Wollte man Sandro Donati in die Pfanne hauen? Diese Theorie greift die eben auf Netflix angelaufene Serie Der Fall Alex Schwazer auf. Schwazer war 2008 Olympiasieger im Gehen über 50 Kilometer. Vier Jahre später wurde der Italiener kurz vor den Spielen von London des Dopings überführt. Nach einer vierjährigen Sperre gab Schwazer 2016 ein Comeback – und lieferte kurz darauf wieder einen positiven Test ab. In diesem zweiten Dopingfall beteuert der 38-jährige Südtiroler bis heute seine Unschuld. Die Proben seien manipuliert worden. Sein Trainer zum damaligen Zeitpunkt war Sandro Donati. Und dieser Donati hat nicht nur Freunde.

Olympiasieger Alex Schwazer wurde zweimal gesperrt.
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"Ich bin wegen Donati nach Rom gezogen. Er war damals meine wichtigste Bezugsperson. Ich war jeden Tag bei ihm abendessen."

Der Coach hat eine Vorgeschichte. Sie betrifft eine der unrühmlichsten Episoden in der Geschichte der Leichtathletik. Wir schreiben 1987, im Olympiastadion von Rom werden die Weltmeisterschaften ausgetragen. Im letzten Versuch springt der Italiener Giovanni Evangelisti zu einer Weite von 8,38 Metern. Bronzemedaille! Donati, damals im italienischen Verband als Nationaltrainer tätig, äußerte Zweifel an der Messung. Und er sollte recht behalten.

Evangelisti war lediglich 7,80 Meter weit gesprungen. So ein kleiner Irrtum passiert nicht aus Unachtsamkeit. Donati hatte einen üblen Betrug aufgedeckt. Kurz darauf verlor er seinen Job. Als Anti-Doping-Experte nahm er später die radelnden Nationalhelden Francesco Moser und Marco Pantani ins Visier. So macht man sich in Italien zur Persona non grata.

"Der Profisport ist wie jeder andere Bereich im Leben. Es ist eine schöne Sache mit unschönen Nebenerscheinungen."

Das sagt Alex Schwazer zum STANDARD. Schwazer ist kein Unschuldsengel. 2012 reiste er in die Türkei, um seiner Performance mit etwas Erythropoetin, kurz Epo, nachzuhelfen. Epo war lange Zeit das Frühstück der Champions, die Liste der überführten Sportler und Sportlerinnen ist endlos: von US-Radprofi Lance Armstrong bis ÖSV-Langläufer Johannes Dürr. Epo macht den feinen Unterschied zwischen Mitläufer und Sport-Ikone.

Netflix

Als Schwazer zu der verbotenen Substanz greift, ist er in keinem guten Zustand, depressiv und ausgebrannt. Der Geher sieht, wie die Konkurrenz schneller wird. Er fürchtet um seine Siegfähigkeit. Er fürchtet um eine realistische Chance, seinen Olympiasieg zu wiederholen. Und das will er nicht ohne Widerstand geschehen lassen.

"Das Doping in Russland war offensichtlich. Ich fühlte mich veräppelt. Ich musste entweder aufhören oder mich auch dopen. Und aufhören war keine Option."

Wenn Schwazer heute zurückblickt, sieht er einen Besessenen. Einen, der sich nur über den Sport definiert. Zuerst Sportler, dann Mensch. Als Mensch hätte er eine Pause benötigt. Als Sportler war ihm der Gedanke unerträglich. Der Olympiatriumph in Peking hatte ihm Lust auf mehr gemacht. Er hatte den Gipfel erreicht, wanderte von Talkshow zu Talkshow. Alex Schwazer, Liebling der Nation.

Eiskunstlaufweltmeisterin Carolina Kostner wurde mit in den Abgrund gerissen.
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Seine Beziehung zur Eiskunstlaufweltmeisterin Carolina Kostner füllte die Gazetten. Die Romanze ging später auch deshalb zu Bruch, weil die fünffache Europameisterin ihren Freund gedeckt hatte. Es ist Fakt, dass Kostner bei einem Besuch der Dopingfahnder nicht bei der Wahrheit blieb. Schwazer sei nicht zu Hause, sagte sie. Aber er war es. Kostner wurde 21 Monate gesperrt. Eine Beschwerde vor dem Internationalen Sportgerichtshof scheiterte, an ihre Erfolge konnte die Italienerin nicht mehr anschließen.

"Ich hätte Hilfe benötigt. Ich war nicht mehr in der Lage, alle Aspekte vernünftig zu beurteilen. Weder im sportlichen noch im privaten Bereich."

Nach Gold 2008 und Doping 2012 griff Schwazer 2016 wieder an. Fit und laut eigener Aussage sauber. Er holt sich Sandro Donati als Trainer. Ausgerechnet Donati, der Schwazer der Welt-Anti-Doping-Agentur einst als verdächtig gemeldet hatte. Donati fordert von seinem Schützling komplette Transparenz. Er will für Schwazer jederzeit die Hand ins Feuer legen können. Die beiden sind ein seltsames Paar. Der Dopingsünder und der Anti-Doping-Kämpfer. Aber es funktioniert.

Schwazer geht und geht und geht, Donati fährt mit dem Rad und der Stoppuhr nebenher. Sie trainieren in den Straßen von Rom, werden von Anrainern angefeuert. Als würde Rocky Balboa durch die Gassen ziehen. Die Sommerspiele von Rio sind das große Ziel. Ein fulminantes Comeback steht in Aussicht. Und dann der Dopingtest. Anabole Steroide, acht Jahre Sperre.

Anti-Doping-Kämpfer Sandro Donati hält Schwazer die Stange. Für Netflix ein gefundenes Fressen.
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"Am Anfang war es hart. Wenn jemand unschuldig ist, dann geht er durch alle Instanzen. Und das mache ich auch."

Donati geht von einer manipulierten Dopingprobe aus. Schwazer sei nicht Täter, sondern Geschädigter. Es sei ein Komplott. Gegen Schwazer, gegen Donati. Der Coach sei vielen ein Dorn im Auge, der Läufer hatte als Kronzeuge nach dem ersten Dopingfall mächtige Personen in die Bredouille gebracht. Es geht um den italienischen Leichtathletikverband, den internationalen Leichtathletikverband, die Welt-Anti-Doping-Agentur.

Was sich zunächst abenteuerlich anhört, wurde 2021 vom Landesgericht Bozen bestätigt. Die Urinproben seien manipuliert worden, um ein positives Ergebnis zu erzielen. Trotzdem wurde die Sperre nicht aufgehoben. Schwazer ist vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Er setzt den Kampf um seine Rehabilitierung fort. Das Urteil ist ausständig.

"Als Mensch bin ich gewachsen. Ich habe erst nach der Karriere verstanden, dass ich mehr als nur ein Sportler bin."

Olympia 2024 ist für Schwazer kein Thema. Seine Sperre läuft kurz vor den Spielen ab, es gibt keine Möglichkeit zur Qualifikation. Vielleicht hätte sich Schwazer sonst ein letztes Mal in Gang gesetzt. Der Mann ist aber ohnehin Realist genug, um zu wissen, dass seine besten Jahre als Aktiver vorbei sind. Mit bald 39 Jahren reißt man im Spitzensport keine Bäume aus. Alex Schwazer fühlt sich gereift. Er hat 2019 geheiratet, ist Vater von zwei Kindern. Die Familie lebt in Sterzing, einer kleinen Gemeinde in Südtirol. Das Leben dreht sich nicht mehr um Gold, Rekorde und Intrigen. Das Leben geht weiter. (Philip Bauer, 28.4.2023)