Nachdem Metas Quest 2 (ursprünglich Oculus Quest 2) den VR-Markt im Sturm erobern konnte – auch angetrieben von der Corona-Pandemie mit Ausgangsbeschränkungen und Social Distancing –, war Hoffnung am Markt aufgekommen. Nach anfänglichem Hype rund um die Oculus Rift, allerlei Smartphone-basierte Lösungen und HTCs Einstieg hatte das Interesse bei privaten Konsumenten längst wieder nachgelassen. Nun schien es, als könnte endlich der Durchbruch in viele Wohnzimmer gelingen.

Aber dann geschah ... sehr wenig. Zwei Jahre ließ sich Meta Zeit, um eine neue Gerätegeneration zu produzieren, allerdings nicht in Form der von vielen erhofften Quest 3. Stattdessen erschien ein Pro-Modell um 1.500 Dollar, das viele Tester unbefriedigt zurückließ. Den Preis hat der Konzern mittlerweile um ein Drittel gesenkt. Die Lücke zur Quest 3, die für heuer erwartet wird, hat derweil der Konkurrent Pico mit der Pico 4 gefüllt – zumindest funktional.

HTC hat das aber nicht davon abgehalten, sich selbst an einer Premium-VR-Brille zu versuchen. Und zwar mit der Vive XR Elite, die nicht als Kombination aus Standalone-Headset und VR-Gerät für den eigenen Computer antritt, sondern ebenfalls mittels Außenkamera reale und digitale Inhalte zusammenführen soll. Zu haben ist sie aktuell um etwa den gleichen Preis wie die Quest Pro. Wir haben sie getestet.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Disclaimer: Aufgrund technischer Umstände wurde die Brille ausschließlich als Standalone-System, nicht aber als Brille für VR-Games am PC erprobt. Zwar konnte die XR Elite wie vorgesehen einfach dafür eingerichtet werden und wurde auch korrekt erkannt, jedoch verweigerte Intels Grafiktreiber am Testsystem mit Arc-A770-Karte sowohl bei der Übertragung per Kabel als auch per WLAN die Kooperation. Andere Rezensionen legen nahe, dass diese Verwendung der Brille als PC-VR-Headset mit Grafikkarten von AMD und Nvidia nach anfänglichen Problemen mittlerweile gut funktioniert.

Fast identes Innenleben

In Sachen Spezifikationen schenken die Brillen einander nichts. Beide laufen mit Qualcomms Snapdragon-XR2-Chip, wobei in der Quest der XR2+ werkt, eine aufgemöbelte Variante des Chips von 2019, die dank höherer Energieeffizienz kühler bleiben und somit auch länger volle Leistung abrufen können soll. Etwaige Defizite in dieser Hinsicht kompensiert die Vive XR Elite mit einer aktiven Kühlung, die ohne weitere Beschallung gut hörbar ist, in der Hintergrundmusik von Spielen und Apps aber untergeht. Beide Geräte laufen mit 12 GB RAM. Beim Onboardspeicher bietet die XR Elite 128 GB, die Quest die doppelte Kapazität.

Die HTC-Brille bietet mit 1.920 x 1.920 Pixel eine geringfügig höhere Auflösung pro Auge als jene von Meta (1.800 x 1.920 Pixel), was auch mit dem größeren Sichtfeld von 110 statt 106 Grad zu tun hat. Alle zwei Geräte bieten hier eine Bildwiederholrate von maximal 90 Hertz. Sound gibt es aus integrierten Lautsprechern mit Surround-Simulation oder alternativ auch über verkabelte (3,5 mm) oder per Bluetooth angeschlossene Kopfhörer, wobei hier beide Bluetooth in der Version 5.2 nebst Low-Energy-Spezifikation unterstützen. Die Vive XR Elite bringt ab Werk auch Support für Wifi 6 und 6E mit. Bei der Quest Pro soll die 6E-Unterstützung bald per Update freigeschaltet werden.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Modularer Aufbau

Was HTC mit der Vive allerdings deutlich anders macht, ist der Aufbau der Brille. Der 24,3-Wh-Akku ist hier nicht in das Frontteil mit der restlichen Hardware integriert, sondern sitzt in einem gepolsterten Element, das als Gegengewicht am Hinterkopf fungiert. Dort findet sich auch ein Drehmechanismus zur Größenverstellung. Als Gesamtpaket wiegt das Ganze 625 Gramm, das Brillenteil alleine allerdings nur 270 Gramm.

