Die Zahl der verhungerten Mitglieder einer christlichen Sekte steigt.

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Sie nennt sich "Good News International Church" – doch die Nachrichten, für die die kenianische Kirche derzeit sorgt, sind alles andere als gut. Auf Geheiß ihres Gründers haben sich in jüngster Zeit vermutlich weit über hundert Sektenmitglieder zu Tode gehungert, darunter auch zahlreiche Kinder. Auf diese Weise würden sie "Jesus treffen", hatte ihnen Paul Mackenzie Nthenge versprochen.

VIDEO: In Kenia hat ein Sektenführer seine Anhänger dazu überredet, sich zu Tode zu hungern – um "Jesus zu treffen". Ermittler haben fast 90 Leichen in einem Wald gefunden.
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In einem Waldstück nahe dem kenianischen Küstenstädtchen Malindi entdeckte die Polizei bereits 89 meist in flachen Massengräbern bestattete Leichen: Weil in dem Städtchen mehr als 200 Menschen als vermisst gelten, wird die Zahl der Opfer vermutlich noch weiter steigen.

Drei Siedlungen

Seit mehreren Tagen durchkämmen in weiße Schutzanzüge gekleidete Kriminalbeamte den Shakahola-Wald nahe dem Touristenstädtchen Malindi: Auf dem gut 300 Hektar großen Gelände unterhielten die Kirchenmitglieder drei kleine Siedlungen namens Nazareth, Bethlehem und Judäa.

Die Hütten sind inzwischen verlassen, dafür sind in den Boden gesteckte Holzkreuze zu sehen: Jedes kennzeichnet ein Massengrab, in dem bis zu sechs Leichname bestattet wurden. Aus einem Grab bargen die Ermittler die Überreste einer fünfköpfigen Familie, der beiden Eltern und dreier Kinder. Bis Dienstagmorgen wurden 14 Massengräber identifiziert, dabei haben die Kriminalbeamten kaum die Hälfte des Shakahola-Walds durchkämmt. Malindis Leichenschauhaus platzt schon jetzt aus allen Nähten.

Überlebende verweigerten Nahrung

Außer auf Leichen stieß die Polizei auch auf mehr als zwei Dutzend noch lebender, aber ausgemergelter Sektenmitglieder: Sie hätten sich selbst nach ihrer "Befreiung" noch geweigert, Nahrung zu sich zu nehmen, hieß es. Stattdessen hätten sie die Polizisten als Ungläubige beschimpft. Ins Krankenhaus eingeliefert, sind inzwischen vier der 29 Überlebenden gestorben.

Berichten kooperationswilliger Mitglieder der Sekte zufolge kündigte Nthenge die unmittelbar bevorstehende Wiederkehr Christi an: Wer sich durch striktes Fasten darauf vorbereite, dem sei ein Platz im Himmel sicher. Der Polizei war der zum Propheten mutierte Taxifahrer kein Fremder. Erstmals wurde der "Evangelist" vor sechs Jahren unter dem Vorwurf der Radikalisierung verhaftet, nachdem er die Bevölkerung dazu aufgerufen hatte, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. Bibel und Bildung seien nicht zu vereinbaren, so Nthenge.

Im vergangenen Monat wurde er erneut verhaftet – diesmal im Zusammenhang mit dem Tod zweier Kinder. Der Kirchengründer kam nach Zahlung einer Kaution wieder frei: Das Verfahren ist noch anhängig. Dem "Massaker im Shakahola-Wald", wie die kenianische Presse die Tragödie nennt, war die lokale Menschenrechtsgruppe Haki Africa nach einem anonymen Hinweis auf die Spur gekommen.

Massaker wirft Fragen auf

Deren Geschäftsführer Hussein Khalif forderte die Polizei jetzt auf, mehr Personal in den Wald zu senden: "Jeder Tag, der vergeht, könnte weitere Opfer kosten." Die vergangenen vier Tage seien die schlimmsten seines Lebens gewesen, so Khalif: "Nichts bereitet dich auf den Anblick eines Massengrabs mit Kindern vor."

Der Skandal sorgt inzwischen auch in Regierungskreisen für Aufregung. Es sei "erstaunlich", wie ein Verbrechen derartigen Ausmaßes so lange unbemerkt bleiben konnte, meinte der Sprecher des kenianischen Oberhauses, Amason King. Staatspräsident William Ruto verglich das Massaker mit einem "Terroranschlag" und kündigte ein scharfes Vorgehen gegen "nicht akzeptable religiöse Bewegungen an".

Ruto ist der erste evangelikale Christ im kenianischen Präsidentenamt: Im Wahlkampf machte er aus seinem Glauben kein Geheimnis und betete wiederholt in der Öffentlichkeit. Religionssoziologen zufolge ist Kenia – wie die meisten afrikanischen Staaten – ein zutiefst religiöses und zu 85 Prozent christliches Land, in dem vor allem in schwierigen Zeiten wie gegenwärtig Propheten und neue Kirchen wie Pilze aus dem Boden schießen. Mackenzie Nthenge hat sich übrigens der Polizei gestellt. Seit seiner Inhaftierung am Wochenende soll er keine Nahrung mehr zu sich genommen haben. (Johannes Dieterich, 26.4.2023)