Sigrid Maurer über Inseratepolitik: "Mir ist diese Art der Politik grundsätzlich zuwider. Das ist ein toxisches System, wenn Inserate ohne Informationsgehalt geschalten werden."

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Ein neuer ORF-Beitrag von allen, unabhängig vom Empfang, und mehr Streaming für den ORF: Das bringt das ORF-Gesetz ab 2024, das ÖVP und Grüne diese Woche in Begutachtung schickten – unter heftiger Kritik privater Medienhäuser wie von ORF.at-Fans. Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer erklärt das Vorhaben im STANDARD-Interview – und weist den Vorwurf entschieden zurück, ORF.at sei eine Gefährdung privater Medien.

Eine Obergrenze für Textmeldungen auf ORF.at, wie nun vorgesehen, hätten die Grünen nicht gebraucht, sagt Maurer: "Das war das Angebot des ORF an die Verleger, das so zu machen. Ich kann das nur zur Kenntnis nehmen."

Eine Obergrenze für Werbebuchungen öffentlicher Stellen könnten sich die Grünen durchaus vorstellen, erklärt ihre Klubobfrau. Bei der Donnerstag beschlossenen Novelle zum Medientransparenzgesetz kamen sie damit nicht durch. Über die in Österreich international unüblich hohen öffentlichen Werbebuchungen nach Gutsherrenart sagt Maurer: "Mir ist diese Art der Politik grundsätzlich zuwider. Das ist ein toxisches System, wenn Inserate ohne Informationsgehalt geschalten werden."

"Wir haben so viel Geld für private Medien wie noch nie im Feld"

STANDARD: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hat die Regierung von ÖVP und Grünen bei der Mediendebatte im Nationalrat "Totengräber der Medienvielfalt" genannt. Wie geht es Ihnen damit?

Maurer: Die Wortwahl ist ebenso wenig zutreffend, wie ORF.at als "Massenvernichtungswaffe" für private Medien zu bezeichnen. Medienvielfalt ist uns ein ganz zentrales Anliegen. Und deshalb haben wir in dieser Regierung erstmals seit Jahrzehnten die Unterstützung privater Medien mit der Qualitätsjournalismusförderung auf völlig neue Beine gestellt. Die Förderung wird gegenüber der bisherigen Presseförderung verdreifacht, sie wird erstmals nach objektiven, qualitativen Kriterien vergeben. Wir haben schon vergangenes Jahr mit der Digitaltransformationsförderung eine zusätzliche Unterstützung eingeführt. Wir haben so viel Geld für private Medien wie noch nie im Feld.

STANDARD: Private Medienunternehmer sehen sich existenziell gefährdet vom neuen ORF-Gesetz mit einer Haushaltsabgabe für alle und mehr digitalen Möglichkeiten für den ORF. Die Dominanz des frei zugänglichen, mit öffentlichen Mitteln finanzierten ORF.at behindere oder verhindere den Erfolg von Bezahlangeboten privater Medien im Web.

Maurer: Ich halte es für problematisch, ORF.at als Gefährdung privater Medien einzustufen. ORF.at ist ein sehr gutes Überblicksangebot, für viele Menschen ein zentraler, barrierefreier Informationspunkt. Manche Verleger wollen ORF.at ja überhaupt abgeschafft wissen. Ich halte es für einen Trugschluss, dass die Abozahlen anderer Medien steigen würden, wenn ORF.at verschwinden würde. Die "blaue Seite" wird sich transformieren, mit mehr Video- und Audioangebot als jetzt, und das ist für ein Rundfunkunternehmen wie den ORF völlig logisch.

STANDARD: Das Limit von 350 Textmeldungen kam offenbar auf ORF-Vorschlag ins Gesetz.

Maurer: Wir Grüne wollten keine Artikelbegrenzung. Das war das Angebot des ORF an die Verleger, das so zu machen. Ich kann das nur zur Kenntnis nehmen, wenn der ORF sagt, sie machen das so und wollen das so, ist das seine Entscheidung als unabhängiges Unternehmen. Es wird die Überblicksberichterstattung mit 350 Meldungen pro Woche erhalten bleiben. Das halten wir, weil ein barrierefreies Angebot, für zentral.

