Die Luft ist trocken im Büro. Im Winter liegt das an der Heizung und im Sommer an der Klimaanlage. Damit die Luftqualität trotzdem gut bleibt, rauscht permanent die Lüftung im Hintergrund. Besonders klimafreundlich sind Bürogebäude meistens nicht. Denn die Anlagen benötigen oft viel und mittlerweile auch teurere Energie.

Architekt Dietmar Eberle vom Vorarlberger Architekturbüro Baumschlager Eberle hat versucht, einen anderen Weg zu gehen. Zehn Jahre lang hat er geplant. Seine Idee: ein Bürobau ohne Heizung, ohne Klimaanlage und ohne Lüftung. Heizen will er die Räume mit dem ohnehin eingeschalteten Kunstlicht und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie sind "Heizkörper", sagt er.

Für stabile Temperaturen sorgen zudem massive Betondecken, die Luftqualität sichern Sensoren, die den ganzen Tag Temperatur, Luftqualität und Feuchtigkeit messen und je nach Bedarf automatisch Fenster öffnen oder schließen. Zehn Jahre später ist Eberle überzeugt, dass sich seine Erkenntnisse durchsetzen werden.

STANDARD: Herr Eberle, vor zehn Jahren sind Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vorarlberger Lustenau in ein Bürogebäude eingezogen, das keine Heizung, keine Klimaanlage und keine Lüftung installiert hat. Trotzdem haben Sie ihnen darin Temperaturen zwischen 22 und 26 Grad versprochen. Waren sie skeptisch, dass es funktioniert?

Eberle: Die Skepsis war allgegenwärtig, und keiner hat geglaubt, dass es funktioniert. Diejenigen, die nicht in die Entwicklung involviert waren, hatten allerlei Befürchtungen und Ängste. Mittlerweile ist das Gebäude zehn Jahre alt, und wir als Entwickler können uns selbstgefällig auf die Schulter klopfen, weil wir gehalten haben, was wir versprochen hatten. Das beweisen die Daten. Jeder Raum des Gebäudes wird in einem Abstand von 1:30 Minuten gemessen.

Das Bürogebäude 2226 in Lustenau verspricht Temperaturen zwischen 22 und 26 Grad und kommt ohne Temperaturregler aus.
Foto: Baumschlager Eberle Architekten/Eduard Hueber

STANDARD: Wie können Sie in dem Gebäude die Temperatur halten? Wie funktioniert das?

Eberle: Wir verwenden die Energiemengen, die sich innerhalb und außerhalb des Gebäudes befinden. Außen ist es die Umgebungstemperatur, und in den Räumen sitzen Menschen. Sie sind Heizkörper mit einer Kapazität von ungefähr 80 bis 100 Watt. Sensoren messen in jedem Raum Temperatur, CO2-Wert und Feuchtigkeit. Eine von uns entwickelte Software im Haus reagiert auf die Menschen im Raum. Ist der CO2-Wert beispielsweise zu hoch, öffnet sich ein Fenster. Es schließt auch wieder automatisch.

STANDARD: Aber wie können Sie die Temperaturen zwischen 22 und 26 Grad ganzjährig halten?

Eberle: Wir brauchen im Winter wesentlich mehr Kunstlicht – in jedem Gebäude, weil einfach viel weniger Sonnenstunden sind. Und dieses Kunstlicht ist ausreichend, um die Temperatur im Gebäude auch bei Minusgraden zu halten. Bei einer sehr optimierten Beleuchtung sind in diesem Gebäude zwischen 15 und 20 LED-Leuchten. Das bedeutet, pro Quadratmeter ist eine LED-Leuchte installiert mit 20 Watt. Um die Temperatur zu halten, benötigen wir ungefähr sechs Watt. Im Sommer kühlt die Nachttemperatur die Räume. Solange nicht zwölf Tropennächte aufeinanderfolgen, ist auch das kein Problem. Wir haben zudem massive Betondecken. Sie bilden eine träge Masse, die die Temperatur speichert.

Das Kunstlicht wärmt die Räume im Bürogebäude 2226 in Lustenau.
Foto: Baumschlager Eberle Architekten/Eduard Hueber

STANDARD: Wo liegt der Energieverbrauch in Ihrem Bürogebäude?

Eberle: In den vergangenen zehn Jahren haben wir einen durchschnittlichen Energieverbrauch von ungefähr 40 bis 50 Kilowattstunden pro Quadratmeter gemessen. Im Gebäude, in dem sich Ihre Redaktion befindet, liegt er wahrscheinlich bei 150. Interessant sind auch die Kosten im Lebenszyklus. Wir müssen vom vielen Material wegkommen und stattdessen auf Software und Know-how setzen. Die Lebensdauer von gewissen Installationen und Techniken machen Gebäude im Betrieb oft teuer. Im Gebäude 2226 verzichten wir weitgehend darauf. In einer deutschen DIN wird 2226 derzeit als Vorzeigebeispiel herangezogen für andere ökologische Gebäude.

