Die drei besten Texte wurden prämiert.

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Platz 1

Leopoldsgebet (Nero Campanella)

Leopold, Milder von Melk, Markgraf und Heiliger, du, Petrussohn und Schutzherr der Mönche, Fässer und Kinderreichen, der Hirten und Jäger, der Praterkater und Schädelträger, barmherzigster Klosterherr und Patron der Holzfäller, Bergsteiger und Sargschreiner, des Kartoffelschmarrns und der Grießnockerlsuppe, des Zirbenbrands und Magendurchbruchs, der Kartenzinker, Gläubiger, Faustkämpfer, Zahnärzte und Glaser, des kernigen Landmanns, der Hartleibigen und -lebrigen, der Schwarzbrenner, Sprengmeister und Flüssigfrühstücker, der Tunnelbauer, Kellergeister und Modelleisenbahner, der Fastenbrezeln und des Lebensekels, des Stumpfsinns vor vier und nach vier, der Heuchler und Sozialdemokraten, Zigarrenkauer und Röhren ohne Braten, der Jungfrauen und Greisinnen, der ziellos Wartenden, grundlos Hoffenden, sinnlos Liebenden und wahllos Glaubenden, der Betenden und Wassertretenden, Dementen und Inkontinenten, des Putzzwangs und der Schmutzangst, der weißen Rüschen und braunen Hemden, der Zittertierchen und Peitschenwürmer, des Beichtstuhls und der Kläranlagen, der Desinfizierenden, Eliminierenden und Exkulpierenden, der Parasitenparanoiden, des Zeckenekels, der blutigen Laken und Psychoanalyse, der von Ungeziefer Träumenden, als Ungeziefer Erwachenden, täglich den Dachstuhl Räumenden, die Zäune nächtlich Überwachenden, der Kriegsversehrten und schuldlos Entehrten, der Migräne und Stalinorgeln, der Mozartkenner und Nervenärzte mit militärischem Rang, des Hundegebells, der unverständlichen Schreie im Schlaf und der unbegreiflichen Stille der Schlacht, der kalten Hände, der klebrigen Lende, der Nacht – der unbetretenen Lichtungen im Vollmond, der für Monster gehaltenen Menschen und für Menschen gehaltenen Monster, der an Hochzeits- oder Todestag Unreinen, Unausgenüchterten und Unerkannten, der Fischschößigen, Rachenranzigen und Borstenwanstigen, der Sünder mit Tieren und Mayonnaise, der Knittel im Nachttisch, der Väter, Wölfe und des Schäfchenzählens, der Missgeburten durch Unfall, Fluch und Inzucht, der Weltflucht und Poesie, der Wahnsinnigen und Sinnwähnenden, des Hochmuts und der Ironie, des Vielsinns und Zweifels, des Zufalls und der Wahrheit nach dem Tod, der Ketzer und Hetzer, der Feinde der Klarheit und Streiter der Wahrheit, schlangeneiergleich, der Besserwisser und Schlimmermacher, der Ungeborenen, des Fortschritts zwischen Jetzt und Nie, der Chorknaben, des Gotteslobs, der Liebe und des himmelnden Blicks, der Weihrauchallergiker, der Kissensabberer und Kieferknirscher, der Lästerzungen und Herpeslippen, des Mundgeruchs und des Vertrauens, der Männerheiterkeit, der Vereinsfeiern und des Kriegswesens, der Stricke, die nicht reißen, des Gulaschs und der Apokalypse, der gegrillten Hammelnieren und all derer, deren letzte reuevolle Worte keiner verstanden hat, auch Gott nicht, und derer, die hoffen auf das Nichts, wie auch des Nichts selbst, das aus allem spricht, was wir sagen und nicht sagen, wie aus allem, was unsagbar ist, bitte für uns, Amen!

Nero Campanella wurde als Sascha Becker 1977 in Saarbrücken in Deutschland geboren. Er veröffentlicht seit etwa zwanzig Jahren Lyrik und Prosa unter wechselnden Pseudonymen in Zeitschriften, Zeitungen und Anthologien. Im Moment arbeitet er an seinem zweiten Roman.