STANDARD: Die Sorgen der privaten Medienunternehmen wegen des schon jetzt den Markt dominierenden ORF können Sie nicht nachvollziehen?

Maurer: Ich kann die Sorgen der Verleger gut nachvollziehen, was die Fragen der Zukunft betrifft. Ich verstehe die große Sorge der Verleger, was Papierpreis, was Lohnkosten, die Teuerung im Allgemeinen betrifft. Die Situation ist definitiv herausfordernd, und wir haben darauf reagiert, etwa mit Werbebeschränkungen für den ORF im Radio und online, die rund 25 Millionen Euro ausmachen. Wir haben im Gesetz zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten mit Privaten vorgesehen. Ich habe den Eindruck, dass einzelne Medienunternehmen sehr spät erkannt haben, dass die Zukunft digital ist, und glauben, im ORF einen Schuldigen dafür erkannt zu haben.

STANDARD: Verleger fordern nun etwa noch weitere Beschränkungen für Onlinebeiträge.

Maurer: Wir gehen jetzt in Begutachtung, jetzt sollen mal alle die Gesetzestexte lesen und sich ihre Gedanken machen. Aber an sich halte ich das jetzt für ein rundes Paket. Wir haben auch für die privaten Medien sehr viel getan in dieser Regierungsperiode.

"Es kann nicht das Ziel sein, alle Medien staatlich auszufinanzieren."

STANDARD: Die Medienförderungen für alle privaten Medienunternehmen kommen auf etwa 73 Millionen Euro pro Jahr. Der ORF kommt auf das Zehnfache an öffentlichen Mitteln. Wie kommt man da zu einem halbwegs ausbalancierten Verhältnis zwischen privat und öffentlich-rechtlich?

Maurer: Der ORF hat einen gesetzlich definierten öffentlichen Auftrag, dafür bekommt er den ORF-Beitrag. Die privaten Medien haben das nicht und definieren ihre Ziele selbst. In anderen Ländern gibt es keine Medienförderungen und auch die öffentlichen Inserate nicht oder nicht in der österreichischen Dimension. Es kann nicht das Ziel sein, alle Medien staatlich auszufinanzieren. Wir sind in einem kleinen Markt mit eingefahrenen Strukturen und Abhängigkeiten. Ich bin dafür, die Abhängigkeiten zu reduzieren und nicht weiter zu erhöhen. Aber in der heute herausfordernden Situation ist es im Sinne der Vielfalt und der Qualität erforderlich, Medien zu unterstützen, nach klaren Kriterien.

STANDARD: Sie würden lieber auf Förderungen privater Medien verzichten?

Maurer: Wir können in einem kleinen Land wie Österreich nicht auf wirtschaftliche Strukturen wie im zehnmal größeren Deutschland zurückgreifen. Darauf muss man Rücksicht nehmen. Die journalistische Arbeit und die Medien im Land sind der Garant dafür, dass diese Demokratie gut funktioniert.

STANDARD: Wäre es nicht sinnvoll, die Aufgabe und Funktion des ORF erst grundlegender zu klären, mit Blick auf Markt und Wettbewerb, bevor man die Weichen für den größten Anbieter neu stellt?

Maurer: Was wir hier umsetzen, sind sicher die größten medienpolitischen Reformen der letzten 20 Jahre. Viele Regierungen haben das offene Problem der ORF-Finanzierung und der digitalen Möglichkeiten vor sich hergeschoben. Der ORF muss online diese Möglichkeiten bekommen, wenn er seinen öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen soll. Es hilft nichts, wenn der ORF nicht mehr alle erreicht. Das Gesetz ist ein Meilenstein. Aber ich bin ebenso zuversichtlich, dass es die österreichischen Privatmedien die Transformation schaffen.

STANDARD: Fehlt der ORF-Novelle nicht ein entscheidender Teil – eine Reform der ORF-Gremien, eine deutliche Beschränkung des Politikeinflusses?

