Der Nationalrat besiegelte am Donnerstag das Aus der "Wiener Zeitung" in ihrer bisherigen Form.

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Die Abgeordneten der SPÖ protestierten mit der Ausgabe der "Wiener Zeitung" vom Donnerstag.

Der Nationalrat beschloss am Donnerstag mit den Stimmen der schwarz-grünen Regierung das Aus der "Wiener Zeitung" in ihrer bisherigen Form. Ihr Fokus soll in Richtung Online verlagert werden. Sie dürfte nur noch zehn Mal im Jahr in Printform erscheinen. Die SPÖ verlangte eine namentliche Abstimmung. Von 162 abgegeben Stimmen votierten 88 für das von der Regierung vorgelegte Gesetz, 72 waren dagegen.

Der Beschluss sorgte im Nationalrat für viel Widerspruch seitens der SPÖ und Neos
DER STANDARD

Außerdem im Programm: Mehr Transparenz für die Vergabe öffentlicher Inserate. Das Gesetz wurde mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen.

Vor den Abstimmungen gab es eine emotionale Debatte über die medienpolitischen Vorhaben der Regierung. Die Oppositionsführer sprachen von einem "schwarzen Tag" für die Kulturnation Österreich und bezichtigten die Regierung, "Totengräber" der "Wiener Zeitung" zu sein. Die Regierung verteidigte die Beschlüsse als Notwendigkeit, das Medium ins digitale Zeitalter zu führen.

SPÖ: Schwarzer Tag für die Kulturnation

SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried kritisierte zuvor in seiner Rede, dass der Donnerstag ein schwarzer Tag für die Kulturnation Österreich sei: "Oder besser gesagt ein schwarz-grüner Tag." Es sei eine "medienpolitische und kulturpolitische Schande", dass die Zeitung "liquidiert" werde. "Eine Qualitätszeitung wird kaltschnäuzig gekillt." Leichtfried moniert auch, dass die Journalismusausbildung verstaatlicht werde. Die Regierung schmeiße "jährlich 200 Millionen Euro für Regierungspropaganda" raus, auf der anderen Seite stelle sie die "Wiener Zeitung" ein. Die Regierung solle sich gut überlegen, ob sie als "Totengräber" der "Wiener Zeitung" in die Geschichte eingehen wolle.

ÖVP: "Wiener Zeitung" im digitalen Zeitalter

ÖVP-Mediensprecher Kurt Egger verteidigt hingegen die Pläne für die "Wiener Zeitung". Er verweist auf die "Qualitätsjournalismusförderung", die mit 20 Millionen Euro dotiert sei und erst beschlossen werde. Durch den Wegfall der Pflichtveröffentlichungen sei der "Wiener Zeitung" die Finanzierungsgrundlage entzogen worden. Die Regierung führe das Medium nun ins "digitale Zeitalter", sagte Egger.

FPÖ ortet Meinungsjournalismus

"Berichten, was ist." Das sei die Aufgabe von Journalismus, sagt Susanne Fürst von der FPÖ in Anspielung an Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust. "Und nicht, was sein soll." Fürst kritisiert den meinungsgetriebenen Journalismus, der ihrer Meinung nach weitverbreitet sei. Sie stößt sich an den Kriterien, die bei der Vergabe der neuen Journalismusförderung schlagend werden. Man hätte der ältesten Tageszeitung der Welt die Möglichkeit geben sollen, zu überleben – mit Privatisierung oder einer anderen Weise der Finanzierung, merkte FPÖ-Politiker Harald Stefan an. Offenbar habe die Regierung diesen Weg gewählt, weil sie weiter Zugriff haben wolle. Deshalb gebe sie jetzt 20 Mio. Euro für u.a. auch für eine "höchst fragwürdige Journalistenausbildung in der Weisungskette des Bundeskanzlers".

FPÖ-Mediensprecher Christian Hafenecker spricht von einem "Bauchfleck" in der Medienpolitik. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) halte die Bürgerinnen und Bürger für "dumm", weil sie davon gesprochen habe, dass der Beitrag für den ORF geringer werde. Hafenecker kritisiert ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, der dazu aufgerufen hätte, nicht über das ORF-Gesetz zu berichten. Er will diesen "Maulkorb" von der Medienbehörde KommAustria prüfen lassen.