Eine klare Stärke ist dabei die Flexibilität. Mit dem Akkuteil kann das Gerät ohne externe Verkabelung eigenständig genutzt werden. Die Akkulaufzeit ist mit zwei Stunden angegeben. Dreht man in den Entwicklereinstellungen den Turbomodus auf, ist bereits nach 90 Minuten Schluss. Ohne den "Turbo" gehen sich manchmal auch etwas mehr als 120 Minuten aus. Nutzt man die Brille nur stationär und für weniger interaktive Inhalte bzw. Videos, lässt sich wohl noch etwas mehr Zeit herausholen. Für die ebenfalls per USB-C aufladbaren Controller werden 15 Stunden angegeben, was in etwa auch der praktischen Erfahrung entspricht.

Allerdings kann man den Akku auch ganz abnehmen und stattdessen "Brillenbügel" anbringen, die man aber tunlichst nur in Verbindung mit dem beiliegenden Kopfband nutzen sollte. Denn ohne dieses hat das Gerät keinen sicheren Halt. Auf diese Weise kann man die Brille ohne Zusatzgewicht entweder für PC-VR-Games verwenden oder in Verbindung mit einer anderen Stromquelle im Standalone-Modus betreiben. Voraussetzung sind ein passend langes USB-C-Kabel und eine Stromquelle, die idealerweise 30 Watt Leistung liefert. Gleichzeitig kommt man beim Aufladen mit einer kleineren Ablage aus, da man eben nur den Akkuteil alleine anstecken muss.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Für die Kopplung an den PC verkauft HTC um rund 100 Euro ein eigenes, fünf Meter langes USB-C-auf-USB-C-Streamingkabel, mit dem sowohl die Energieversorgung als auch ausreichend Datenbandbreite sichergestellt werden sollen. Vorausgesetzt natürlich, der USB-C-Port des jeweiligen Rechners ist passend spezifiziert.

Komfort

Ein kleines Defizit fällt dann doch noch auf bei der Umsetzung: Die Gesichtspolsterung ist nur durch einen schwachen Steckmechanismus fixiert und hält sonst ausschließlich magnetisch. Passt man beim Absetzen der Brille nicht auf oder greift sie etwas ungeschickt an, muss sie wieder eingehängt werden.

Die HTC Vive XR Elite sitzt recht komfortabel und ist auch bedingt für Brillenträger geeignet. Der Augenabstand kann mit einem Schieber verstellt werden, die beiden Linsen hingegen ermöglichen per Drehung eine optische Kurzsichtkorrektur von bis zu sechs Dioptrien. Wer schwerer von Kurzsichtigkeit betroffen oder weitsichtig ist und keine Kontaktlinsen verwendet, muss das Headset mit Brille nutzen und sollte dabei entweder einen Linsenschutz kaufen oder nach Adaptern von Drittherstellern Ausschau halten.

Die Inbetriebnahme der Brille ist einfach. Nach der Einrichtung des Vive-Accounts und Festlegung des Spielbereichs findet man sich in einem Hauptmenü, wie man es auch schon von der Quest oder Pico kennt. Nur erscheint dieses nicht in einer VR-Umgebung, sondern wird mithilfe der integrierten 16-Megapixel-Kamera in die reale Umgebung eingeblendet (im konkreten Fall in das etwas chaotische Wohnzimmer des Autors).