Platz 2

Ein Fenstertag (Claudia Bitter)

Elfriede nimmt die Küchenschürze vom Nachtkastl und bindet sie um das Nachthemd. Sie wünscht den Gartenzwergen in der Küche einen Guten Morgen und verspricht ihnen einen Kaiserschmarrn am Abend. Elfriedes Gatte Hubert nennt die Gartenzwerge Zimmerzwerge, heimlich träumt er schon lange davon, einen zu essen.

Da ruft die Sisi aus dem Dreiersessellift an, neben ihr isst ein deutscher Schifahrer eine Leberkässemmel, sie freue sich auf den Germknödel auf der Hütte, sagt Sisi und legt auf. Die Zimmerzwerge reißen heute wieder einen Schmäh nach dem anderen. Elfriede nimmt den Wettex aus der Abwasch und zuzelt daran, sie denkt an Knöderl und Kipferl. Der Radio verkündet: Es wird beim Summerton – ein Fenstertag. Da fällt der Hubert aus dem Bett und kriecht auf dem Zahnfleisch in die Küche.

Zuerst hat sich die Einbrenn im Eiskasten eingezwickt, dann haben die Erdäpfel tatsächlich vergessen, den Erlagschein einzuzahlen. Elfriede ist ratlos und würde gern zu den Frittaten greifen, aber die fretten sich grad mit den Biskotten ab und sind ihr keine große Hilfe, genauso wenig wie der Hubert, der lässt seelenruhig eine Mozartkugel am Nudelwalker balancieren, einen Salto will er ihr beibringen, direkt in seinen Mund, aber seien wir uns ehrlich.

Zu Mittag gibt es Schnitzel zum Eierpecken, danach sucht Hubert wie immer seine Patschen. "Hast sie schon wieder paniert, Elfriede?!" Kopfschüttelnd zündet er sich umständlich eine Tschick in der Schnürlsamthose an, weil er glaubt, dann hat er ein Leiberl bei der Elfriede, aber seien wir uns ehrlich. Die Elfriede hat sich nämlich Klupperln an die Ohren gezwickt und putzt die Parte vom Powidltascherl. "Mein Drahtwaschel ist nicht deppert und nicht terisch", flüstert sie. Hubert überlegt, ob eine Dillsauce gut zum Zimmerzwerg passen würde.

Leider geht sich heute kein Leichenschmaus mehr aus, dafür müsste Elfriede noch die Fetzen faschieren, weil ohne feschen Fetzen geht gar nichts, den hängt man sich dann gleich um oder man wachelt einfach damit. Aber den Hubert um einen Topfen und eine Stempelmarke in die Trafik schicken, das geht sich aus. Was stellt die Elfriede eigentlich immer mit dem ganzen Topfen an, hat sie einen Wickel mit ihm oder macht sie einen aus ihm, für ihre Wimmerln?

Am Abend hocken Hubert und Elfriede in den Scheibtruhen im Schanigarten, sie werden hin und her geschoben, schließlich kriegen sie Schwammerl von heuer. Mit vollem Bauch schwimmen besser gesagt pritscheln sie auf der Nudelsuppe heim.

Der Fenstertag war eine einzige Pflanzerei, da sind sich die beiden beim Liegengehen einig. Der Hubert verkutzt sich noch am Lurch von der Tuchent, Elfriede steckt ihm zwei Zuckerln in die Ohren und lässt ihn angelehnt, setzt sich die Schlafhaube auf und überlegt, ob nicht wenigstens einer der Zimmerzwerge noch die Matura machen könnte.

Draußen hudelt und zündelt der Fenstertag durch die Nacht, in der Früh wird er endlich pragmatisiert und glaubt, er schaut nun auch was gleich, aber seien wir uns ehrlich.

