Spaniens Partido Popular (PP) sieht sich vor einem neuen politischen Zyklus. Die stärkste rechte Oppositionspartei, der seit einem Jahr Alberto Núñez Feijóo vorsteht, hofft bei den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai zur stärksten Partei zu werden. Die Konservativen wollen ihre kommunale und regionale Macht ausbauen und damit den Grundstein für einen Sieg bei der Parlamentswahl Ende des Jahres legen. Feijóo glaubt den Einzug in den Regierungssitz Moncloa zum Greifen nahe. Doch er hat ein Problem: Er braucht dazu die Unterstützung der Vox – und die ist rechtsextrem.

Alberto Núñez Feijóo will zuerst auf regionaler und dann auf nationaler Ebene wieder siegen – um jeden Preis.
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Dies lässt Feijóo zwischen Zentrum und rechtem Rand hin und her schwanken. Zum einen umwirbt er die politische Mitte. Zum anderen versucht er, die extreme Rechte, mit deren Unterstützung sein PP in mehreren Regionen und Gemeinden regiert – im zentralspanischen Castilla y León gar in Koalition –, zu bedienen. Sein Ziel: Er will die verlorene Hegemonie auf der Rechten zurückgewinnen. Zumindest so weit, dass er die Aussicht auf eine starke Minderheitsregierung ohne Minister der rechtsextremen Vox hat.

Rechte war früher vereint

Lange vereinte der PP das gesamte rechte Spektrum unter einem Dach. Es war ein längerer Weg dorthin. Der PP und dessen Vorgängerorganisation Alianza Popular (AP) entstand nach Ende der Franco-Diktatur 1975 aus einem Teil der franquistischen Eliten. Sie sahen in Europa weniger ein politisches als ein wirtschaftliches Vorbild. Die AP unter dem Vorsitz eines ehemaligen Ministers der Diktatur ging pragmatisch vor. Die politische Mäßigung führte zur Aufnahme der Reste gescheiterter liberaler und christdemokratischer Kräfte und ließ den späteren PP dann zur alleinigen Kraft auf der spanischen Rechte werden. Dies zahlte sich aus.

Mit starker territorialer Macht, und später dann unter José María Aznar und Mariano Rajoy auch staatlicher Macht, hatte der PP jedem etwas zu bieten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Keine Partei bediente sich per Korruption so wie der PP selbst. Mit der Korruption und der Eurokrise kam dann auch die Krise des spanischen Zweiparteiensystems. Auf der Linken bekamen die Sozialisten Konkurrenz von Podemos, auf der Rechten kam der PP zuerst durch Ciudadanos und dann auch durch die rechtsextreme Vox unter Druck. Aus dem Zweiparteiensystem wurden zwei Blöcke.

Neue Kraft von rechts

Ciudadanos ist nach einer Reihe strategischer Fehlentscheidungen – unter anderem sich von der Mitte weg in Richtung rechter Rand zu bewegen – kein Jahrzehnt nach ihrer spanienweiten Ausbreitung so gut wie Geschichte. Die meisten Wählerinnen und Wähler fanden den Weg zurück zum PP, andere zur rechtsextremen Vox, die sich als resistenter erweist, als viele dachten.

Vox – gegründet von Politikern, die jahrelang im PP waren und wie Vox-Chef Santiago Abascal dort Ämter innehatten und von parteinahen Stiftungen lebten – eroberte nach dem Einzug ins andalusische Regionalparlament 2018 im Sturm die spanische Politik und ist mittlerweile drittstärkste Kraft im Parlament. Sie belegt, ähnlich wie andere rechtsextreme Parteien in Europa und in Übersee auch, Themen wie den Antifeminismus und den Kampf gegen Abtreibung und Rechte für sexuelle Minderheiten – sowie die Verteidigung von Traditionen wie Jagd und Stierkampf.