Maurer: Die Grünen waren immer für eine Gremienreform. Die drei großen Parteien haben kein Interesse an solchen strukturellen Reformen. Die Sozialdemokratie wartet nach meinem Eindruck lieber ab, ob man nicht wieder ins Kanzleramt kommt.

"Mir ist diese Art der Politik grundsätzlich zuwider. Das ist ein toxisches System, wenn Inserate ohne Informationsgehalt geschalten werden."

STANDARD: Und dann im ORF-Stiftungsrat wieder entscheidend mehr Sitze erhält.

Maurer: Es geht nicht nur um den ORF, sondern etwa auch um Obergrenzen für Inserate öffentlicher Stellen. Ich hätte mit einer Deckelung kein Problem, für Notfälle wie Informationen über Maßnahmen gegen eine Pandemie wird man schon eine Lösung finden. Aber die Stadt Wien gibt selbst extrem viel Geld aus – mehr als alle Länder zusammen. Sie wird keinen Deckel einziehen. Ex-Kanzler Christian Kern hat das Problem als eine "Erbsünde" seiner Partei benannt. Mir ist diese Art der Politik grundsätzlich zuwider. Das ist ein toxisches System, wenn Inserate ohne Informationsgehalt geschalten werden.

STANDARD: Wien bewarb den Schnitzelgutschein, das Klimaministerium den Klimabonus.

Maurer: Der Schnitzelgutschein in Wien wurde mit 2,4 Millionen beworben, zum Vergleich: der Klimabonus des Klimaministeriums für ganz Österreich mit nicht einmal einer. Wir haben auch deshalb das Medientransparenzgesetz beschlossen: In Zukunft müssen Ziele und Zielgruppen definiert sowie die gesetzlich vorgeschriebene Deckung des allgemeinen Informationsbedürfnisses begründet werden, bei großen Kampagnen muss es darüber hinaus Wirkungsanalysen geben.

STANDARD: Wie erklären Sie den Menschen, die ORF nicht nutzen und nicht nutzen wollen, warum sie künftig 15,30 Euro ORF-Beitrag pro Monat zahlen sollen?

Maurer: Mit dem ORF-Beitrag ist eine unabhängige Finanzierung des ORF sichergestellt. Wir leben in einer solidarischen Gemeinschaft und finanzieren mit öffentlichen Mitteln viele Dinge, die nur von einem sehr kleinen Teil der Menschen genutzt werden. 95 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher sagen übrigens, dass sie Inhalte des ORF konsumieren.

"Wir haben versucht, das mit den Reformen auszutarieren."

STANDARD: Mit Medienpolitik macht man sich schwer Freunde, scheint es.

Maurer: Die extreme Widersprüchlichkeit der Debatte in den vergangenen Tagen deutet darauf hin. Auf Twitter werden Beschränkungen von ORF.at massiv kritisiert, private Medien sehen sich von ORF.at in ihrer Existenz bedroht. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Wir haben versucht, das mit den Reformen auszutarieren. Starke Unterstützung für Private, starker ORF, für alle starke Unterstützung bei der Transformation in die digitale Welt und Inseratentransparenz.

STANDARD: Das Informationsfreiheitsgesetz kommt noch?

Maurer: Ja, Ministerin Karoline Edtstadler hat gesagt, vor dem Sommer.

STANDARD: ÖVP und Grüne stellen die "Wiener Zeitung" als gedruckte Zeitung ein, sie machen daraus ein öffentlich gefördertes Onlinemedium und eine Journalismusausbildung, die dem Bundeskanzleramt unterstellt ist.

Maurer: Hätten wir es uns aussuchen können, hätten wir uns lieber mit dieser Frage nicht befasst. Es war über viele Jahre absehbar, dass die Finanzierung durch Pflichtveröffentlichungen von Unternehmen nicht zu halten ist. Getan wurde nichts. Wir mussten nun eine entsprechende EU-Richtlinie umsetzen. Und man kann eine Tageszeitung EU-rechtlich nicht einfach mit 18 oder 20 Millionen Euro aus dem Bundesbudget finanzieren. Ich bin überzeugt, dass die "Wiener Zeitung" mit ihrer Qualität online viel mehr Menschen erreichen kann. (Harald Fidler, 28.4.2023)