Ein Steinbock auf dem Watzmann. Ihm könnte es bald zu warm werden.
Foto: IMAGO/imageBROKER/Herbert Berger

Nicht alle Regionen werden vom Klimawandel gleich stark getroffen. In den Alpen vollzieht sich die Erwärmung besonders schnell. Ein Ökosystem, das sich über lange Zeit an die Gegebenheiten angepasst hat, muss sich nun in wenigen Jahrzehnten umstellen. Tiere wie Steinbock oder Gämse könnten in Zukunft an ihre Grenzen kommen.

"Wie schnell es eine Tierart schafft, sich an die Veränderungen des Lebensraumes anzupassen, ist von vielen Faktoren abhängig", sagt Gunther Gressmann, der als Wildbiologe im Tiroler Teil des Nationalparks Hohe Tauern arbeitet. Generell könne man sagen, dass es Arten einfacher haben, die mehrere Generationen pro Jahr entwickeln können. Als Beispiel nennt er Insekten.

Arten mit längeren Generationszeiten, wie große Säugetiere oder viele Vögel, tun sich mit Veränderungen schwer und sind an stabile Lebensräume gebunden. Denn die Anpassungsfähigkeit wird durch die Möglichkeit einer Tierart bestimmt, durch Genmutationen der Folgegenerationen auf die geänderten Bedingungen zu reagieren. "Da geht es um die zufälligen Mutationen, die etwas bewirken, was für das Tier positiv ist und das sich in den nächsten Generationen durchsetzen wird. Der Klimawandel ist aber ein Prozess, der derartig schnell geht, dass da einige Arten auf der Strecke bleiben werden", erklärt Gressmann.

Steinbock gefährdet

Eine dieser Arten könnte der Steinbock sein. Dieser sei durch seine Geschichte genetisch sehr eingeschränkt, da er Anfang des 19. Jahrhunderts nahezu ausgerottet wurde und alle heute lebenden Individuen auf rund 100 Tiere zurückgehen, die im Gebiet des Gran Paradiso in Italien überleben konnten. Für den Wildbiologen Gressmann stellt sich die Frage, wie weit so eine Art mit Veränderungen zurechtkommt.

Hitze etwa verträgt der "König der Alpen" schlecht. Der Steinbock ist eher an die Kälte angepasst und friert erst ab etwa 20 Grad unter null. "Er hat Fettreserven und das dichte Winterfell und bekommt daher schneller Hitzestress", sagt Gressmann. Kurzfristig könne er auf warme Wintertage nur mit der Änderung seines Verhaltens reagieren, indem er die Nahrungsaufnahme in die Nachtstunden verlegt und sich tagsüber ein schattiges Plätzchen sucht. Im Allgemeinen schwäche die Hitze aber die Abwehrkräfte der Tiere.

Am deutlichsten zeigt sich die Komplexität des Themas beim Zusammenspiel zwischen dem Angebot an Nahrung und der Reproduktion von Gämse und Steinbock. Die Tiere haben den Zeitpunkt der Geburten auf die Verfügbarkeit von nährstoffreichen Gräsern und Kräutern abgestimmt. Durch wärmere Winter und eine früher einsetzende Schneeschmelze verschiebt sich das Wachstum der Futterpflanzen aber um einige Wochen nach vorne.

Die Verholzung findet daher ebenfalls früher im Jahr statt, mit diesem Prozess nimmt der Nährstoffgehalt ab. Muttertieren, die viel Energie in die Produktion von Milch stecken müssen, und Jungtieren, die von der Milch auf Grünfutter umgestellt werden, steht dann nicht mehr die beste Futterqualität zur Verfügung. Das hat den Effekt, dass manche Jungtiere nicht genug Reserven für den Winter haben und einige Geißen nur mehr jedes zweite Jahr ein Kitz bekommen.

Eine andere Art, die laut Gressmann als sehr stark gefährdet gilt, ist das Auerwild. Der Vogel brauche relativ lichte und gut strukturierte Wälder, die aber aufgrund wirtschaftlicher Interessen im Gebirge zu wenig vorhanden seien. Dem Raufußhuhn sei der Lebensraum abhandengekommen, da große zusammenhängende Gebiete auseinandergebrochen seien und auch kleinere weiter zerstückelt werden. Das führe dazu, dass zwischen den Tieren in den einzelnen Teilpopulationen kein genetischer Austausch mehr stattfinden könne. Auf lange Sicht komme es dadurch zu einer sogenannten Inzuchtdepression, was einen Verlust der genetischen Anpassungsfähigkeit zur Folge hätte.

Der Borkenkäfer dürfte zu den Arten gehören, die von der Klimaerwärmung profitieren.
Foto: APA/dpa/Harald Tittel

Parasiten profitieren

Zu den Profiteuren von höheren Temperaturen würden neben wärmeliebenden Insekten wie dem Borkenkäfer in erster Linie Parasiten zählen. Deren Entwicklungszeit verkürze sich, und sie könnten in einem Jahr mehr Generationen hervorbringen als gewohnt. Das erhöhe den Infektionsdruck bei den Wildtieren und führe zu mehr Krankheiten. Als Beispiel nennt Gressmann die Gamsblindheit, ausgelöst durch ein Bakterium, das von verschiedenen Fliegenarten übertragen wird. Bis jetzt hatten die Gämsen ab Oktober Ruhe vor dieser Krankheit, doch in den letzten Jahren seien die Fliegen sogar noch im Dezember und Jänner unterwegs gewesen.

"Die Wissenschaft ist sich einig, dass das sechste Artensterben angefangen hat und der Mensch das verursacht hat", sagt Gressmann. Aufzuhalten sei diese Entwicklung nicht mehr, betont der Wildtierbiologe. Nun sei es wichtig, die Mechanismen zu erkennen, um richtig darauf reagieren zu können. (APA, red, 27.4.2023)