Die Anhängerschaft der rechtsextremen Vox ist vor allem eines: laut.
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Hinzu kommt ein aggressiver zentralspanischer Nationalismus, der sich gegen die Regionen richtet, die mehr Eigenständigkeit oder gar die Unabhängigkeit wollen. Seit dem Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien 2017 macht Vox erfolgreich Stimmung gegen alles, was ein homogenes Spanien infrage stellt.

Spanische Tea-Party

"Kleine, feige Rechte" nennen die Vox-Politiker gerne den Partido Popular. Mit zwei – wenn auch gescheiterten – Misstrauensanträgen gegen die Linkskoalition unter dem Sozialisten Pedro Sánchez gelang es Vox, wochenlang die Initiative auf der Rechten zu haben. Vox speist sich aus einer Art spanischer Tea-Party.

Das ist eine ganze Reihe von Organisationen auf der Rechten, die vom PP jahrelang gezielt genutzt wurden, um die Ablehnung eines Friedensdialog mit der baskischen ETA, eines modernen Familienkonzepts, von mehr Frauenrechten oder der Homoehe auf die Straße zu bringen. Es sind meist ultrakatholische Organisationen.

Diese Gruppen waren es irgendwann leid, nur ein Spielball in den Händen des PP zu sein. Sie wollten Ergebnisse sehen. Mit Vox haben sie jetzt ihre eigene politische Kraft gefunden. Bei vielen rechten Themen, die bisher der PP geschickt zu nutzen wusste, gibt nun Vox den Ton an – PP und Ciudadanos laufen nur noch hinterher. So wie bei einer Großkundgebung für die Einheit und Rezentralisierung Spaniens 2019 in Madrid.

Sagen, was andere denken

Vox sagt offen, was die meisten PP-Wählerinnen und -Wähler denken. In mehreren Regionen ist die Partei damit längst hoffähig geworden. In Castilla y León sitzt Vox mit im Kabinett, in Murcia ist die PP-Regierung von Vox abhängig, ebenso wie der PP-Bürgermeister in Madrid oder die PP-Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso in der Hauptstadtregion. Für Spaniens Konservative ist die Zusammenarbeit mit der extremen Rechten kein Tabu mehr.

Mehr noch: In der Hoffnung, einen Teil der zu Vox übergelaufenen Wählerschaft wiederzugewinnen, rückt der PP immer weiter nach rechts. In der Region Madrid ist dies besonders deutlich: Die dort regierende Ayuso wettert gegen ein Gesetz, das Transsexuellen mehr Rechte einräumt, und sucht nach Gesetzeslücken, um auch weiterhin, trotz eines Verbots durch das Bildungsministerium, Schulen öffentlich zu fördern, die nach Geschlecht getrennt unterrichten. Erziehung zur Toleranz gegenüber Minderheiten ist im Madrid Bildungssystem nicht vorgesehen.

"Feinde Spaniens"

Ganz im Stil von Vox beschwört jetzt PP-Chef Feijóo für die kommenden Wahlen ein Szenario herauf, in dem es gelte, zwischen der derzeitigen Regierung und Spanien zu entscheiden. Die aktuell in Minderheit regierende Koalition aus Sozialisten und Linksalternativen sei die Regierung der "Feinde Spaniens", da sie von katalanischen und baskischen Parteien unterstützt wird.

Gemeinsam mit Vox ging der PP vor wenigen Monaten gar auf die Straße gegen den "Kommunisten und Vaterlandsverräter Sánchez" und "für Spanien und die Verfassung". Feijóo lässt keinen Zweifel daran, das er mit den Rechtsextremen eine Koalition eingehen wird, sollte das notwendig sein. "Wir werden regieren, mit wem wir können", sagt er. Ungarn, Polen, Finnland, Italien: Sollte Feijóos Kalkül aufgehen, würde die extreme Rechte in einem weiteren wichtigen EU-Land zumindest mitregieren. (Reiner Wandler, 30.4.2023)