Dass die Spitze des größten Gerichts Österreichs wohl für viele Monate unbesetzt bleibt, findet Enzinger "nicht akzeptabel".

Foto: Regine Hendrich

Der Wiener Anwaltspräsident Michael Enzinger residiert seit zwei Amtsperioden in seinem hellen Büro in der Rotenturmstraße im Ersten Bezirk. Jetzt, nach acht Jahren, ist Schluss. Bei der anstehenden Plenarversammlung am 25. Mai werde Enzinger nicht mehr kandidieren, teilt er vor dem Beginn des Gesprächs mit.

STANDARD: Bei der Schaffung einer politisch unabhängigen Behörde an der Spitze der Staatsanwaltschaften blockieren sich die Regierungsparteien gegenseitig. Es liegen zwei Konzepte auf dem Tisch. Welches wollen Sie?

Enzinger: Wir haben seit 1920 den Justizminister an der Weisungsspitze, der der parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Ändern sollte man das nur aus triftigem Grund und nicht aus politischen Überlegungen.

STANDARD: Sie sind dafür, den Status quo beizubehalten? Die Idee ist ja, künftig schon jeden Verdacht der politischen Einflussnahme auf Strafverfahren auszuschließen.

Enzinger: Ich habe noch keine bessere Lösung gesehen als die derzeitige, die sich seit 1920 bewährt hat. Eine Änderung dieses Systems ist aus meiner Sicht nicht geboten.

STANDARD: Sie wollen ein Verbot für Medien, aus Strafakten zu zitieren. In Deutschland gibt es ein solches Verbot, es wird aber stark kritisiert und funktioniert in der Praxis kaum. Was würde ein Verbot bringen?

Enzinger: Es würde verhindern, dass Aktenteile an die Öffentlichkeit kommen, was oft die Ermittlungen erschwert. Abgesehen davon werden aus purer Sensationsgier Dinge veröffentlicht, die mit dem Strafverfahren nichts zu tun haben. Dass es in Deutschland nur wenige Verurteilungen gibt, ändert nichts daran, dass die Regelung sinnvoll wäre.

STANDARD: Es ist ja auch das Recht der Beschuldigten, Akten zu veröffentlichen, um sich zu verteidigen. Ein Verbot würde in dieses Recht eingreifen, wie selbst der ehemalige Anwaltspräsident Rupert Wolff betonte. Ist das wirklich in Ihrem Sinne?

Enzinger: Jeder Beschuldigte legt sich seine Verteidigungsstrategie zurecht und hat es in der Hand, sich öffentlich zu äußern. Er unterliegt nicht der Amtsverschwiegenheit, die übrigens immer wieder massiv missachtet wird.

STANDARD: Den Vorwurf, dass Behörden Akten veröffentlichen, erheben Anwälte wie Sie immer wieder, konkretisiert wird das aber nie. Das ist ein strafrechtlicher Vorwurf.

Enzinger: Es ist unsere Aufgabe als Standesvertreter, auf Missstände in der Justiz aufmerksam zu machen.

STANDARD: Laut Justizministerium gab es nie Ermittlungen in diese Richtung. Sie hätten es ja in der Hand, Anzeige zu erstatten.

Enzinger: Ich habe bereits in einem konkreten Fall eine Sachverhaltsmitteilung an die Behörden übermittelt. Die ist mangels Anfangsverdachts aber nicht weiterverfolgt worden. Ich habe keine Möglichkeit, diese Entscheidung über den Anfangsverdacht zu überprüfen.

STANDARD: Jetzt zu etwas völlig anderem: Die Spitze des Bundesverwaltungsgerichts, das etwa für Asylverfahren zuständig ist, ist seit fast einem halben Jahr unbesetzt, weil sich ÖVP und Grüne nicht auf einen Nachfolger einigen können. Müssten Sie da als Anwaltskammer nicht aufschreien?

Enzinger: Dass die Präsidentenstelle an einem Gericht monatelang unbesetzt ist, ist demokratiepolitisch nicht schön. Ganz ohne politische Einflussnahme geht es aber nicht. Letztlich muss irgendwer die Entscheidung treffen, wie Spitzenpositionen in der Justiz besetzt werden. Und das kann am Ende nur eine Regierung oder ein Parlament sein.

STANDARD: Es gibt schon Befürchtungen, dass man bis zur nächsten Legislaturperiode warten muss.

Enzinger: Das wäre nicht mehr akzeptabel.

STANDARD: Oft hat man den Eindruck, dass die politische Einflussnahme bei Verwaltungsgerichten ein viel größeres Problem ist als bei Straf- und Zivilgerichten. Stimmt dieser Eindruck?

Enzinger: Die Verwaltungsgerichte sind noch jung, viele Richter dort stammen ursprünglich aus der Verwaltung. Wenn man als Verwaltungsbeamter groß geworden ist, hat man ein ganz anderes Selbstverständnis von richterlicher Unabhängigkeit, als wenn man von Anfang an Richter war. Das ist eine Frage der nächsten Generation und wird sich auswachsen.

STANDARD: Vergangenen Sommer gab es in der Wiener Anwaltskammer den Antrag, das Wort "Rechtsanwältinnen" in das Logo aufzunehmen. Es stimmte eine Mehrheit dafür, notwendig wäre aber eine Zweidrittelmehrheit gewesen. Ist das nicht etwas übertrieben bei einem Logo?

Enzinger: Der Antrag hatte das Ziel, die Geschäftsordnung zu ändern, und ist aus rechtlichen Gründen gescheitert. Das Anliegen ist aber berechtigt. Nur von Rechtsanwälten zu sprechen ist nicht mehr zeitgemäß. Wir haben eine Agentur damit beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten. (Jakob Pflügl, Magdalena Frei, 3.5.2023)