Welche Aufgabe hat ein öffentlich-rechtliches Medium in der digitalen Welt? Wofür müssen künftig praktisch alle einen Beitrag für dieses Medienunternehmen leisten?

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Mit dem neuen ORF-Gesetz schickt die Regierung eine verpasste Chance in Begutachtung. Der Entwurf bringt eine Art GIS für alle, "ORF-Beitrag" genannt, und viele neue digitale Möglichkeiten für den ORF, vor allem im Streaming. Doch diesem Ergebnis fehlt die Rechnung, dem Neubau der grundlegende Plan, der Antwort die eigentliche Frage nach dem Sinn.

Die Frage lautet: Welche Aufgabe hat ein öffentlich-rechtliches Medium in der digitalen Welt? Wofür müssen künftig praktisch alle einen Beitrag für dieses Medienunternehmen leisten? Welche Angebote soll ein von allen finanziertes Medienhaus noch liefern? Mit welchen Strukturen, in welcher Größe?

VIDEO: ÖVP-Medienministerin Susanne Raab und die grüne Klubchefin Sigrid Maurer präsentierten am Mittwoch den Entwurf für ein neues ORF-Gesetz.
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Die Grundidee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – zu informieren, zu unterhalten und zu bilden – muss man nicht groß ändern für die digitale Welt. Aber sie – wie viele andere breite Definitionen – reicht nicht, um von allen verpflichtend finanzierte Medien zu erklären. Zu informieren, zu bilden, zu unterhalten verstehen auch viele privat geführte Medien als ihre Aufgabe.

Private Medien, die sich mit Abonnements, Beiträgen, Werbung finanzieren; Medien, die auch Medienförderungen erhalten – alle zusammen etwa ein Zehntel der ORF-Gebühreneinnahmen. Und die Regierungswerbung nach Gutsherrenart erhalten – häufig umgekehrt proportional zu ihrem Beitrag zu Bildung und demokratischem Diskurs.

Marktbeherrscher ORF.at

Der öffentlich-rechtliche ORF ist Österreichs weitaus größter Medienkonzern, zweieinhalbmal größer als das größte private Zeitungshaus. Er dominiert TV, Radio – und vor allem auch den Onlinemarkt österreichischer Angebote. In diesem Markt treffen alle News-Angebote aufeinander: der Marktbeherrscher mit ORF.at, einem öffentlich finanzierten, frei zugänglichen Angebot. Die anderen, Privaten müssen ihre journalistischen Angebote mit Digitalabos finanzieren. Der ORF kann sein Onlineangebot mit der Novelle – vor allem bei News-Videos – massiv ausweiten. Private Medien sehen sich und ihre Geschäftsmodelle davon existenziell bedroht.

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) lud eine Vielzahl von Medienunternehmern, Wissenschafterinnen, Interessenvertretern zu Austauschrunden, als sie ihren Job übernahm.

In Deutschland richteten die zuständigen Bundesländer einen "Zukunftsrat" ein, in dem Wissenschaft und Branchenkenntnis zeitgemäße, zukunftsfähige Strukturen und Angebote des öffentlichen Rundfunks erarbeiten sollen. Solche Grundlagenarbeit muss am Anfang eines Reformprozesses stehen, muss über Strukturen und Angebote von Öffi-Medien hinaus den Markt im Auge behalten – und zuallererst das Publikum und seine Bedürfnisse in dieser Medienwelt.

Die Zeit drängt für eine neue ORF-Finanzierung, der Verfassungsgerichtshof hat die GIS mit Jahresende aufgehoben.

Politeinfluss auf den ORF und seine Gremien

Die größere Reformchance verpasst nicht allein diese Regierung, das taten viele vor ihr, und mit der Politik die ORF-Generäle und privaten Medienmacher, Journalistinnen und Journalisten, auch das Publikum vulgo Zivilgesellschaft. Finanzierung und digitale Möglichkeiten für den ORF sind seit mindestens einem Jahrzehnt ein bekanntes, ungelöstes Thema, und noch länger der Politeinfluss auf den ORF und seine Gremien. Den lässt die ÖVP lieber unangetastet, solange sie noch eine Mehrheit im ORF hat – wie viele Kanzlerparteien vor ihr. Die Chance liegt nun auch beim Höchstgericht. (Harald Fidler, 26.4.2023)