Die drei Gesundheitsexpertinnen Ingrid Zechmeister-Koss, Inanna Reinsperger und Jean Paul schreiben in ihrem Gastkommentar über die unzureichende Hilfe bei psychischen Erkrankungen der Eltern rund um die Geburt ihres Kindes.

Was tun, wenn Mutter oder Vater nach der Geburt in eine psychische Krise stürzen? Die Versorgungslage ist in Österreich besonders mangelhaft.
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Psychische Erkrankungen zählen zu den häufigsten gesundheitlichen Komplikationen während einer Schwangerschaft und im ersten Jahr nach der Geburt. Alle Krankheitsbilder zusammen betrachtet, ist jede fünfte Mutter und jeder zehnte Vater betroffen. Hochgerechnet auf die Anzahl der Geburten in Österreich können wir von rund 16.000 betroffenen Müttern und 8.000 Vätern jährlich ausgehen. Am häufigsten treten Depressionen und Angststörungen auf.

Eine psychische Erkrankung in dieser Lebensphase belastet nicht nur die betroffenen Eltern, sondern kann unbehandelt vor allem negative Auswirkungen für die Kinder haben. Sie erhöht etwa das Risiko für Frühgeburten und mütterlichen Suizid, aber auch die Wahrscheinlichkeit für eingeschränkte kognitive Entwicklung oder unmittelbare und spätere psychische und körperliche Erkrankungen der Kinder. Berechnungen anderer Länder weisen auf die enormen gesellschaftlichen Folgekosten hin. Sie fallen zum überwiegenden Teil im Bildungs- und Sozialbereich an.

Mangelhafte Versorgungslage

Trotz der eindeutigen Datenlage zu Häufigkeit und Folgewirkungen sowie internationalen Empfehlungen für eine gute Versorgungsstruktur zeigen unsere jüngsten Forschungsergebnisse, dass die Versorgungslage in Österreich mangelhaft ist. Das beginnt damit, dass es bis dato keine flächendeckende, den internationalen Leitlinien entsprechende Früherkennung psychischer Erkrankungen während der Schwangerschaft und nach der Geburt gibt. Im Mutter-Kind-Pass, dem universellen Früherkennungsprogramm, wurden bisher sämtliche Ressourcen der körperlichen Gesundheit gewidmet.

Seit Jahren liegen konkrete Konzepte auf dem Tisch, wie die psychische Gesundheit stärker in den Fokus gerückt werden kann. Diese beinhalten wissenschaftlich geprüfte Fragen zur psychischen Gesundheit und zu psychosozialen Belastungsfaktoren, um auch die Risikofaktoren für psychische Erkrankungen stärker in den Blick zu nehmen. Darunter fallen etwa mangelnde soziale Unterstützung, häusliche Gewalt oder eine prekäre Einkommenssituation: 16 Prozent der erwachsenen Frauen in Partnerschaften sind von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen; ein Fünftel aller Haushalte mit Kindern unter drei Jahren war 2021 armutsgefährdet.

Unterstützung anbieten

Daher ist es umso wichtiger, die möglichen negativen Auswirkungen für die psychische Gesundheit rechtzeitig abzufedern und den Eltern rasch Unterstützung anzubieten, etwa über die nun flächendeckend etablierten "Frühen Hilfen".

Die Umsetzung dieser Konzepte zur Früherkennung scheiterte jedoch bisher an fehlenden Ressourcen und Uneinigkeit über fachliche Zuständigkeiten. Sie sollten in der derzeit in Verhandlung befindlichen Neuauflage in Form eines elektronischen Eltern-Kind-Passes jedenfalls Eingang finden und vorrangig behandelt werden. Dass dies möglich ist, zeigen zahlreiche Beispiele aus anderen Ländern, wo unterschiedliche Berufsgruppen (z. B. Hebammen, Gynäkologinnen und Gynäkologen) mit entsprechender Qualifikation für das Screening (z. B. auf Depressionen) zuständig sind und Mütter bei Auffälligkeiten an definierte Fachkräfte weiterverweisen.

"In Tirol, in Kärnten und im Burgenland sind nicht einmal im Notfall gemeinsame Aufnahmen möglich."

Mit der Früherkennung ist es aber nicht getan. Fachkräfte, die psychische Erkrankungen feststellen und vor allem die betroffenen Eltern selbst, brauchen Informationen, welche Angebote bei welchem Schweregrad psychischer Belastungen hilfreich sind und wo sie diese in Österreich finden. Hierzu sind Versorgungspfade als Orientierung zu definieren und Zugangsbarrieren wie zum Beispiel die Stigmatisierung psychisch erkrankter Eltern, abzubauen. Good-Practice-Beispiele aus mehreren Ländern können als Basis dafür herangezogen werden.

Treten schwerwiegende psychische Probleme auf, ist die Versorgungslage in Österreich besonders mangelhaft. Für die sogenannte peripartal-psychiatrische Spezialversorgung gibt es einzig in Wien eine Ambulanz und nur in drei Bundesländern stehen fix gewidmete Mutter-Kind-Betten zur Verfügung, wo die Kinder gemeinsam mit den Müttern aufgenommen und behandelt werden können. In Tirol, in Kärnten und im Burgenland sind nicht einmal im Notfall gemeinsame Aufnahmen möglich. Eine solche Spezialbehandlung, die auch an der Mutter-Kind-Interaktion ansetzt und ein entsprechend ausgebildetes Personal erfordert, ist damit in den meisten Bundesländern nicht möglich.

Kein reines Mütterthema

Wichtig ist schließlich, das Thema nicht als reines Mütter- oder Frauenthema zu sehen. Partner sind ebenso betroffen, werden aber noch weniger wahrgenommen. Auch die Angebote sind primär auf Mütter zugeschnitten, indem etwa meist über die Mutter-Kind- statt über die Eltern-Kind-Interaktion gesprochen wird, oder Beratungsangebote nach wie vor als Mutterberatung ausgewiesen werden. Wir Forscherinnen können zwar wissenschaftlich fundierte Verbesserungen anstoßen, die Ressourcen für eine adäquate Angebotsstruktur, Ausbildung und Entwicklung von Versorgungsleitlinien bereitzustellen, ist aber eine Frage der gesundheits- und sozialpolitischen Prioritäten und des politischen Willens. (Ingrid Zechmeister-Koss, Inanna Reinsperger, Jean Paul, 29.4.2023)