Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) gab die Studie "Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Segregation" in Auftrag. Der Bericht "stellt eine wesentliche Grundlage zur Bekämpfung problematischer Strukturen dar", schreibt sie im Vorwort.

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Beim Thema Migration und Integration gehen häufig die Wogen hoch. Sicher ist, dass die Bevölkerung Österreichs ohne Zuwanderung schrumpfen würde. Klar ist aber auch, dass das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen auch gesellschaftliche Probleme mit sich bringt, die sich durch mangelnde Integration ergeben. Wie groß die Probleme sind und wo sie liegen, soll eine vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebene empirische Studie mit dem Titel "Zusammenhalt und Segregation – Eine Bestandsaufnahme zu Integration und Desintegration in Österreich" klären.

Quantitative Befragungen

Ein Teil der Studie, an der u. a. Migrationsforscher Ruud Koopmans, Soziologe Kenan Güngör, Meinungsforscher Peter Hajek, Bildungsmanagerin Emina Saric und Stephan Marik-Lebeck von der Statistik Austria beteiligt waren, sind quantitative Befragungen von 1.143 Österreicherinnen und Österreichern, 981 Zuwanderern, die schon länger als fünf Jahre hier leben, sowie 1.107 Zuwanderern mit kürzerer Migrationsgeschichte (Frauen und Männer hielten sich dabei annähernd die Waage).

Am Donnerstag präsentierte das Autorenteam in Wien die Ergebnisse. Hier eine Zusammenfassung nach Themenbereichen:

  • Politik und Institutionen: Ein Viertel der Zugewanderten befürwortet einen starken Führer an der Spitze des Staates, ungefähr ebenso viele haben eine neutrale Meinung dazu (stimme "weder noch" zu). Rund die Hälfte der Zugewanderten lehnt einen starken Führer an der Spitze des Staates (eher) ab. Die Demokratie als Staatsform ist für den Großteil der Zugewanderten sehr wichtig, für Personen mit längerer Migrationsgeschichte etwas häufiger (81 %) als für Personen mit jüngerer Migrationsgeschichte (76 %). In Syrien und in der Türkei Geborene befürworten am häufigsten die Demokratie als Staatsform (84 % bzw. 83 %), am seltensten Zugewanderte aus Afghanistan (68 %). Ein Viertel der Zugewanderten aus der Türkei fühlt sich von Politikern im Herkunftsland besser vertreten als von österreichischen Politikern, bei in Serbien Geborenen ist es ein Fünftel.
  • Religion: Der Großteil der Zugewanderten lehnt einen religiösen Gelehrten an der Staatsspitze ab, Personen mit längerer Migrationsgeschichte tun dies häufiger (75 %) als jene mit jüngerer Migrationsgeschichte (68 %). Mit höherem Bildungsniveau steigt die Ablehnung einer religiösen Staatsführung. Am niedrigsten ist die Ablehnung bei Zugewanderten aus der Russischen Föderation (62 %), bei Personen aus Bosnien und Herzegowina bzw. der Türkei ist sie dagegen am höchsten (je 77 %). Es gibt generell eine hohe Zustimmung bei Zugewanderten für ein Verbot, sich über Religion öffentlich lustig machen zu dürfen.
  • Gewaltbereitschaft: Die meisten Zugewanderten lehnen Gewalt bei Ehrenbeleidigung ab, Zugewanderte mit längerer Migrationsgeschichte häufiger (84 %) als jene mit jüngerer Migrationsgeschichte (71 %). Bei höherer Schulbildung bzw. mit längerer Aufenthaltsdauer wird Gewalt bei Ehrenbeleidigung häufiger abgelehnt. Am niedrigsten ist die Ablehnung von Gewalt bei Zugewanderten aus Afghanistan (69 %), am höchsten bei Personen aus Bosnien und Herzegowina (84 %) bzw. Serbien (85 %).
  • Homosexualität: Eine Ablehnung von homosexuellen Familienmitgliedern ist unter Zugewanderten eher weit verbreitet. Vier von zehn Zugewanderten akzeptieren ein schwules oder lesbisches Familienmitglied (eher) nicht. Fast die Hälfte der Zugewanderten aus der Türkei bzw. Syrien hätte ein Problem mit einem homosexuellen Familienmitglied, am wenigsten gaben dies Personen aus Afghanistan und Serbien an.
  • Einstellungen gegenüber Frauen: Fast die Hälfte der Zugewanderten mit jüngerer Migrationsgeschichte findet den Lebensstil österreichischer Frauen zu freizügig. Insbesondere Personen mit kürzerer Aufenthaltsdauer in Österreich (ein bis fünf Jahre) stimmten dieser Aussage oft zu (61 %). Besonders häufig empfinden Zugewanderte aus Syrien, Afghanistan und der Türkei den Lebensstil der österreichischen Frauen als zu freizügig (54 %, 47 % bzw. 39 %).
  • Einkommensgerechtigkeit und Familie: Gleiche Bezahlung für Frauen und Männer ist Zugewanderten generell wichtig. Traditionelle Einstellungen zu Geschlechterrollen sind aber unter Zugewanderten mit jüngerer Migrationsgeschichte eher verbreitet als unter Personen, die schon lange hier leben. Während 13 % der Österreicherinnen und Österreicher die Meinung befürworteten, dass der Mann die Familie nach außen repräsentiert, stimmte ein Drittel der Zugewanderten mit längerer bzw. 44 % jener mit jüngerer Migrationsgeschichte dieser Aussage zu.
  • Kontakte und Freundschaften: Die engsten Freundinnen und Freunde von Zugewanderten kommen oft aus dem Herkunftsland, am häufigsten bei in der Türkei geborenen Personen (64 %), weniger häufig aber bei Zugewandertengruppen mit jüngerer Migrationsgeschichte (38 %).

