Vor dem Parlament in Bosnien-Herzegowina versammelten sich am Freitag Demonstranten. Denn das Repräsentantenhaus des Landesteils Föderation wählte fast sieben Monate nach den Wahlen eine Regierung. Nermin Nikšić von den Sozialdemokraten wurde zum neuen Ministerpräsidenten. Die Koalition besteht aus der kroatisch-nationalistischen HDZ, der bosniakisch-nationalistischen NiP, den Sozialdemokraten der Naša Straka (Unsere Partei) und der kroatischen HDZ 1990.

SDA ausgebootet

Die Demonstranten protestierten dagegen, dass der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, Christian Schmidt, zuvor die Verfassung des Landesteils Föderation vorübergehend geändert hatte, um die Wahl dieser Regierung zu ermöglichen und dagegen, dass die bosniakisch-nationalistische SDA damit ausgebootet wurde.

Schmidt hatte am Donnerstagabend ein weiteres Mal die Bonner Befugnisse benutzt, um die bestehenden Bestimmungen der Verfassung des Landesteils Föderation, die sich auf die Bildung der Regierung in der Föderation beziehen, vorübergehend außer Kraft zu setzen. Mit dieser Entscheidung von Schmidt bedarf die Bildung der Regierung nicht mehr der Zustimmung der beiden Vizepräsidenten der Föderation. Es genügt nun die Unterschrift der Präsidentin der Föderation, Lidija Bradara, und eines Vizepräsidenten, in diesem Fall des bosnischen Serben, Igor Stojanović.

Christian Schmidt gibt den Durchgreifer.
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Bislang konnte die Regierung nicht gebildet werden, weil der bosniakische Vizepräsident der Föderation, Refik Lendo von der bosniakisch-nationalistischen SDA, dem Koalitionsvorschlag nicht zugestimmt hatte. Schmidt bestimmte am Donnerstagabend auch, dass das Repräsentantenhaus des Parlaments der Föderation am Freitag um 14 Uhr eine Sitzung einzuberufen habe, bei der über die Regierung ohne die Unterschrift von Lendo abgestimmt werden soll. Die SDA ist im Föderationsparlament mit 26 von 98 Abgeordneten die stimmenstärkste Partei. Die kroatisch-nationalistische HDZ, aber auch die Sozialdemokraten weigerten sich jedoch, sich mit Vertretern der SDA zu treffen, um eine Regierungsbildung zu ermöglichen.

Regierung nach Wunsch der USA

Schmidt hätte gar nicht die Bonner Vollmachten benutzen müssen, damit eine Regierung zustande kommt. Es wäre einfach nur notwendig gewesen, eine Koalition mit der SDA zu machen. Doch dies war nicht im Sinne einiger internationaler Diplomaten, insbesondere jener aus den USA, und der kroatisch-nationalistischen HDZ.

Auf der Pressekonferenz sagte Schmidt, sein Handeln richte sich weder für noch gegen irgendein Volk oder eine politische Partei, sondern er lasse sich von dem Grundsatz leiten, was das Beste für dieses Land und alle seine Bürger sei. In einer Demokratie gehe es darum, den Willen der Wähler zu akzeptieren. Das Pikante: Wenn Schmidt am Wahlabend, den 2. Oktober 2022, nicht die Verfassung und das Wahlgesetz geändert hätte, wäre es gar nicht zu der jetzigen Pattsituation gekommen.

Kinder-Überraschungseier

Denn der Umstand, dass der SDA-Mann Lendo Vizepräsident wurde und demnach eine entscheidende Position hat, ist auf eine Entscheidung von Schmidt zurückzuführen. Schmidt hat sich damit nicht nur im sprichwörtlichen Sinne selbst ein Ei gelegt. Weil Schmidt nämlich das Wahlgesetz änderte, musste eine Stimme am Ende durch ein Losverfahren vergeben werden. In einen Glasbehälter wurden deshalb Kinder-Überraschungseier mit den Namen von Abgeordneten gegeben und einer gezogen. Dadurch kam die SDA in eine bessere Position, und Lendo wurde in der Folge Vizepräsident.

Der Schweizer Politologe und Experte für das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR), Adis Merdžanović, twitterte nach der Entscheidung von Schmidt, dass es ärgerlich sei, wie der OHR den politischen Prozess der Regierungsbildung behandle. Vetorechte seien schließlich ein Merkmal des politischen Systems von Bosnien-Herzegowina, ob man dies wolle oder nicht. "Sie mit Ad-hoc-Entscheidungen zu umgehen ist weder klug noch demokratisch."

