Sie ist die aktuell vermutlich interessanteste Ökonomin, die bezüglich der Inflation forscht und über das Phänomen nachdenkt. Isabella Weber, geboren 1987 in Nürnberg, gilt als Erfinderin des Gaspreisdeckels. Bereits im Februar 2022 schlug sie das Konzept vor, um Verbraucherinnen und Verbraucher vor hohen Gaspreisen zu schützen, in Deutschland ist ein Modell inzwischen umgesetzt, in Österreich gilt eine Stromkostenbremse. Weber, die an der University of Massachusetts Amherst in den USA lehrt, hat intensiv erforscht, wie Unternehmen seit der Pandemie ihre Preise steigen lassen konnten und wie Preiskontrollen funktionieren können. Bisher erlebten wir eine Preis-Preis-Spirale in der Inflationskrise, sagt sie.

STANDARD: In Österreich wird aktuell viel über "Gierflation" diskutiert. Wie sehen Sie den Begriff?

Weber: Ich verwende ihn nicht, ich würde von Verkäuferinflation sprechen. Die Unternehmen sind nicht auf einmal gieriger geworden: Profite zu machen war schon immer Aufgabe von Managern. Was sich allerdings verändert hat, sind die Rahmenbedingungen.

STANDARD: Wie haben sie sich verändert?

Weber: Es gab schon vor der Pandemie eine extrem hohe Marktdominanz einiger Unternehmen. Aber die Preise waren stabil, teilweise sogar fallend. In der Pandemie haben dann die gleichen großen Unternehmen und selbst kleinere Mittbewerber angefangen, ihre Preise zu erhöhen. Sie konnten in vielen Fällen damit nicht nur ihre Kostensteigerungen an Kunden weitergeben. Viele Unternehmen konnten ihre Profitmargen erhöhen. Deswegen stellt sich die Frage, warum sich das Preissetzungsverhalten bei einer mehr oder weniger gleichbleibenden Marktstruktur so stark verändern konnte? Die Antwort: Wir haben es mit einer Inflation zu tun, deren Ausgangspunkt ein Kostenschock in systemisch wichtigen Bereichen war. In dieser Impulsphase gab es starke Preissteigerungen für Energie und in der Schifffahrt. Der Schock fungierte dabei für viele Unternehmen als ein Koordinations-Mechanismus für Preiserhöhungen.

STANDARD: Wie ist das abgelaufen?

Weber: Jeder Unternehmer weiß, dass auch die anderen den gleichen Kostenschock durchleben, und erwartet deshalb, dass alle mit einer Preissteigerung auf diese Situation reagieren. Also müssen Unternehmen nicht fürchten, Marktanteile an ihre Konkurrenten zu verlieren, selbst wenn sie ihre Preise erhöhen. Aber da sind noch andere Mechanismen am Werk.

STANDARD: Welche?

Weber: Preissteigerungen sind Teil einer sozialen Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Kunden. Wenn die Teuerung aus dem Nichts entsteht, dann reagieren Kunden frustriert und wandern zur Konkurrenz ab. Wenn aber die Preissteigerungen legitim erscheinen, weil man jeden Tag in den Nachrichten hört, dass die Energiekosten so stark gestiegen sind, dann verändert das die Nachfrage-Elastizität, wie Ökonomen sagen.

STANDARD: Den Begriff müssen Sie erklären.

Weber: Gemeint ist, dass Menschen bereit sind, die höheren Kosten zu tragen, da sie nicht das Gefühl haben, über den Tisch gezogen zu werden. Dazu kam, dass die Probleme in den Lieferketten die Wettbewerbssituation ebenso verändert haben. Autobauer etwa erlebten zunächst einen Energiekosten-Schock, dann wurden sie von den Problemen in den Lieferketten getroffen. Im gesamten Sektor herrschte Chipknappheit. Ein Autobauer weiß in dieser Situation, dass er nicht mehr seinen ganzen Kundenstamm bedienen kann. Aber die Konkurrenz kann das auch nicht tun. In normalen Zeiten hat jedes Unternehmen ein Territorium, das man verteidigt: In diesem befinden sich mehrere Komponenten, der Markenname, bestimmte Produkttypen, ein Vertriebsnetzwerk. Nun waren Unternehmen aufgrund des Lieferkettenproblems nicht mehr in der Lage, die Gesamtheit ihres eigenen Territoriums zu bedienen.