STANDARD: Das Konzept gibt es bereits seit zehn Jahren. Wenn es derart effektiv ist, wie Sie sagen, drängt sich doch die Frage auf, warum die meisten Gebäude immer noch mit Heizung, Klimaanlage und Lüftung gebaut werden. Hebt Ihr Konzept nicht ab?

Eberle: Sie wollen wissen, warum wir nicht 400, sondern nur 40 Projekte machen? Erstens braucht eine Firma eine gewisse Zeit, um etwas Neues zu entwickeln und zu verwalten. Zweitens können Sie sich vorstellen, dass das Konzept zuerst einmal auf sehr viel Unglaubwürdigkeit gestoßen ist. Drittens – und das ist vielleicht das größte Problem – gibt es viele Interessenvertreter und Lobbyisten, die das traditionelle System vertreten. Aber ich bin da überhaupt nicht nervös. Bis sich eine neue Erkenntnis in der Realität im großen Stil niederschlägt, dauert es meistens eine Generation, sprich 25 Jahre.

STANDARD: Baumschlager Eberle hat Büros in neun Ländern. Damit haben Sie einen guten Einblick in die Branche. Der Gebäude- und Bausektor stößt weltweit knapp 40 Prozent aller Emissionen aus. Sieht die Branche Handlungsbedarf in Hinblick auf die Klimakrise?

Eberle: Interesse an der Diskussion findet sich überall. Das Motiv für die Diskussion ist aber in allen Ländern unterschiedlich. In China liegt das Interesse beispielsweise darin, die Umweltqualität zu verbessern. Das wiederum wirkt sich positiv auf CO2-Emissionen, Feinstaub und Energie aus. In Frankreich ist man an der Reduktion der Bauzeit, der Staubbelastung, der Verringerung der Transportkapazitäten in der Stadt interessiert. In der Schweiz liegt das Ziel in der Werterhaltung, da spielt der Lebenszyklus eines Gebäudes eine große Rolle.

STANDARD: Wie müssen Häuser gebaut werden, um in Zukunft klimafit zu sein?

Eberle: Häuser im Sinne des Klimaschutzes zu bauen reicht nicht, das ist keine Lösung für die Zukunft. Häuser müssen von Menschen geschätzt und geliebt werden und als Teil der Öffentlichkeit verstanden werden. Im 20. Jahrhundert haben wir leider viele schlechte Häuser gebaut, weil wir nur nach Nutzen und Funktion gefragt haben. Wenn wir uns jetzt nur auf Klimaneutralität setzen, passiert genau das Gleiche. Im 21. Jahrhundert ist die entscheidende Frage, was der Beitrag eines Gebäudes zur Öffentlichkeit ist. Schafft ein Gebäude eine Verbesserung der Atmosphäre? Welche öffentlichen Räume schafft es? Es geht um uralte architektonische Fragen. Dass Gebäude klimaneutral sein müssen, ist selbstverständlich. Ich warne aber davor, sich auf dieses eine Ziel zu reduzieren.

STANDARD: Mit welchen Materialien werden wir in Zukunft bauen? Beton hat keine gute Klimabilanz, und Wälder abholzen, um Holzhäuser zu bauen, wird auch nicht die Lösung sein.

Eberle: Wer einen aktiven Beitrag zur Klimaerwärmung leisten will, baut ein Holzhaus. 20 Prozent der Emissionen absorbieren die Wälder. Das heißt, wenn wir viele Holzhäuser bauen, reduzieren wir die Dimension der Absorption. Ich will aber auch Beton nicht verteidigen. Aber zurück zu den Materialien. Grundsätzlich besteht die Zukunft in der Fortführung der Vergangenheit, aber mit viel intelligenteren Mitteln. Ich erwarte beispielsweise eine große Entwicklung beim Glas. Das hat sich in den vergangenen 40 Jahren enorm entwickelt. In Zukunft wird es nicht mehr nur statisch eine Rolle spielen, sondern auch intelligent sein. Das heißt, wenn wir Energie brauchen, kann Glas Abwärme absorbieren und nach innen abgeben, und zu anderen Zeiten, wenn der Innenraum bereits warm ist, kann es Abwärme reflektieren.

STANDARD: Österreich ist Europameister im Bodenversiegeln. Als Architekt leben Sie davon, dass Häuser gebaut werden. Sehen Sie die Bodenversiegelung trotzdem kritisch?

Eberle: Die große Bauaufgabe der Zukunft ist nicht der Neubau, sondern die Sanierung und die Nachverdichtung. Die Gemeinden machen im Moment alle das genaue Gegenteil. Der Traum vom Einfamilienhaus, von diesem flächenfressenden kleinen Monster, ist immer noch in sehr vielen Köpfen. Aber es ist bereits zu beobachten, dass dieser Traum kleiner wird. (Julia Beirer, 28.4.2023)

Dieser Podcast wird unterstützt von der Arbeiterkammer Wien. Die redaktionelle Verantwortung liegt beim STANDARD.
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