Grüne: Neuanfang für "Wiener Zeitung"

Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, hat das Gesetz federführend mit der ÖVP verhandelt. Sie erinnert an das Ende der Pflichtveröffentlichungen in der "Wiener Zeitung", die Umsetzung einer EU-Richtlinie. Es habe Gespräche mit Investoren gegeben, wie es mit der "Wiener Zeitung" in Printform hätte weitergehen können. Die Gespräche hätten nichts Konkretes gebracht, deswegen sei der Entschluss gefallen, das Medium in eine digitale Plattform zu transferieren, so Blimlinger. Es gehe um ein zukunftsweisendes Projekt, das gerade erarbeitet werde. Sie spricht von einem "Neuanfang", einen "Weg in die Zukunft" für die älteste Tageszeitung der Welt.

Neos: Scheitern auf ganzer Linie

Beate Meinl-Reisinger, Klubobfrau der Neos, konstatiert ein "Scheitern auf ganzer Linie". Sie wisse nicht, ob das "Unfähigkeit oder Niedertracht" sei. Die Regierung begehe einen "historischen Fehler" in der Medienpolitik. In zehn Jahren werde man auf diesen Tag zurückblicken. Die Regierung agiere als "Totengräber der Medienvielfalt". Meinl-Reisinger kritisiert auch das geplante ORF-Gesetz. Es gebe keine Schärfung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und keine Entpolitisierung. Der ORF werde zum "digitalen Monopolisten". Viele Medien würden zugrunde gehen, so Meinl-Reisinger. Die Regierung trage die Vielfalt zu Grabe.

Medienministerin Raab: Regierung habe handeln müssen

Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) spricht von einem "wichtigen Tag" für die österreichische Medienpolitik. Der Verfassungsgerichtshof habe die GIS-Gebühr gekippt. Die Regierung sei zum Handeln gezwungen gewesen. Die Regierung hätte es geschafft, Fairness im Medienmarkt herzustellen. Der ORF setze ein Sparprogramm um und werde auf ORF.at bei den Textbeiträgen limitiert. Beim Medientransparenzgesetz brauche es "lückenlose "Transparenz". Jeder Euro müsse aufgelistet werden, transparent dargestellt in einer Datenbank. Für größere Kampagnen müssten Transparenzberichte erstellt werden, um den Nutzen zu dokumentieren. Diese "Wirkungsziele" müssten gesetzt und kontrolliert werden.

"Wer von einer Abschaffung der 'Wiener Zeitung' spricht, spricht die Unwahrheit", sagt Raab. Sie mache zwar guten Journalismus, habe aber sehr wenige Leser. Die Transformation der "Wiener Zeitung" ins digitale Zeitalter sei ein Geschäftsmodell, um ihre Zukunft abzusichern. Die – vielkritisierte – Journalismusausbildung werde nicht im Kanzleramt stattfinden, sondern in der Redaktion der "Wiener Zeitung", so Raab. Der heimische Medienmarkt brauche gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten, um Unabhängigkeit zu garantieren.

Maurer: Balanceakt

"Unabhängiger Journalismus ist in einer Demokratie zwingend notwendig, sonst ist es keine Demokratie", sagt Sigrid Maurer, Klubobfrau der Grünen. Die Politik müsse die Rahmenbedingungen ermöglichen. Die privaten Medien stünden sehr stark unter Druck. Einerseits müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk abgesichert werden, andererseits bräuchten die Privaten Luft zum Atmen. Es gehe um die Balance, und die sei gelungen, so Maurer. Noch nie habe die Republik so viel in die Finanzierung privater Medien gepumpt. Die Reformpläne seien kein "Todesstoß" für die "Wiener Zeitung", sondern eine Notwendigkeit. Die Redaktion werde weiter für die Unabhängigkeit von der Politik sorgen.

Rendi-Wagner: "Demokratiepolitische Schande"

"Wie geht es Ihnen eigentlich damit, dass Sie heute die 'Wiener Zeitung' zu Grabe tragen?", eröffnete zuvor SPÖ-Klubchefin Pamela Rendi-Wagner die Aktuelle Stunde zur Gesundheitspolitik mit einer Frage an Vizekanzler Werner Kogler (Grüne). Kogler vertritt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in der Sitzung.