Claudia Bitter, geb. 1965 in Oberösterreich, lebt in Wien, wo sie als Autorin (Lyrik und Prosa), Künstlerin (Schriftbilder, Naturschreiben, Collagen) und Bibliothekarin arbeitet. Acht Buchveröffentlichungen (drei Prosa-, drei illustrierte Lyrikbände, ein Roman).

Platz 3

Am Ufer sitzt 1 Frau mit Hund (Thomas Steiner)

6 gedichte mit hund: 1 rundweg von (a) nach (a). liegt er in innsbruck oder in graz? oder doch vielleicht in feldkirch oder hallein? wer soll das wissen?

(a) eröffnung mit büffet

im freien, was ist das? mal sehen. 1 galerie?

hier neben dem einkaufszentrum? am stadtrand? hier?

oh, ja! & alle stürzen sich auf das fleisch

das weithin stinkt, den schweinebauch

auch bratwurst gibt es, & kartoffelsalat

alle stürzen sich darauf

die künstler

stürzen sich auf den schweinebauch

die künstler & poeten

essen 5 kilo stinkendes fleisch.

auf dem wasser schwimmen papierboote

der kindischen künstler

& enten natürlich, die auf brot hoffen

doch die künstler essen das ganze brot allein

& trinken das ganze bier

1 hund wartet auf 1 stück fleisch

doch sie geben ihm nichts.

die enten tauchen davon, schallend lachen die enten

& man will sie mit steinen bewerfen

doch man ist lieb & hält sich zurück.

(b) der bus ist voll

wegfahren, weg hier, & nichts ändert sich

wen interessiert das? habe habe keinen sitzplatz

ich stehe! umfallen!

beim stehen kann man umfallen! man fällt dann um

beim stehen im bus, der kopf schlägt an die sitzlehnen

an den boden. der kopf schlägt

an den boden, die stiefel, diese stiefel, diese stiefel überall!

die stiefel, dreckig, voll hundescheiße, zucken

in richtung zum kopf.

aussteigen, ich sollte aussteigen!

(c) zur abwechslung 1 haiku:

der auwaldboden

voll kinderstiefelspuren

& hundepisse.

(d) schafe, flecken am hang

liegen & schlafen

(es schlafen die schafen)

der hund mit dabei.

die schafen lass schlafen

den hund, den lass träumen

(unter den bäumen)

schafe, flecken am hang

die schafe sind brave.

(e) ich spreche mit mir selbst, merke ich

oder spreche ich mit der luft

oder der wiese

oder den bäumen?

oder dem hund dort drüben?

bäume, ja, da sind bäume

hund, ja, da ist 1 hund

bäume, ja, aber kein wald, nein, eher

obstwiesen.

da stehe ich & schaue hinunter

die obstwiesen führen nach unten

gegenüber die berge, oben weiß.

ich erzähle, aber wem?

den bäumen? den äpfeln?

den äpfeln – ja, das ist 1 schöner gedanke

den hatte ich noch nie.

(a) im einkaufszentrum backfisch

warmes abendessen

ist besser als kaltes. draußen 1 flüsschen

1 teich, büsche, bänke, gras usw.

am ufer sitzt 1 frau mit hund.

1 kleiner hund liegt da

& döst. scheißhund, denke ich

ich sitze schräg dahinter

dann kommen die schwäne.

scheißschwäne, denke ich

einer schaut böse

nicht zu mir, zu dem hund

pack ihn, denke ich

zieh ihn ins wasser

du bist stark, du bist hart

er ist klein & dumm!

doch er traut sich nicht.

enten kommen auch noch

scheißenten, denke ich

über alledem kreisen die vögel & grinsen

affen, denke ich.

Thomas Steiner, geboren 1961 bei Reutte/Tirol, lebt als Fachübersetzer und Lyriker in Neu-Ulm. Beiträge im "Jahrbuch der Lyrik", DVA-Verlag, 2011, 2013. Aktuell z. B. in "Am Erker 82", "erostepost" #64.

(Nero Campanella, Claudia Bitter, Thomas Steiner, 30.4.2023)