vom Wundermaterial, in dem elektrischer Strom bei Raumtemperatur ohne Widerstand fließt, lebt. Erst kürzlich berichtete ein umstrittenes Forschungsteam aus den USA von einem neuen Durchbruch.

Doch abgesehen davon, dass dieses spektakuläre Ergebnis nach wie vor auf seine Bestätigung durch andere Forschungsteams wartet, gibt es ein weiteres nicht zu unterschätzendes Hindernis auf dem Weg zum massentauglichen Supraleiter, der unsere gesamte Technologie revolutionieren kann: Die nötigen Drücke zur Erzeugung von Supraleitung in solchen Wasserstoffverbindungen, wie sie von der Gruppe der Universität Rochester verwendet wurden, sind zwar um ein Vielfaches niedriger als je zuvor, aber mit rund 10.000 Bar immer noch verhältnismäßig hoch.

Im Praxiseinsatz wird bei Supraleitern derzeit weiterhin auf Kühlung statt auf Druck gesetzt, gängig sind Verbindungen der Metalle Niob und Titan, die erst bei einer Temperatur von etwa -271 Grad Celsius funktionieren. Das sind nur etwa zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt. Der Vorteil: All das geschieht bei Normaldruck.

Ein anderer Bereich der Supraleiterforschung beschäftigt sich daher mit der Suche nach Supraleitern, die bei Normaldruck funktionieren und dennoch möglichst wenig Kühlung benötigen.

Derzeit findet ein Übergang von kupferbasierten "Cupraten", die in den 1980er-Jahren entwickelt wurden und teils am LHC, dem Teilchenbeschleuniger des Kernforschungszentrums Cern im Praxiseinsatz sind, zu den sogenannten Nickelaten statt, in denen statt Kupfer Nickel zum Einsatz kommt. Damit geht eine Reihe technischer Vorteile einher.

Neues Metall: Palladium

Doch nun zeigt eine Forschungskooperation mit Beteiligung einer Gruppe der Technischen Universität (TU) Wien in einer neuen Studie im Fachjournal "Physical Review Letters", dass Materialien auf der Basis des Metalls Palladium eine weitere Verbesserung ermöglichen können.

Die "Sprungtemperatur" herauszufinden, bei der ein Material supraleitend wird, ist theoretisch äußerst schwierig, doch es gibt Fortschritte, erklären die Fachleute von der TU. "Wo diese Grenze verläuft, konnten wir nun bei einer ganzen Reihe von Materialien berechnen", sagt Karsten Held vom Institut für Festkörperphysik. Experimente mit bekannten Supraleitern bestätigten die Berechnungen. "Mit unseren Computermodellen konnten wir das Phasendiagramm der Nickelat-Supraleitung vorhersagen – und zwar mit hoher Genauigkeit, wie die Experimente dann später zeigten", sagt Held.

Eine Palladiummine in der russischen Stadt Norilsk. Palladiumvorkommen gibt es auf allen Kontinenten.
Foto: REUTERS/Tatyana Makeyeva/File Photo

Nun ging es darum, neue Materialien zu untersuchen, um zu sehen, ob es noch geeignetere Kandidaten als Nickel gibt. Dabei kommt es auf die Wechselwirkung der Elektronen an. Die Elektronen im Material müssen sich für Supraleitung zu sogenannten Cooper-Paaren zusammenschließen. Sie bilden dann ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat, einen nur in der Quantenwelt möglichen, exotischen Materiezustand, in dem der elektrische Widerstand verschwindet. Um das zu ermöglichen, müssen die Elektronen miteinander wechselwirken, und zwar weder zu schwach noch zu stark.

Es gibt einen optimalen Bereich für diese Wechselwirkung, erklären die Forschenden, doch weder Cuprate noch Nickelate befinden sich dort. "Um passende Kandidaten zu finden, muss man auf quantenphysikalischer Ebene verstehen, wie die Elektronen im Material miteinander wechselwirken", sagt Held.

Diese supraleitende Magnetspule wurde im bislang leistungsfähigsten Magnetresonanztomografen im französischen CEA-Forschungszentrum verbaut. Er ermöglicht extrem genaue Gehirnscans und besteht aus einer Niob-Titan-Verbindung, wiegt 132 Tonnen und muss auf eine Temperatur von -271 Grad Celsius gekühlt werden, nur zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt.
Foto: REUTERS/Thierry Chiarello

Nun ist dieser Schritt gelungen. Das perfekte Material ist das im Periodensystem direkt unter Nickel liegende und mit ähnlichen Eigenschaften ausgestattete Palladium.

"Die Rechenergebnisse sind sehr vielversprechend", sagt Held. "Wir hoffen, dass wir damit nun experimentelle Forschung anstoßen können. Wenn man mit Palladaten nun eine ganz neue, zusätzliche Materialklasse zur Verfügung hat, um Supraleitung besser zu verstehen und noch bessere Supraleiter zu erzeugen, könnte das den gesamten Forschungsbereich nach vorne bringen."

Auch die Magnete des größten Teilchenbeschleunigers der Welt, des LHC am Kernforschungszentrum Cern, setzen auf Supraleitung. Hier sind zum Teil ebenfalls Niob-Titan-Supraleiter im Einsatz, die bei einer Temperatur von knapp zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt arbeiten. Es gibt aber auch Cuprate, die aus Kupferverbindungen bestehen.
Foto: REUTERS/Pierre Albouy/File Photo

Hohe Erwartungen

Einfach einsetzbare Supraleiter würden verschiedene Technologiezweige betreffen und vor allem dort zum Einsatz kommen, wo starke Magnetfelder gefragt sind. Derzeit sind es aufgrund des hohen Aufwands medizinische Anwendungen wie Magnetresonanztomografen oder aber Forschungsprojekte wie Teilchenbeschleuniger oder Kernfusionsreaktoren. Widerstandslos fließender Strom wäre aber auch für den Transport interessant. In Hochgeschwindigkeitszügen kamen Supraleiter bereits zum Einsatz.

Derweil geht das Rennen um den ersten praxistauglichen Raumtemperatur-Supraleiter weiter. Um eine der führenden Gruppen in diesem Gebiet, das bereits erwähnte Supraleiter-Team der Universität Rochester im US-Bundesstaat New York, entwickelt sich derweil ein regelrechter Wissenschaftskrimi. Mehrmals veröffentlichte die Gruppe bahnbrechende Arbeiten, doch gelang es anderen Forschungsteams nicht, die Ergebnisse zu reproduzieren. Mängel in einer im Fachjournal "Nature" erschienenen Arbeit von 2020 gipfelten darin, dass die Studie zurückgezogen wurde.

Doch nur wenige Monate später wartete das Team mit einer noch größeren Sensation auf, die abermals im Fachjournal "Nature" erschien. Der dort entdeckte Raumtemperatursupraleiter, der laut der Studie bei einem bis dahin unerreicht niedrigen Druck von 10.000 Bar funktioniert, wartet noch auf seine Bestätigung. Bisher scheiterten Versuche, das Ergebnis zu reproduzieren.

Dem Physiker Ranga Dias, dem Leiter der Gruppe, droht inzwischen neues Ungemach. Das Fachjournal "Science" berichtet von dem Verdacht, Dias könnte große Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben haben. Dias nahm dazu nicht Stellung, sondern kündigte an, die Sache direkt mit seinem Doktorvater zu besprechen. (Reinhard Kleindl, 25.4.2023)