"Es ist eine demokratiepolitische Schande, liebe ÖVP und liebe Grüne", stellte die SPÖ-Chefin fest. Sie hätte von einer grünen Regierungsbeteiligung "nicht erwartet, dass Sie den Pluralismus in der Medienlandschaft schwächen".

Aus für die "Wiener Zeitung"

Die republikseigene Tageszeitung "Wiener Zeitung" soll künftig als öffentlich gefördertes Onlinemedium erscheinen, mindestens zehnmal pro Jahr auch gedruckt. Das Gesetz wird am 1. Juli 2023 in Kraft treten.

Wirtschaftsverbände und mit ihnen die ÖVP fordern seit vielen Jahren eine Abschaffung der Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen im Amtsblatt der "Wiener Zeitung". Eine EU-Richtlinie über Veröffentlichungspflichten bot nun den Anlass für die Umsetzung. Damit fällt die tragende Einnahmequelle weg.

Der Gesetzesentwurf für die organisatorisch dem Bundeskanzleramt unterstellte "Wiener Zeitung" sieht nun vor, dass die Republik die Kosten für das Onlinemedium sowie eine Journalismusausbildung in Kooperation mit anderen Medien wie der "Kleinen Zeitung" und "Dossier" finanziert.

7,5 Millionen Euro soll die Republik pro Jahr für das Onlinemedium überweisen; private Medien prüfen diese Konstruktion wettbewerbsrechtlich. Weitere sechs Millionen sind für den "Media Hub" vorgesehen, Journalismusausbildung und Start-up-Hilfe. Drei Millionen soll das Bundeskanzleramt für eine Veröffentlichungsplattform beisteuern.

Dienstagabend protestierten Sympathisantinnen und Sympathisanten der "Wiener Zeitung" vor dem Bundeskanzleramt gegen die Einstellung der 1703 gegründeten Zeitung. Redaktion und Unterstützer kritisieren, dass die Regierung nicht ernsthaft genug versucht habe, Käufer beziehungsweise eine Konstruktion zur Fortführung zu finden.

Mehr Werbetransparenz

Das Medientransparenzgesetz verlangt von öffentlichen Stellen schon seit 2012, ihre Werbebuchungen bei Medien zu veröffentlichen. Die Donnerstag beschlossene Novelle soll nun Lücken der Meldepflicht schließen. Größere Kampagnen müssen die öffentlichen Stellen künftig auf ihrer Website erklären, die Wirkung jener ab einer Million Euro Volumen auch analysieren lassen.

Österreichs öffentliche Stellen buchen international unüblich hohe Summen mit starkem Fokus auf den Boulevard: Mehr als 200 Millionen Euro melden sie zusammen pro Jahr in Werbung – von Bundeskanzleramt und Stadt Wien bis ÖBB und Verbund. Es dürften wegen bisheriger Ausnahmen eher 250 Millionen sein. Die Bundesregierung warb 2022 für 28,9 Millionen Euro, die Stadt Wien (ohne stadteigene Betriebe) für 25,3 Millionen Euro.

Eine Obergrenze für Werbebuchungen öffentlicher Stellen wurde diskutiert, aber verworfen.

Förderung wartet auf EU

Ein Teil des "Medienpakets" der Regierung steht Donnerstag noch nicht im Nationalrat zum Beschluss an: eine neue, zusätzliche Medienförderung von 20 Millionen Euro pro Jahr. Sie muss noch von der EU beihilfenrechtlich geprüft werden.

Diese Journalismusqualitätsförderung wird laut Entwurf großteils nach der Zahl der angestellten Journalistinnen und Journalisten in Medienunternehmen bemessen. Bis zu 1,5 Millionen Euro pro Medium sind vorgesehen. Bonuszahlungen gibt es für Frauenförderung, Qualitätssicherung, Redaktionsstatut – aber nicht für die Teilnahme am Presserat. Erstmals werden auch reine Onlinemedien unterstützt.

Auf Drängen der Grünen werden in alle Medienförderungen Bedingungen eingebaut: Medien müssen sich an Grundsätze wie Gewissenhaftigkeit und Korrektheit der Recherche halten. Ausschlussgründe sind etwa die Verbreitung von Hetze, Rassismus oder Homophobie. Parteizeitungen haben keine Chance auf Förderung. (fid, omark, 27.4.2023)