Foto: DER STANDARD/Pichler

In Sachen Hardware ist diese Kamera die vielleicht wichtigste Neuerung der Vive und auch der Quest im Vergleich zur vorherigen Generation. Denn sie ermöglicht die Umsetzung von Augmented-Reality-Anwendungen (immer öfter Mixed Reality genannt), also die Vermengung von digitalen Inhalten mit der realen Welt. Doch dazu später.

Virtual Reality

Als reine VR-Brille macht die Vive XR Elite eine gute Figur. Es braucht etwas Ausprobieren und Gewöhnung, bis sie wirklich komfortabel am Kopf sitzt, aber bei längerer Verwendung erweist sich die Verlagerung des Akkus an den Hinterkopf als Segen.

Die Controller präsentieren sich im Standarddesign. Es gibt eine Bedienebene mit drei Buttons und einem Analogstick, dazu zwei Triggerbuttons, die mit dem Zeigefinger bzw. Mittelfinger betätigt werden. Darüber befindet sich ein Ring, der Sensoren für das Zusammenwirken mit der Brille beinhaltet.

Die Verortung der Controller funktioniert in der Praxis sehr genau und auch am äußeren Rand des Sichtfelds und etwas darüber hinaus. Dennoch sollte man auf Nummer sicher gehen und die Controller möglichst immer im Blickfeld halten, um bei hektischeren Spielen wie dem "Beat Saber"-Nachbau "Moonrider" keine unangenehmen Überraschungen zu erleben.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Mit dabei ist auch Handtracking für den Fall, dass die Controller gerade nicht verfügbar sind oder man sie aufgrund einer körperliche Einschränkung nicht verwenden kann. Manche Apps und Spiele setzen Handtracking sogar voraus – etwa der großartige, aber leider viel zu kurze "Dirigenten-Simulator" mit dem Titel "Maéstro", der zeigt, dass immersive Games rund um Rhythmus und Melodie auch mit klassischeren Musikrichtungen gut umsetzbar sind.

Mixed Reality

Die im Test verfügbaren Mixed-Reality-Apps geben zwar einen Einblick in die Möglichkeiten, eine wirkliche "Killer-App" findet sich dabei aber noch nicht. FigminXR, aber insbesondere OpenBrush zeigen die kreativen Möglichkeiten, die sich zusätzlich ergeben, wenn anstelle eines virtuellen Hintergrunds digitale 3D-Kunst in die echte Welt gemalt wird. Wer sich kreativ austoben will, kommt hier schon gut auf seine Kosten.

Die Aufnahmequalität der Kamera ist dabei untertags passabel, wenngleich mit Neigung zu leichtem Rauschen und Überschärfung. Sie bietet im Vergleich zum grob aufgelösten Schwarz-Weiß-Pixelmatsch der Quest 2 oder Pico 3 Neo eine wesentlich angenehmere Form der Orientierung, wenn man sich etwa kurz einmal aus dem Spielbereich bewegen möchte, ohne die Brille abzunehmen. Kleinere Texte zu lesen ist damit zwar nicht möglich, aber für einen derartigen Einsatz ist das Feature auch nicht gedacht.

Die Einschätzung von Abständen, insbesondere wenn man nach etwas greift, ist aufgrund des Weitwinkels zunächst schwierig, jedoch gewöhnt man sich schnell an die Perspektive. Der Passthrough ist jederzeit durch die doppelte Betätigung einer Controllertaste erreichbar.

YukiMR ist "eh nett", aber beileibe keine "Killer-App"-
Foto: DER STANDARD/Pichler

Bei Spielen müssen erst mehr Entwickler überzeugende Umsetzungen liefern. Ausprobiert wurde "YukiMR", eine auf die Verwendung des Kamera-Passthrough ausgelegte Version des Bullethell-Shooters "Yuki". Hier öffnen sich über der realen Welt Portale, aus denen Gegner strömen, die es abzuschießen gilt, während man Unmengen ihrer Geschoße ausweicht, Lebenspunkte aufsammelt und hin und wieder die Schilde hochfährt. Das ist lustig, bis sich entweder Bugs einschleichen und die Kollisionserkennung bei Schüssen versagt oder man sich nach 20 Minuten fürs Erste satt gespielt hat.