Ein Preissprung in systemisch wichtigen Bereichen, etwa bei Energie und in der Schifffahrt, sorgt dafür, dass sich die Teuerung nun durch das System schiebt, sagt Weber.
Foto: Reuters

STANDARD: Aber wieso erleichtert das Preiserhöhungen?

Weber: Wenn kein Unternehmen mehr das eigene Territorium bedienen kann, dann besteht auf einmal keine Gefahr mehr, dass ein Konkurrent ins eigene Territorium eingreift. Der Mitbewerber stellt keine Bedrohung dar. Das ist das, was ich als temporäres Monopol bezeichnet habe. Selbst wenn diese Dynamik dann vorbei ist, heißt das nicht unbedingt, dass die Unternehmen anfangen, Preise zu senken. Allgemein beobachten wir, dass in konzentrierten Märkten Unternehmen nicht im großen Stil Listenpreise senken, weil das zu einem Preiskrieg mit den Konkurrenten führen kann. So einen destruktiven Wettbewerb will man verhindern.

STANDARD: Was Sie beschreiben, haben Sie für die USA erforscht. Gibt es auch Zahlen für Europa?

Weber: Wir haben das für die USA untersucht, aber ich denke, die Mechanismen sind in Europa ähnlich. Es ist auch durchaus der Fall, dass es Unternehmen gibt, die ihre Kosten nicht weitergeben können, und diese Betriebe geraten in der Regel stark unter Druck. Das heißt, es findet eine Umverteilung statt, nicht nur zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen, sondern auch zwischen den Unternehmen selbst. Wie genau da die Verteilung ist, das untersuchen wir noch. Aber die Steigerung der Profitrate geschieht über viele Sektoren hinweg und bei einer ziemlich großen Anzahl an Betrieben: Ungefähr etwas mehr als die Hälfte der Unternehmen gewinnt und etwas weniger als die Hälfte kämpft mit sinkenden Profitraten.

STANDARD: Welche Auswege sehen Sie aus der Situation?

Weber: In den meisten Ländern in Europa sind die Reallöhne aufgrund der Inflation gefallen. Das heißt, wir haben eine starke Umverteilung zugunsten der Unternehmen erlebt. Um das zu korrigieren, wird es Lohnsteigerungen brauchen. Die große Frage ist meiner Ansicht nach jetzt, wie die Unternehmen auf diese Lohnerhöhungen, die es mehr oder weniger unweigerlich geben wird, reagieren werden? Wiederrum mit satten Preissteigerungen? Das könnte wieder ein Kostenpunkt sein, der als Koordinationsmechanismus für neue Preiserhöhungen dient. Das ist eine Gefahr, denn dann könnte es wirklich eine Lohn-Preis-Spirale geben, währenddessen wir bisher eine Preis-Preis-Spirale erlebt haben. Ein gewisser Grad an Preisstabilität ist aber wichtig für wirtschaftliche Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Weber: Preiskontrollen können dann nützlich sein, wenn sie eingesetzt werden, bevor der Schock der Kostensteigerungen die gesamte Wirtschaft erfasst.
Foto: Isabel Weber/Suhrkamp Verlag

STANDARD: Gut, aber was folgt daraus? Unternehmen dazu aufzurufen, sich bei Gewinnen zurückzuhalten, macht doch wenig Sinn.

Weber: Deswegen ist es jetzt wichtig, über die Inflationsdynamik zu sprechen und auch diese Umverteilungsdimensionen klar zu artikulieren, um den Unternehmen eben nicht viel Spielraum zu geben, auf die Lohnerhöhungen wiederum mit Preissteigerungen zu reagieren.

STANDARD: Sie haben in ihren ersten Beiträgen in der Inflationsdebatte Preiskontrollen ins Spiel gebracht, also staatliche Vorgaben, wie sehr Preise steigen dürfen. Ist das ein wirksames Mittel?

