Markus Lanz und Richard David Precht (rechts im Bild) reden in ihrem Podcast. Unter anderem über Frauen, die sie für nicht kompetent halten.

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Ich weiß nicht, wie andere Kolleg:innen das handhaben, aber ich habe für Kolumnen wie diese Themenlisten. Da steht alles drauf, wozu ich in nächster Zeit gerne schreiben würde, weil ich es für relevant, abstoßend, beeindruckend oder interessant halte. Themen, über die ich bereits geschrieben habe, sind durchgestrichen. Männer, die sich wie nebenbei mit großer Selbstverständlichkeit abfällig über Frauen äußern, sind durchgestrichen. Richard David Precht ist mehrfach durchgestrichen. Dahinter steht in meiner hingekrakelten ostdeutschen Schulausgangsschrift: "Das reicht jetzt wirklich!"

Aber dann fragt die Redakteurin, ob man das denn schon gesehen habe, und natürlich hat man es gesehen. Auf Twitter wieder prechtige Aussichten, weil der promovierte Germanist Richard David Precht im Podcast "Lanz & Precht" vom 21. April mutmaßt, dass die deutsche Außenministerin unter normalen Umständen nicht mal ein Praktikum im Auswärtigen Amt bekommen hätte, und ihr anrät, vor dem Hintergrund ihrer "moralischen Inbrunst einer Klassensprecherin" doch lieber "kleinere Brötchen zu backen". Außerdem habe "diese vierzigjährige Frau in ihrem Leben noch nichts geleistet", blablabla, laberrhabarber, schön Stöckchen auslegen – irgendein Idiot wird schon drüberspringen. Ich zum Beispiel.

Derweil erzählt Podcastdude Florian Schröder seinem Kollegen Serdar Somuncu beim Nachbarradiosender über den Bundespresseball. Und wen hat er da getroffen, na, na, genau: die Annalena. Somuncu will wissen, wie sie riecht, ob Schröder sie zufällig am Busen berührt hat, und stöhnt ein bisschen. "Jetzt steht er dir", kommentiert Schröder. Alles witzig, ironisch, doppelt und dreifach gebrochen, Kunst natürlich, immer Kunst, mit ganz viel Spielfreude und spontan, da nimmt man sich schon mal den Raum für … blablabla, laberrhabarber, hier ein Stöckchen, da ein Stöckchen, na komm, spring schon. Aber das ist natürlich (Stellen Sie sich diesen Satz bitte von einer dieser übertrieben begeisterten Teleshoppingstimmen gesprochen vor!) noch längst nicht alles.

Ist ja alles satirisch, nicht?

Da fehlen doch noch Stöckchen. Das "Aus dem Zusammenhang gerissen"-Stöckchen, das "Diskreditieren"-Stöckchen und natürlich das "Üblicher Sexismusvorwurf"-Stöckchen. Zulässige Kritik, Überspitzung, alle sind so schnell beleidigt, ich hab mich schon immer gegen rechts engagiert. Am Ende liegen so viele Stöckchen auf dem Weg zu einer kritischen oder auch satirischen Betrachtung von Annalena Baerbock, dass man überhaupt nicht mehr springen kann. Stattdessen muss das alles erst einmal beiseitegeräumt werden.

So viel zu bereits "abgehakten" Themen auf meiner Liste. Toll, einfach toll. Anscheinend sind Männer, die mit einigem Recht und sehr ausführlich das allgemeine Abhandenkommen von Kritikfähigkeit thematisieren, nicht fähig, Kritik zu üben. Und offenbar haben Männer, die mit viel Verve und durchaus klugen Punkten die Satirefreiheit verteidigen, immer noch nicht verstanden, warum Anspielungen auf die Fickbarkeit prominenter Frauen nicht satirisch sind.

Nein, auch nicht mit billigen Verweisen auf "Das ist eine Rolle" und der Gegenwartsgeißel "Leuten den Spiegel vorhalten". Nichts und niemand fühlt sich dabei ertappt. Das Maximum der Gefühle, das hier durch "satirische Spiegelung" beim Gegenüber erzeugt wird, ist: "Ha ha, geil – genau!" Das ist einfach nur faul und schlecht gemacht. Und zwar nicht – um ein weiteres Stöckchen aus dem Weg zu räumen –, weil hier unterstellt werden soll, die beiden Satiriker wären faul oder schlecht. Nein, sie machen in diesem Fall einfach einen beschissenen Job. So wie Richard David Precht, der seine Karriere einer prominenten Frau verdankt, die über eines seiner Bücher vor Jahren mal publikumswirksam gesagt hat, die Lektüre würde glücklich machen, und jetzt mit dieser als Kritik getarnten "Kleines unfähiges Mädchen"-Nummer daherkommt.

So viele kompetente Herren

Die "Annalena" mit ihrem Master in International Law, die bereits vor 15 Jahren als Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik gearbeitet hat, bringt also schlechtere Voraussetzung für das Außenministerium mit als, sagen wir mal, Mövenpick-Guido (Guido Westerwelle), Steinewerfer-Joschka (Joschka Fischer) und "Ich habe keinen Plan, was gerade in Afghanistan passiert"-Heiko (Heiko Maas)? Ach was!

Also nicht, dass wir uns missverstehen: Ich spreche den genannten Herren nicht die Befähigung ab, das Außenministerium zu leiten. Die haben nur auch nicht "Außenministerei" studiert (Masterstudiengang in zehn deutschen Großstädten, muss man wissen), sondern sich irgendwie in ihr Amt gewurschtelt und dort mal gute, mal schlechte Entscheidungen getroffen. Kann und sollte man kritisieren. Ebenso die Politik von Annalena Baerbock, unter deren Verantwortung zum Beispiel gerade die vielbeschworenen "Ortskräfte in Afghanistan" hängen gelassen werden.

Aber das passiert leider viel zu wenig. Mithilfe des Stöckchens, ach was: des Schlüsselstamms "Frauen dürfen nicht kritisiert werden / über Frauen dürfen keine Witze gemacht werden" wird jede noch so unqualifizierte, erbärmliche Ad-hominem-Beleidigung zur Kritik verbrämt und jede peinliche Zote, die man einfach nur gerissen hat, weil man Lust hatte und es mit Frauen ja machen kann, zu Satire, "die du nicht verstehst, du Kunstbanause".

Das heißt, ich werde diese Themen und Namen vermutlich noch ein paar Mal durchstreichen müssen. Einfach, weil zu viele auf dem Holzweg sind. Und es heißt ganz sicher, dass es jetzt wirklich reicht! (Nils Pickert, 27.4.2023)