Das Erlebnis ist "nett", die ganz große Immersion gelingt aber noch nicht. Spannender ist da schon die Mixed-Reality-Variante des Tabletop-Games "Demeo", was aber nur im Multiplayer so richtig Freude macht – und voraussetzt, dass die anderen Teilnehmer ebenfalls über eine VR-Brille verfügen. Das Potenzial ist da, und mit Brillen wie der Vive XR Elite auch die Plattform, um es zu nutzen. Einzig fehlt es noch an genügend überzeugenden Inhalten.

Vorbereitend für Mixed Reality kann man auch eine digitale Raumeinrichtung vornehmen. Dabei definiert man Wände, Türen, Fenster sowie Einrichtungsgegenstände wie Sofa, Tische und Kästen im genutzten Raum. Diese Vorlage können sich dann Apps entsprechend zunutze machen. Das System geht allerdings stets von perfekt geraden Wänden aus und ergibt damit im Wiener Altbau nicht unbedingt die genaueste Reproduktion.

Nicht jede voreingespeicherte Szene in FigminXR ist so verstörend wie dieses von 80er-Jahre-Musik untermalte Arrangement sich mehr oder weniger rhythmisch bewegender GIF-Animationen.
Foto: DER STANDARD/Pichler

Apps, Grafik, Akustik

Trotzdem: Technisch macht die Vive XR Elite vieles richtig, doch die Auswahl an Apps und Spielen ist merklich kleiner als im Oculus-Store der Quest. Die meisten bekannteren Games wie "Walkabout Minigolf", "After the Fall", "Sword & Sorcery" oder "Superhot VR" sind zu finden. Manche allerdings fehlen – die größte Lücke hinterlässt hier der wohl bekannteste VR-Hit überhaupt, nämlich das bereits erwähnte "Beat Saber".

Was die visuelle Qualität der Inhalte betrifft, unterscheiden sich die letzten beiden Generationen an VR-Brillen nicht wesentlich. Der minimale Auflösungsunterschied fällt faktisch nicht auf. An Helligkeit und Farbdarstellung gibt es nichts auszusetzen. Ebenfalls gefällt die Soundausgabe. Es ist immer wieder faszinierend, wie gut die Akustik klingt und wie genau die Positionierung trotz der geringen Größe der Lautsprecher klappt.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Fazit

Technisch kann man der HTC Vive XR Elite kaum etwas vorwerfen. Die Gesichtspolsterung lässt sich etwas gar leicht lösen, und für die Befestigung des Kopfbands hätte man sich einen einfacheren Mechanismus einfallen lassen können. Darüber hinaus macht die Brille alles mindestens so gut oder besser als Metas Quest Pro.

Insbesondere die Aufteilung in ein Brillen- und ein Akkuteil gefällt. Das verbessert die Ergonomie und macht das Gerät nicht nur als PC-VR-Brille mit erheblich verringertem Gewicht verwendbar. Die Laufzeit im reinen Standalone-Modus könnte höher sein, ist hier aber eine Kompromisslösung. Und es hält ohnehin nicht jeder VR-Enthusiast länger als zwei Stunden durch.

Als VR-Brille überzeugt das Gerät. Was aber generell fehlt, sind noch genügend überzeugende Anwendungen für den neuen Anwendungsfall "Mixed Reality". Ja, digitale Kunstwerke malen und Tabletop-Games spielen hat was für sich, aber das Erlebnis, auf das man als Besitzer so einer Brille kaum verzichten kann, scheint es noch nicht zu geben. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis es so weit ist. Wenn man aber mit Virtual Reality zufrieden und kein Mixed-Reality-Hardcore-Enthusiast ist, sind die 1.200 Euro für die Vive XR Elite schwer zu rechtfertigen. Auch wenn sie ein mehr als würdiger Konkurrent der Quest Pro ist. (Georg Pichler, 2.5.2023)