Unangemessene Entscheidungen

Merdžanović fügte hinzu, dass Schmidt mit seiner Wahlrechtsänderung am Wahlabend dem "Wahlprozess die demokratische Berechenbarkeit" entzogen habe. "Jetzt ändert er das System erneut, um eine Regierung zu installieren, die sonst keine parlamentarische Unterstützung erhalten könnte. Ist das gute Regierungsführung?" Es sei zweifelhaft, ob die Entscheidungen des OHR in Bosnien-Herzegowina, einem Land, das Mitglied des Europarats sei, überhaupt noch legitim seien. "Die Aufrechterhaltung der Stabilität in gespaltenen Gesellschaften hängt von der Berechenbarkeit von Prozessen und Regeln ab. An dieser grundsätzlichen Angemessenheitsprüfung scheitern Schmidts Entscheidungen."

Schmidt hatte am Wahltag selbst das Wahlgesetz und die Verfassung des Landesteils Föderation geändert, auch weil die US-Botschaft dies wünschte und weil man in Washington der Meinung ist, dass die Regierungsbildung im Landesteil Föderation Vorrang haben müsse. Diese war jahrelang von der HZD blockiert worden. Auch jetzt gab die US-Botschaft, die Schmidt Anweisungen gibt, bekannt, dass Schmidt habe handeln müsse.

Brutaler Angriff auf die verfassungsgemäße Ordnung

Die Partei Demokratische Front (DF), die sich seit Jahren für ein ziviles Bosnien-Herzegowina einsetzt, in dem die Rechte des Einzelnen besser gewahrt werden als die Gruppenrechte, die nur den Nationalisten Macht geben, verurteilte Schmidts Entscheidung: "Es ist völlig klar, dass dies ein brutaler Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung durch einen Ausländer in unserem Land", so die DF. Es sei nur darum gegangen, "Wahlregeln im Interesse der HDZ durchzusetzen" und eine Regierung mit anderen Parteien rund um die HDZ zu bilden.

Kritisiert wurde auch die Einmischung Kroatiens, die hinter der Politik Schmidts steckt. "Das bedeutet nichts anderes als die historische Demütigung von Bürgern, vor allem bosniakischer Bürger, aber auch all jener Bürger nicht-bosniakischer Nationalität, Kroaten, Serben und anderer, und Bürger als solche, die nicht in den konkreten ethnischen Begriff passen", so die DF.

HDZ-Macht abgesichert

Ein anderer Teil von Schmidts Entscheidungen tritt am 1.5.2024 in Kraft – wenn das Parlament nicht vorher eine andere Regelung trifft. Demnach kann eine Regierung künftig mit nur zwei Unterschriften des Präsidenten und eines Vizepräsidenten gebildet werden, allerdings hat dann, anders als jetzt, der übergangene Vizepräsident die Möglichkeit, Veto einzulegen. Schmidt hat auch die Zustimmung von einer bestimmten Abgeordnetenzahl für diese Regelung eingeführt, die ebenfalls der HDZ dient. Schmidt hat also mit seiner Entscheidung erstens dafür gesorgt, dass die SDA diesmal nicht Teil der Regierung sein wird und zweitens, dass die HDZ von nun an höchstwahrscheinlich immer Teil der Regierung sein wird.

"Christliche Grundlagen"

Interessant ist auch, dass der Chef der kroatisch-nationalistischen HDZ, Dragan Čović, nicht nur von seiner Schwesternpartei in Kroatien und den allermeisten Politikern und Diplomaten aus Kroatien unterstützt wird, sondern auch von der Regierung in Ungarn. Das bosnische Medium Istraga veröffentlichte einen Audiomitschnitt, in dem zu hören ist, wie der ungarische Außenminister Péter Szijjártó im Jahr 2021 hinter verschlossenen Türen zu Čović sagte: "Wir sind für ein neues Wahlgesetz."

Irritierend ist vor allem Szijjártós Argumentation, wenn es um einen Staat geht, in dem die Mehrheit der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Musliminnen und Muslime sind. Szijjártó sagte nämlich: "Da wir beide auf christlichen Grundlagen und Werten basieren, ist es klar, dass wir Sympathie empfinden und Sympathie mit Kroaten teilen. Ich kann Ihnen also versprechen, Herr Präsident, dass wir bis zum Ende bei Ihnen sein werden und Sie unsere Unterstützung haben werden."

Einfluss von Orbán

Einen Monat nach dem Treffen zwischen Szijjártó und Cović sagte der ungarische Premierminister über Bosnien und Herzegowina Folgendes: "Ich werde alles tun, um die höchsten europäischen Beamten davon zu überzeugen, dass die Schlüsselfrage, egal wie weit der Balkan von ihnen entfernt sein mag, darin besteht, die Sicherheit eines Landes zu lösen, in dem zwei Millionen Muslime leben."

Der Einfluss Ungarns auf dem Westlichen Balkan wächst. Die autokratische Regierung von Viktor Orbán unterstützt vor allem andere autoritär und nationalistisch gesonnene Politiker und Parteien. Kürzlich wurde der ungarische Diplomat László Márkus zum Leiter des OHR-Regionalbüros in Banja Luka ernannt. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 28.4.2023)