Bei der Planung hat das Weiße Haus nichts dem Zufall überlassen: Zum erst zweiten Staatsbankett in der Regierungszeit Joe Bidens war das Who’s who der koreanischen Diaspora in den USA geladen; zum Abendmahl gab es Meeresfrüchte von den heimischen Küsten, serviert mit koreanischer Gochujang-Sauce. Auch der Gast ließ sich nicht lumpen: Koreas Präsident Yoon Suk-yeol hatte Gedichte aus der Feder des irischen Dichters Seamus Heaney auswendig gelernt, des Lieblingspoeten von US-Präsident Joe Biden. Am Ende forderte Biden seinen Gast gar zum Singen auf – der sichtliche erfreute Yoon trug dem Saal eine Version des US-Klassikers American Pie vor.

DER STANDARD

Anlass der perfekten Inszenierung ist nicht nur die koreanische Begeisterung für Etikette in all ihren Facetten – es gibt auch handfeste politische Gründe, um Einigkeit zu demonstrieren. Vor allem geht es um das eigentlich sehr ernste Thema der nuklearen Bewaffnung und des militärischen Beistands.

In Südkorea sind in letzter Zeit die Zweifel gewachsen, ob man – trotz zahlreicher Verträge und Beteuerungen – im Ernstfall einer Eskalation mit Nordkorea von den USA tatsächlich auch nuklear verteidigt würde. Hintergrund ist der chaotische US-Abzug aus Afghanistan, aber auch der Kuschelkurs von Ex-Präsident Donald Trump mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un.

Kurzer Weg zur Bombe

Das hat vor allem einen Nebeneffekt, den man in Washington unbedingt vermeiden will: Immer offener sprechen Expertinnen und Experten koreanischer Thinktanks, aber auch Politiker der regierenden Konservativen Partei davon, man solle über eigene Atomwaffen nachdenken. Auch Yoon selbst, der zu gelegentlichen unbedachten Aussagen neigt, hat im Jänner derartiges zu Protokoll gegeben. In Umfragen hat der Bau eigener Atomwaffen seit Jahren stabile, große Mehrheiten hinter sich. Nach den starken Worten brauchte Yoon Ergebnisse. Auch deshalb die Charmeoffensive des Besuchers.

US-Präsident Joe Biden sicherte seinem südkoreanischen Gast Yoon Suk-yeol bei dessen Besuch in Washington am Mittwochabend ein "ehernes Bündnis" der USA mit Südkorea zu.
Foto: AP / Ahn Young-joon

Aber auch die USA hatten guten Grund für freundliche Nasenlöcher. Sie sind in Sorge, weil der Weg, den Südkorea zum Bau eigener Atombomben beschreiten müsste, denkbar kurz ist. Schon jetzt hat das Land zahlreiche Atomreaktoren, die es teils auch selbst herstellt und deren Treibstoff es selbst aufbereitet. Fachleute nennen einen Zeitraum von maximal zwei bis drei Jahren – immer wieder sind auch Rahmen von wenigen Monaten zu hören.

Die USA wollen das unbedingt vermeiden, auch wegen des Präzedenzfalls, den das darstellte: Schafft jedes Land, das einer Bedrohung durch einen aggressiven Nachbarn ausgesetzt ist, Atomwaffen an, wäre dies das Ende der Nichtverbreitung nuklearer Sprengkörper.

Atom-U-Boote ins Ostmeer

Auch deshalb ist Biden seinem Gast beim Treffen am Mittwochabend recht weit entgegengekommen. Die USA werden zwar nicht – so wie es bis zum Ende des Kalten Krieges der Fall war – wieder eigene Atomwaffen in Südkorea stationieren, doch will man deutliche Signale senden, dass man schnell in der Umgebung sein könnte. Dazu zählt die regelmäßige Entsendung von Atom-U-Booten ins Ostmeer vor der koreanischen Küste.

Yoon Suk-yeol singt "American Pie".
Foto: AP / Susan Walsh

Vor allem aber wird man gemeinsame Trockenübungen mit dem koreanischen Gegenüber nicht mehr automatisch abbrechen, sobald es in der Simulation zum Einsatz von Atomwaffen kommt. Bisher hatten die USA für sich behalten, was man dann im Weiteren tun würde – nun sollen die koreanischen Militärs auch in diese besonders geheimen Teile der Strategie Einblick erhalten.

Nicht ganz eindeutig formuliert ist allerdings eine Passage zur nuklearen Verteidigung. Yoon sagte in einer Pressekonferenz nach dem Abschluss der Vereinbarung, die USA hätten sich dazu verpflichtet, selbst auch Atomwaffen einzusetzen.

"Alle Bemühungen"

In Korea wurde von Fürsprechern einer harten Verteidigungspolitik aber darauf hingewiesen, dass im Text nur von "allen Bemühungen, die Republik Korea zu konsultieren", die Rede ist. Sie kritisieren Yoons Nachgeben in der Frage.

Aus Nordkorea, das seine Provokationen – Raketentests, wüste Drohungen und nukleare Aufrüstung – zuletzt ausgebaut hatte, gab es zunächst keine Reaktion. Es wurde aber davon ausgegangen, dass Pjöngjang den Schritt als neue Provokation sieht. (Manuel Escher, 27.4.2023)