Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP).

Die Debatte rund um die Teuerung nimmt gerade eine neue Wende. Die Europäische Zentralbank spricht inzwischen offen davon, dass Unternehmen in der Eurozone ihre Gewinne unterm Strich deutlich steigern konnten in den vergangenen Monaten, ihre Preise also stärker angehoben haben, als dies zur Kostendeckung notwendig gewesen wäre. Neben der Energiewirtschaft, ist das auch am Bau und in der Landwirtschaft geschehen. In Österreich wird das Thema von Arbeitnehmervertretern dankbar aufgegriffen.

Auch am Meiselmarkt sind die Lebensmittelpreise gestiegen. DER STANDARD hat sich im Oktober mit Besucherinnen und Verkäufern unterhalten
DER STANDARD

STANDARD: Gewerkschafter orten aktuell eine Gierflation. Was halten Sie davon?

Kocher: Gierflation ist meiner Meinung nach ein Kampfbegriff in der politischen Debatte. Ich finde es ehrlich gesagt nicht gut, ihn zu verwenden. Es ist natürlich interessant darüber zu diskutieren, wo die Inflation herkommt, weil uns das hilft, die Vorgänge zu verstehen. So ist die Teuerung sicher zum Teil importiert worden, die Folgen der Lieferengpässe spielen eine Rolle und zum Teil könnte es sein, dass Unternehmen aufgrund der starken Nachfrage, besonders im ersten Halbjahr 2022, teilweise ihre Gewinnsituation verbessern wollten und Preise angehoben haben. Aber der Begriff selbst ist überspitzt.

STANDARD: Der Grüne Gesundheitsminister Johannes Rauch lädt für den 8. Mai die Vertreter großer Supermarktketten zu einem Gipfel ein. Er nennt die hohen Preissteigerungen bei Lebensmitteln nicht nachvollziehbar. Sehen Sie die Aktion kritisch?

Kocher: Generell von ungerechtfertigten Preiserhöhungen zu sprechen, ist in einer Marktwirtschaft schwierig: Wenn jemand die teuer gewordenen Produkte kauft, gibt es die Nachfrage dafür. Mir ist aber klar, dass Lebensmittel eine spezifische Kategorie sind und dass sichergestellt werden muss, dass Menschen sie sich auch leisten können, insbesondere Grundnahrungsmittel. Deswegen ist es durchaus legitim, mit den Handelsketten zu sprechen und zu schauen, weshalb die Preise steigen. Gibt es nachvollziehbare Gründe oder ist der Wettbewerb zu schwach? Für Letzteres sehe ich aktuell keine Hinweise.

STANDARD: Warum nicht?

Kocher: Wir haben in Österreich seit Jahrzehnten ein etwas höheres Niveau an Lebensmittelpreisen als in Deutschland, die Differenz beträgt je nach Untersuchung fünf bis 15 Prozent. Dafür führt die Branche mehrere Gründe an, etwa die unterschiedliche Filialdichte an beiden Seiten der Grenze. Ob das stimmt, muss man sich anschauen. All das ist aber nicht neu. Wenn man sich nun den Anstieg der Lebensmittelpreise ansieht, dann ist dieser in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern unterdurchschnittlich gewesen im vergangenen Jahr. Österreich war also kein Ausreißer im Vergleich zu Deutschland und Europa.

STANDARD: Wobei die Inflation insgesamt deutlich über jener in Deutschland liegt.

Kocher: Dafür gibt es drei Gründe: Der stärkere Preisanstieg bei Möbeln, bei Tourismus- und Freizeitdienstleistungen sowie bei Neuwagen, wo noch unklar ist, warum. Wenn man diese drei Produktkategorien herausrechnet, dann gibt es zu Deutschland praktisch kein Differenzial mehr. Und auch das zeigt, dass Lebensmittelpreise für den Unterschied derzeit eine geringe Rolle spielen.

STANDARD: Die Europäische Zentralbank sagt, in Europa treiben Profitsteigerungen von Konzernen die inländischen Preise kräftig an. Da steckt für Sie kein Handlungsauftrag drinnen?

