Durch die Pandemie wurden viele Impfungen nicht durchgeführt. Die Folgen sieht man bereits, auch in Österreich gab es heuer bereits einen großen Masernausbruch, 2022 gab es insgesamt 62 Fälle von Diphtherie, davon ein Todesfall.

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Eigentlich hat die Menschheit ziemlich viele Infektionskrankheiten gut im Griff – weil es Impfungen dagegen gibt. Doch nun könnte der Welt eine Welle von Ausbrüchen bevorstehen. In Ansätzen ist das bereits erkennbar. Der Grund dafür: Dutzende Millionen Kinder weltweit wurden in der Covid-19-Pandemie nicht mehr geimpft. Auch Österreich ist betroffen, vor allem bei Masern und Diphtherie, erklärten am Mittwoch Expertinnen und Experten bei einer Ärztefortbildung an der Med-Uni Wien. Mark Muscat von der Weltgesundheitsorganisation WHO nannte besorgniserregende Zahlen: "Durch die Covid-19-Pandemie ist es zu einem noch nie gekannten Rückfall bei den Impfungen gekommen."

Das Gesundheitswesen in vielen Staaten der Erde war durch die Pandemie überfordert. Selbst in den reichsten Ländern wurde das medizinische Leistungsangebot drastisch zu Ungunsten der Impfungen verschoben oder zurückgefahren. Viele Eltern scheuten vor dem Gang zum Arzt oder in Ambulanzen zurück. Muscat: "Damit wurden weltweit rund 67 Millionen Kinder nur teilweise durch erhältliche Impfungen geschützt. 48 Millionen Kinder bekamen überhaupt keine Impfungen."

Allein bei den Immunisierungen gegen Diphtherie-Tetanus-Pertussis (DTP) bekamen weltweit 18 Millionen Kinder im Jahr 2021 keine einzige Teilimpfung. Bei der Masernimpfung klafft laut dem WHO-Experten eine Lücke von 25 Millionen Kindern ohne jeglichen Impfschutz (Masern-Mumps-Röteln). "In den 53 Staaten der WHO-Europa-Region erhielten mehr als 336.000 Kinder diese Vakzine überhaupt nicht", erklärte Muscat.

Starker Masernausbruch

Das Ergebnis ist bereits bemerkbar. Im Jänner und im Februar wurden im Jahr 2023 mit 993 Masern-Fällen in der WHO-Region Europa bereits mehr solcher Erkrankungen gemeldet als im gesamten Jahr 2022. Dazu gehören auch die seit Anfang des Jahres registrierten Fälle in Österreich. Das höchst ansteckende Virus hatte quasi eine Weltreise hinter sich, bis es in der Steiermark für eine Krankheitswelle sorgte. "Der Genotyp D8-5963 wurde erstmals 2020/2022 in Indien festgestellt", sagt Lukas Weseslindtner vom Zentrum für Virologie der Med-Uni Wien. Ende 2022 sequenzierte man den importierten Erreger dann in Australien, im Jänner dieses Jahres bereits in Frankreich. Zwei nicht geimpfte junge Männer brachten dann das Virus – unabhängig von einander – aus der Türkei nach Österreich. Eine Hochzeit mit rund 400 Gästen in der Steiermark war dann quasi "die Chance" für die potenziell lebensgefährlichen Krankheitserreger.

Die Steiermark, Wien, Oberösterreich, das Burgenland und Niederösterreich haben bisher Erkrankungsfälle registriert. "Wir stehen jetzt bereits bei 117 laborbestätigten Fällen", sagte der Virologe, spezialisiert auf die Sequenzierung solcher Erreger, um deren Verbreitung auf genetischer Basis exakt nachvollziehen zu können. Die Häufigkeit der Erkrankung ist mittlerweile in Österreich von ehemals 0,1 Erkrankungen pro Million Einwohner und Jahr auf einen aktuellen Wert von 12,9 pro Million Einwohner gestiegen.

Ähnlich problematisch ist die Situation bei Diphtherie. Diese Erkrankung glaubte man in den reichen europäischen Staaten mit dem Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Vakzin weitestgehend unter Kontrolle zu haben. Doch auch in dieser Hinsicht ist der Impfschutz in Österreich mangelhaft.

36 Prozent nicht ausreichend vor Diphtherie geschützt

Angelika Wagner vom Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Med-Uni Wien veröffentlichte in Eurosurveillance eine aktuelle Studie mit äußerst bedenklichen Ergebnissen. Sie und ihre Co-Autoren haben die Antikörperwerte von 10.247 Probanden auf Impfschutz gegen Diphtherie und von 8.034 Personen auf per Immunisierung erreichten Schutz vor Tetanus untersucht. 36 Prozent hatte keine ausreichend hohe Konzentration an Antikörpern als Folge einer Impfprophylaxe gegen die Diphtherie. In Österreich liegt laut der Expertin die Rate der wirklich durchgeführten Grundimmunisierung gegen die Diphtherie bei 85 Prozent, in Westeuropa sind es 94 Prozent.

Auch hier gälte es dringend, Impflücken zu schließen. Bis zum 20. Dezember vergangenen Jahres wurden in der WHO-Europa-Region 391 Diphtherieerkrankungen registriert. Im Jahr 2022 wurden in Österreich 62 Fälle bestätigt. Rund 70 Prozent davon entfielen auf Hautinfektionen. Doch es traten auch Fälle auf, in denen die Atemwege betroffen waren, und es gab einen Todesfall.

Entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen sei "keine Intervention so umstritten wie die Impfung", betonte Med-Uni-Wien-Rektor Markus Müller zu Beginn der Veranstaltung. Ärzte engagierten sich seit Jahrhunderten gegen Aberglauben. Aber offenbar zeige die Geschichte: "Aberglaube gehört zur Medizin wie der Senf zur Wurst." Dabei hätte schon Kaiserin Maria Theresia (1717 bis 1780) einen Erlass gegen Aberglauben herausgegeben, nach einer von ihr angeordneten Reise ihres Arztes Gerard Van Swieten nach Transsylvanien, wo er die Mär von dort vorkommenden blutsaugenden Vampiren widerlegte. (APA, red, 27.4.2023)