Wie so viele Steakgeschichten hat auch diese bei den Ringls begonnen. Ich bin eines Wintertages in ihre prächtige Fleischerei an der Gumpendorfer Straße spaziert und habe dort ein Stück Rind liegen gesehen, das so erstaunlich marmoriert war, wie ich das sonst nur von Wagyu-Steaks kenne. "Das ist ein dicker Spitz", hat mir die Claudia Ringl erklärt, "in Österreich meist ein Suppenfleisch." Auf meinen entsetzen Blick hat sie hinzugefügt: "Aber kurz braten kann man es natürlich auch."
Ich habe zwei etwa zwei Finger dicke Scheiben davon erstanden und genau das getan – und es war so gut, dass ich erstens noch zweimal zurück bin, um den Rest des dicken Spitzes zu kaufen, und zweitens beschlossen habe, vor der Grillsaison noch mehr österreichische Suppenfleisch-Cuts als Steaks zu probieren.
Vorweg: Das ging erstaunlich gut. Suppenfleischsteaks kosten die Hälfte eines Rib-Eyes und einen Bruchteil eines Filets (so 15–25 Euro das Kilo) und können genauso gut, wenn nicht sogar besser sein. Mit einer Einschränkung: Die Kuh muss passen. Mit magerem, kurz abgehangenem Fleisch aus dem Supermarkt wird das nix mit dem Suppenfleischgrillen.
Es muss nicht gleich eine Superkuh wie jene sein, der ich meinen ersten dicken Spitz verdanke, aber Sie brauchen dafür schon Stücke von einem ordentlich fetten, gut marmorierten Tier, das entsprechend reifen durfte. Gehen Sie daher zum Fleischer oder der Fleischerin Ihres Vertrauens und reden Sie mit ihm/ihr.
Steakprofis wird das Folgende wenig überraschen – im angelsächsischen Raum sind all diese Cuts bekannt und beliebt. Für Gelegenheitsgriller wie mich waren aber durchaus Überraschungen dabei. Wer sich näher dafür interessiert: Die Claudia Ringl empfiehlt das schöne Buch "Neue Cuts vom Rind".
Ich habe sie um eine kleine Zusammenstellung günstig-guter Stücke gebeten, nicht von einer besonderen Kuh, sondern von der, die eben gerade im Kühlraum gehangen ist, damit der Test einigermaßen repräsentativ wird. An einem der ersten lauen Abende habe ich den den Grill angeworfen, und wir haben zu viert vier verschiedene Kochfleisch/Steak-Cuts probiert – und weil er so schön ausgesehen hat, war auch einer vom Schwein dabei. Den dicken Spitz habe ich bereits davor gekostet.
Hier die Ergebnisse im Detail.
Dicker Spitz (Ö), Denver Cut (USA)
Der Auslöser und Gewinner des Tests, wahrscheinlich schlicht, weil diese Kuh so außergewöhnlich war. Ein Schmelz und ein Geschmack, wie das auch gute Rib-Eyes (und die guten Stücke von guten Rib-Eyes) nur selten haben – kräftig, saftig, köstlich, eines der besten Steaks, die ich in den vergangenen Jahren genießen durfte.
Der dicke Spitz wird aus der Schulter geschnitten und ist bei den meisten Fleischern leicht zu bekommen. Achten Sie bloß auf die Qualität des Fleisches!
Falsches Filet (Ö), Terres Major (USA und Südamerika)
Ein Muskel, der ebenfalls aus der Schulter unter dem Schulterblatt (aus dem mageren Meisl) geschnitten wird und ein bisserl so was wie die eierlegende Wollmilchsau ist: Er gilt als fast so zart wie das Filet, ist aber gleichzeitig deutlich geschmacksintensiver, weil er mehr beansprucht wird (und kostet ungefähr ein Drittel). Mein Liebling wird er nicht (bissl trocken, auch wenn ich es, zugegeben, zu kurz habe rasten lassen und es mir beim Anschneiden etwas ausgelaufen ist), aber wer Filet mag, ist hier definitiv gut bedient. Wäre mal interessant, ihn fürs Beef Tartare zu versuchen. Das falsche Filet ist eher was für Spezialisten und sollte vorbestellt werden.