Kocher: Die Frage ist, wie dieser lauten könnte? Wenn unser einziges Ziel wäre, die Inflation zu reduzieren, dann müsste man ja die Kaufkraft schwächen. Das wollten wir nicht. Die Regierung hat bewusst gesagt, dass wir in dieser schwierigen Phase, die Kaufkraft, besonders im unteren Einkommensbereich, so gut wie möglich erhalten wollen. Vorläufige Zahlen zeigen, dass das erreicht wurde. Dass dadurch auch Nachfrage angekurbelt wurde und damit auch ein gewisser Druck auf die Preise entsteht, ergibt sich automatisch.

STANDARD: Aber ist es nicht ein Problem für die Wettbewerbsfähigkeit, wenn die Inflation in Österreich dauerhaft höher ist als in Deutschland? Die Inflation von heute sind die Lohnsteigerungen von morgen.

Kocher: Wir reden jetzt von ein paar Monaten, in denen die Inflationsrate in Österreich etwas höher gelegen ist. Das ist für mich noch nichts, was mir große Sorgen bereitet. Wenn das über fünf Jahre so gehen würde, wäre das anders. Aber wir hatten auch viele Jahre, in denen Deutschland eine höhere Inflation hatte. Das gleicht sich mit der Zeit meist aus. Bei den Lohnforderungen wird es natürlich eine Rolle spielen, dass die Teuerung aktuell höher ausfällt. Wichtig wird es jedenfalls sein, dass wir in Bereichen, wo wir Einfluss nehmen können, versuchen, dämpfend zu handeln. In der Lohnpolitik haben die Sozialpartner einen Einfluss. Die öffentliche Hand kann Gebühren steuern. Insgesamt gibt es nicht so viele Bereiche, wo die Bundesregierung direkt eingreifen kann.

STANDARD: Macht es Sinn, in einer gemeinsamen Aktion mit den Sozialpartnern auf Lohn- und Preiszurückhaltung zu drängen? Die deutsche Ökonomin Isabella Weber schlägt das vor.

Kocher: Sich einmal zusammenzusetzen und darüber zu reden, dem steht nichts entgegen. Aber Lohnpolitik machen die Sozialpartner. Und es ist nicht so, dass diese unverantwortlich handeln würden. Die Lohnabschlüsse im vergangenen Jahr waren relativ hoch, aber die Inflation war es auch. Den verhandelnden Sozialpartnern ist bewusst, dass es eine volkswirtschaftliche Komponente in den Verhandlungen gibt.

STANDARD: Das Wirtschaftsministerium legt gerade einen weiteren Energiekostenzuschuss für Unternehmen auf, der mehr als vier Milliarden Euro kosten könnte. Wozu das Geld der Steuerzahler geben, wenn viele Unternehmen ihre Preissteigerungen weitergeben konnten? So zahlen wir doppelt.

Eine Übergewinnsteuer, die es in Österreich nur für den Energiesektor gibt, wird die Preise eher treiben als dämpfen: Martin Kocher
Foto: Andi Urban

Kocher: Ersetzt wird nur ein Prozentsatz der Kostensteigerungen und das unter strengen Voraussetzungen. Nun gibt es sicher Unternehmen, die ihre Kostenerhöhungen zum Teil weiter geben können. Aber es gibt auch viele Unternehmen, die das nicht können. Die relevante Frage für mich ist nicht, dass man im Nachhinein feststellt, dass es ein paar Firmen gegeben hat, die den Zuschuss vielleicht nicht gebraucht hätten. Für mich war dieser Zuschuss immer eine Art Versicherung für den Fall, dass die Energiekosten massiv anziehen. Ohne die Zusicherung könnte es im Falle eines Preisanstiegs zu mehr Konkursen kommen und wir bekämen ein größeres Problem in der Folge mit der Arbeitslosigkeit. Glücklicherweise sind sie Energiepreise erst einmal zurückgegangen. Das heißt, ich gehe davon aus, wenn das so bleibt, dass der Zuschuss 2023 ohnehin nicht so teuer sein wird.

