Göllersdorf ist eine der Einrichtungen, in denen psychisch kranke oder gefährliche Rechtsbrecher untergebracht werden. Rund 60 dieser Personen werden nach einer Novelle ab Herbst entlassen.

Foto: APA / HELMUT FOHRINGER

Wien – Seit dem 1. März gibt es offiziell keine "Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" mehr. Der Grund: ein Paket mit dem etwas sperrigen Titel "Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022", das mit den Stimmen von ÖVP und Grünen im Nationalrat beschlossen worden ist. Der Sinn der im Justizministerium von Alma Zadić (Grüne) ausgearbeiteten Reform: Es sollen weniger Gesetzesbrecherinnen und Gesetzesbrecher auf unbestimmte Dauer weggesperrt werden können.

Aus der "Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher" wurde damit das "forensisch-therapeutische Zentrum". Und die Bedingungen für die sogenannte Anlasstat, die man begehen muss, um vom Gericht in einer derartigen Einrichtung untergebracht werden zu können, wurden teils deutlich erhöht. Personen unter 18 Jahren können seit der Reform erst bei Delikten mit Strafdrohungen über zehn Jahre Haft strafrechtlich untergebracht werden.

Warnungen bereits im Vorfeld der Reform

Kritikerinnen und Kritiker wie die Stadt Wien oder die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik sahen dabei aber bereits in den Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf ein beträchtliches Problem: Wo sollen diese jungen Menschen sonst unterkommen und behandelt werden können, wenn die Justiz nicht mehr zuständig ist? Im Herbst wird das Thema akut: Ab Stichtag 1. September werden zunächst neun Personen, die als Minderjährige oder junge Erwachsene (bis 21) eingewiesen wurden, die forensisch-therapeutischen Zentren verlassen, da die Anlasstat laut dem neuen Gesetzestext zu "leicht" gewesen ist.

"Im weiteren Verlauf ist mit insgesamt in etwa 50 Personen zu rechnen, die entlassen werden können, da sie als Jugendliche untergebracht wurden", schreibt Sina Bründler, die Pressesprecherin des Justizministeriums. Die auch versichert, dass man bei den ersten neun Entlassenen mit stationären und ambulanten Einrichtungen sowie den Familien in Kontakt sei, um eine weitere Betreuung sicherzustellen. In den meisten Fällen werde eine bedingte Entlassung angestrebt, um weiter Auflagen zu ermöglichen.

Fehlende Plätze, fehlendes Personal

Justizinsider sehen ihre Befürchtungen aber dennoch erfüllt: Es gäbe schon jetzt viel zu wenig geeignete Betreuungsplätze für diese Gruppe, außerdem fehle das Fachpersonal, das bis Herbst auch kaum mehr ausgebildet werden kann. Im Ö1-Morgenjournal stellte Kathrin Sevecke, Direktorin der Universitätsklinik für Jugendpsychiatrie in Innsbruck, klar, dass ihr Haus bisher nicht eingebunden sei. Auch anonym bleiben wollende Experten bestätigen dem STANDARD, dass es im Bundesgebiet praktisch nirgendwo ausreichend ausgestattete Netzwerke mit freien Plätzen gibt, wo es für die Patienten eine engmaschige Betreuung wie in den forensisch-therapeutischen Zentren gibt. (Michael Möseneder, 27.4.2023)