Oberer Teil des Kruspelspitzes (Ö), Paleta (USA und Südamerika)
Das wahrscheinlich bestdurchzogene Stück des Rinds, das bei jedem Tier wie Wagyu aussieht – sowohl jenes von der Wahnsinnskruspelspitzkuh als auch jenes von der zweiten weniger spektakulären Kuh waren beeindruckend marmoriert und haben hervorragend geschmeckt. Wenn ich etwas zu kritisieren habe, dann höchstens, dass es schon ein bisserl zu fett war. Macht aber gar nix, das Stück ist ohnehin nur klein, etwas kleiner als meine Hand.
Es ist der obere Teil jenes Stücks, das bei uns Kruspelspitz heißt, wird vom namensgebenden Knorpel geschnitten. Unter Steakkennern und in den Amerikas hat es eine große Fangemeinde, bei uns ist es, so weit ich das überblicke, so wenig bekannt, dass es nicht einmal einen Namen hat.
Schulterscherzel (Ö), Flat Iron (USA)
Ein Siedefleischklassiker, der sich wunderbar grillen lässt – man (der/die Fleischerin) muss nur die Sehne in der Mitte herausschneiden, sodass zwei etwa gleich große Stücke entstehen. Nicht mein Favorit, aber ziemlich gut für alle, die es nicht gar so durchzogen mögen, aber trotzdem viel Geschmack und eine gewisse Zartheit mögen.
Palatschinkenforscher Heinrich S. kauft es gern vom Wagyurind und gart es vor dem Braten sous vide vor – etwas, was ich nach einem direkten Vergleich innerhalb einer Woche als unnötig bezeichnen würde.
Hals (Ö), Chuck (USA)
Das Chucksteak wird aus dem gleichen Muskelstrang wie das Rib-Eye geschnitten, bloß dass es aus dem vorderen Ende kommt, aus jenem Teil, der schon am Hals und nicht mehr am Rücken sitzt. Es ist etwas weniger fett und deutlich günstiger als das Rib-Eye, aber ansonsten dem berühmten Bruder sehr ähnlich. So lange ich es mir leisten kann, würde ich trotzdem zum Rib-Eye greifen.
Außer Konkurrenz, aber richtig gut: Karreedeckel des Schweins (Ö), Secreto (Südamerika)
Das Überraschungsstück des Abends, und für mich fast noch besser als die Steaks. Secreto wird aus jenem gut durchzogenen Muskel geschnitten, der das lange Karee bedeckt, also das Stück, das beim Schweinskotelett immer am besten ausschaut, aber bei uns fast nie separat verkauft wird. Amerikanische BBQ-Meister und südamerikanische Grillfans hingegen lieben es – völlig zu Recht.
Ich habe es rosa gegrillt und den Fettdeckel knusprig werden lassen, es war zart, saftig und herrlich schweinisch – das beste gegrillte Stück Schwein, das ich seit sehr langer Zeit genießen durfte. Einziger Wermutstropfen: Es ist nicht ganz leicht zu grillen, weil so viel Fett runtertropft, dass es leicht Flammen wirft, aber es braucht eh nicht allzu viel Hitze.
Die Ringls – und wahrscheinlich andere motivierte Fleischer – verkaufen es auf Vorbestellung. Schwere Empfehlung – und weniger Arbeit als dieser Geheimtipp.
(Tobias Müller, 1.5.2023)
P.S.: Die Claudia Ringl bietet jetzt übrigens auch Kurse zum Zerlegen eines Schweins an – wen so was interessiert, hier entlang.