STANDARD: Bisher konnten Unternehmen den Zuschuss nur beantragen, wenn ein größerer Teil ihres Umsatzes auf Energie entfällt. Das wird gestrichen. Damit machen Sie das Modell erst für viele Handelsunternehmen und Supermarktketten auf.

Kocher: Entschieden hat das die Europäische Kommission, die im vergangenen Herbst den Beihilferahmen verändert hat...

STANDARD: … aber Sie hätten es ja nicht übernehmen müssen.

Kocher: Das ist richtig. Aber Energieintensität als Voraussetzung für den Zuschuss zu nehmen, ist sehr schwierig. Warum? Ein Unternehmen, das Gewinnmargen von zehn bis 15 Prozent hat, verfügt über einen großen Spielraum, seine gestiegenen Kosten abzufedern. Im Handel gibt es natürlich nicht nur die großen Ketten, sondern viele kleine Geschäfte. Dort sind die Margen klein, ein bis zwei Prozent, wenn überhaupt. Wenn die Energiekosten stark steigen, müssen diese Unternehmen das sofort über die Preise weitergeben und können das vielleicht gar nicht. Wir sollten also nicht nur über die großen Ketten reden, sondern auch über die kleinen Händler irgendwo am Land sprechen, die die Kosten nicht weitergeben können und den Zuschuss brauchen.

STANDARD: Finanzminister Magnus Brunner sagt, der Staat müsse sich bei Ausgaben wieder zurückhalten künftig, dürfe kein "Nanny-Staat" werden. Jetzt sprachen sie aber davon, Unternehmen zu versichern. Das ist widersprüchlich – oder nimmt man das hin, weil die ÖVP Klientelpolitik macht?

Kocher: Wir haben schon eine außergewöhnliche Situation und da geht es darum, gewisse Versicherungen zu geben. Das ist kein Widerspruch mit dem Finanzminister. Die strukturellen Herausforderungen beim Budget liegen ja dort, wo es um langfristige Ausgaben geht. Natürlich sollte man auch bei Einmalzahlungen vorsichtig sein. Aber eine Einmalzahlung wirkt sich nicht strukturell langfristig auf das Budget aus. Ich gehe davon aus und hoffe sehr, dass es 2024 keinen Energiekostenzuschuss mehr geben muss.

Wie sehr treiben Supermarktketten die Inflation an? Wirtschaftsminister Kocher sieht keine Anzeichen für Probleme beim Wettbewerb
Foto: Imago

STANDARD: Eine Idee als Antwort auf die höheren Gewinne lautet, diese stärker zu besteuern. Eine Übergewinnsteuer als Signal an die Unternehmen, dass ihnen am Ende des Tages nicht mehr bleibt, wenn sie Preise zu sehr hochtreiben. Was halten Sie davon?

Kocher: Ich kann nicht sehen, wie das die Preise reduzieren sollte. Wenn, wird das eher zu höheren Preisen führen, um gewisse Gewinnvorgaben zu erfüllen. Da gibt es andere Möglichkeiten: Etwa Wettbewerb stärken.

STANDARD: Sie erwähnen Wettbewerb: Ist es da nicht ein Problem, dass die Bundeswettbewerbsbehörde noch immer keinen dauerhaft ernannten Chef hat? Sie haben den Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts, Michael Sachs, für den Posten vorgeschlagen. Aber in der Regierung konnte man sich bisher nicht auf ihn einigen.

Kocher: Die Wettbewerbsbehörde funktioniert vollständig und die interimistische Chefin (Natalie Harsdorf-Borsch, Anm) wird auch in der Öffentlichkeit anerkannt. Die Sache liegt jetzt nicht mehr bei mir. Ich habe einen Vorschlag gemäß der Reihung der Besetzungskommission in die Regierungskoordination geschickt, der einer Zustimmung beider Regierungspartner bedarf. (András Szigetvari, 2.5.2023)