Kaum Parallelgesellschaften

In der Studie heißt es, dass in Österreich kaum Parallelgesellschaften vorhanden seien, dafür aber Milieus mit desintegrativen Tendenzen. Vorgeschlagen wird ein dreistufiges Monitoringsystem, das von einer Kartierung von Räumen mit Herausforderungen über eine österreichweite Basisbefragung bis zu qualitativen Vertiefungsstudien reicht.

Lösungsansätze: Deutsch und Bildung

Aus der weiteren Befragung von relevanten Stakeholdern und Multiplikatoren aus der Wirtschaft, dem Bildungsbereich und bei Behörden ergaben sich folgende Lösungsansätze: Die Bemühungen, Menschen mit Sprachdefiziten die deutsche Sprache zu vermitteln, müssen verstärkt werden. Handlungsbedarf bestehe außerdem in einer besseren Verteilung von Menschen mit Migrationshintergrund sowohl in Hinblick auf Wohngebiete als auch auf Schulen. Lehrende schlugen vor, in Klassen ein Quorum von maximal 25 Prozent an Kindern mit geringen Deutschkenntnissen einzuführen.

Arbeitszugang erleichtern

Am Arbeitsmarkt wäre vor allem der erleichterte Zugang für neu ankommende Menschen wichtig, da die Integration häufig über eine Einbettung in die Arbeitswelt geschieht und den Betroffenen damit vermittelt wird, ein Teil der Gesellschaft zu sein. Monate- oder sogar jahrelang "zum Nichtstun gezwungen zu sein" habe einen negativen Effekt auf die Integration der Betroffenen.

Integration ist nicht Assimilierung

Schlussendlich plädierten die Befragten für Bewusstseinsbildung auf beiden Seiten, dass Integration nicht als Assimilierung missverstanden werden und dass Vielfalt auf jeden Fall weiter bestehen solle. Vielmehr gehe es darum, die eigenen Traditionen zu pflegen, sich aber gleichzeitig auch in der österreichischen Gesellschaft gut zurechtzufinden und etablieren zu können. Auch seitens der Mehrheitsgesellschaft müsse dafür gesorgt werden, dass bei allen Unterschieden die grundlegende Wertschätzung und das Verständnis für den anderen gepflegt werde. (Michael Simoner, 27.4.2023)