Weber: Preiskontrollen können dann nützlich sein, wenn sie eingesetzt werden, bevor der Schock der Kostensteigerungen die gesamte Wirtschaft erfasst. Auf dieser Stufe hätten die Staaten eingreifen müssen, um diesen Schock zu absorbieren´, bevor das gesamte Preissystem aus dem Lot gerät. Das wäre bei Energie möglich gewesen und im Falle von stark importabhängigen Volkswirtschaften bei Frachtkosten in der Schifffahrt. Wenn sich Frachtpreise verfünffachen, hat das im Falle der USA zum Beispiel für die gesamte Wirtschaft Implikationen. Ein anderes Beispiel ist Holz, wo Preise ebenfalls stark gestiegen sind, was unmittelbare Auswirkungen auf Hauspreise hatte. Aber jetzt ist es dafür zu spät, die Kostensteigerungen schieben sich bereits durch die gesamte Wirtschaft, und da kann man nicht mehr hineingehen und für alle Bereiche Preisbremsen definieren.

STANDARD: Aber führen Preiskontrollen nicht zu weniger Investitionen in das knappe Gut und damit langfristig zu noch mehr Problemen, weil das Angebot zu knapp wird?

Weber: Preiskontrollen einzuführen ist überhaupt nicht trivial. Es kann aber sogar dazu kommen, dass eine Begrenzung der Möglichkeiten für Preissteigerungen dazu führt, dass Unternehmen versuchen, mehr zu produzieren. Stellen Sie sich eine Reederei vor, die aufgrund eines blockierten Hafens auf einmal neunmal so viel für Fracht verlangen kann. Dieses Unternehmen wird kein sonderlich großes Interesse haben, aus dieser Situation schnell wieder herauszukommen. Im Gegensatz dazu kann es als Anreiz wirken, wenn Unternehmen bei ihren Preissteigerungen begrenzt werden und sie nur über die Größe des Umsatzes den Profit steigern können.

Wenn Unternehmen die Nachfrage ihrer Kundinnen und Kunden nicht bedienen können, aber wissen, es geht anderen ähnlich, lassen sich Preise leichter hinaufsetzen.

STANDARD: Okay. Sie sagen, für Preiskontrollen ist es zu spät. Aber nur Profitzurückhaltung zu fordern wird wirkungslos sein.

Weber: Vielleicht wäre eine Art Burgfrieden zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern möglich: Ihr bekommt eine Lohnerhöhung, weil Reallöhne gefallen sind, und dann verzichtet ihr im kommenden Jahr wieder darauf, große Lohnforderungen zu stellen. Dafür verzichten Unternehmen darauf, die Lohnerhöhungen mit Preissteigerungen zu beantworten.

STANDARD: Das heißt, die Politik kann nichts tun?

Weber: Sie muss klarmachen, dass wenn die freiwilligen Absprachen nicht funktionieren, die Politik andere Mittel hat, um direkt einzugreifen. Deshalb sollte es aktive Diskussion um Dinge wie eine Übergewinnsteuer geben. Damit lassen sich die Preise nicht verändern, wohl aber die Erwartungen der Unternehmen verändern, es wäre ein hemmendes Element für diese Entwicklung.

STANDARD: Eine letzte Frage noch zu den Wirtschaftszweigen, in denen Gewinne sehr stark gestiegen sind: Welche Sektoren gehören noch dazu? Neben der Energiewirtschaft wird in Österreich auch über die Landwirtschaft diskutiert.

Weber: Alles, was ich jetzt gesagt habe, gilt für preissetzende Unternehmen, also Konzerne, die selber aktiv ihre Preise festlegen. Das ist bei Bauern in der Landwirtschaft anders: Sie gehen zur Mühle oder zum Getreidehändler, je nach Qualität der Ware müssen sie dann zu einem Marktpreis verkaufen. Die Preise in der Landwirtschaft sind schon 2021 sehr stark gestiegen, was mit Verwerfungen aufgrund der Pandemie und später mit jenen aufgrund des Krieges zu tun hat. Die Baubranche ist aber so ein Sektor, wo das mit dem Territorium gut passt. Engpässe haben in vielen Ländern zu langen Wartezeiten am Bau geführt. Die Unternehmen hatten viel mehr Kundenanfragen, als sie abarbeiten konnten. Selbst kleine Bauunternehmen konnten so auf einmal in eine temporäre Monopolstellung kommen. (András Szigetvari, 27.4.2023)