Sondre Solstad ("The Economist") beim internationalen Journalismusfestival in Perugia.

Foto: Pepe Ascanio #ijf23

Nicht überall auf der Welt war Verlass auf die Daten der Regierungen über die Todesfälle durch Covid-19. Das zeigte sich schon bald nach Ausbruch der Pandemie. Lokale Reporterinnen und Reporter haben mit eigenen Augen gesehen, dass es bei weitem mehr Tote gibt, als offiziell behauptet wurde. Doch wie kann man den Tod auf Covid-19 zurückführen, vor allem in Gebieten, in denen Menschen keine Möglichkeit haben, auf das Virus getestet zu werden?

Mit dieser Frage hat sich Sondre Solstad Anfang 2020 beschäftigt. Er ist Datenjournalist beim britischen "The Economist" und hat ein Modell zur Berechnung der tatsächlichen Todeszahlen entwickelt. Beim International Journalism Festival 2023 in Perugia erklärt er, dass die Zahlen der Covid-19 Tode vor allem in armen Ländern stark von denen von der Regierung herausgegebenen Zahlen variieren. Er berechnet die Todeszahlen, indem er sie mit denen der vorherigen Jahre vergleicht. Der Großteil des Zuwachses während der Pandemie sei auf Covid-19-Tode zurückzuführen. Beim Festival in Perugia diskutierte Solstad mit der indischen Journalistin Amruta Byatnal, inwiefern diese Methode auch bei der Klimakrise angewendet werden kann.

Journalistinnen, die Tote zählen

Amruta Byatnal hat sich kurz nach dem Ausbruch der Pandemie 2020 die Frage gestellt, ob wir die tatsächliche Zahl der Covid-19-Tode jemals tatsächlich wissen werden. Amruta Byatnal ist Redakteurin bei der Thomson Reuters Foundation. Sie fokussiert sich bei ihrer Berichterstattung vor allem auf den globalen Süden, und ihre Artikel werden unter anderem im "National Geographic" und in der "Washington Post" veröffentlicht.

In einem Interview für den STANDARD sagt sie, dass in Indien lokale Journalistinnen und Journalisten in Krematorien und Krankenhäusern physisch die Leichen gezählt haben. Dadurch wurde bekannt, dass die von der Regierung herausgegeben Daten die tatsächlichen nicht widerspiegeln. Laut der Journalistin ist die eigentliche Anzahl der Corona-Tode dort mehr als zehnmal höher, als von der Regierung behauptet.

Amruta Byatnal sagt, die große Herausforderung bei der Erfassung der Todeszahlen sei, dass indische Journalistinnen und Journalisten kaum Möglichkeiten haben, auf Daten zurückzugreifen. Bei weitem würden nicht alle Tode registriert.

Tote durch die Klimakrise

Die Klimakrise stelle Journalistinnen und Journalisten bei der Erfassung der Todeszahlen vor eine noch größere Herausforderung als die Covid-19-Pandemie. Byatnal erklärt, dass Millionen Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben, aber es keine akkurate Methode gebe, die Tode festzuhalten.

Hier kommt die Berechnungsmethode von Sondre Solstad erneut zum Einsatz. Obwohl an den Folgen der Klimakrise, verglichen mit der Pandemie, die Todesrate nicht so drastisch ansteigt, sei die Anzahl trotzdem enorm hoch. Die Ursachen hierfür sind unter anderem Hitzewellen und extreme Temperaturschwankungen.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind bis zum Jahr 2030 250.000 Tode zu erwarten, die mit den Folgen des Klimawandels zusammenhängen. Diese Schätzung stuften die Panelteilnehmer in Perugia als eindeutig zu niedrig ein. Bis 2030 soll die Zahl bei fünf Millionen Toten pro Jahr liegen. Ein Grund hierfür ist vor allem die Luftverschmutzung, die durch fossile Brennstoffe entsteht. Wie die University of Chicago berichtet, sollen bis 2100 so viele Menschen durch den Klimawandel gestorben sein wie an Krebs und Infektionskrankheiten zusammen.

Vor allem arme Länder sind von den Folgen des Klimawandels stark betroffen. Amruta Byatnal merkt an, dass die Regierungen von Ländern des globalen Südens kein Interesse daran haben, die akkuraten Todeszahlen der Klimakrise zu veröffentlichen. Sie betont, dass Regierungen mehr mit den Journalistinnen und Journalisten zusammenarbeiten sollten.

Local Heroes

Die Berechnung der Todeszahlen zeigt die Wichtigkeit lokaler Journalistinnen und Journalisten. Ohne sie hätte man sich auf die von der Regierung herausgegebenen Zahlen verlassen müssen. Amruta Byatnal sagt, unterstützt von Datenjournalist Sondre Solstad: "Globale Journalistinnen und Journalisten müssen die Arbeit der lokalen anerkennen. Sie sollten ihre Arbeit nicht als ihre eigene verkaufen, besser einen Weg finden, kollaborativ mit ihnen zu arbeiten." (Celina Wald, 29.4.2023)