Eine Auflösung der Blockade ist derzeit nicht in Sicht.

Foto: Matthias Cremer

Knapp ein halbes Jahr nach dem Pensionsantritt Harald Perls bleibt die Präsidentenstelle des größten Gerichts Österreichs weiterhin unbesetzt. Die Entscheidung über die Leitung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), das etwa für Asylfragen und Umweltverfahren zuständig ist, liegt bei der türkis-grünen Bundesregierung, die sich offenbar seit Monaten nicht einig wird. Politische Beobachterinnen und Beobachter vermuten, dass die Angelegenheit mit einer weiteren offenen Personalentscheidung bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) verknüpft ist. Im STANDARD übt der Dachverband der Verwaltungsrichter:innen nun scharfe Kritik.

Die Besetzungskommission hatte bereits am 13. Februar einen Vorschlag mit drei Kandidatinnen und Kandidaten an die Regierung übermittelt. Wie berichtet wurde darin Sabine Matejka, die Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung und Vorsteherin des Bezirksgerichts Floridsdorf, an erste Stelle gereiht.

Das Beamtenministerium unter Werner Kogler (Grüne) hat daraufhin einen Ministerratsvortrag erarbeitet, der "jederzeit beschlossen" werden könnte, heißt es auf Anfrage. Man warte aber mittlerweile seit Wochen auf eine "positive Rückmeldung" des türkisen Koalitionspartners. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) verwies bei einem Treffen der deutschsprachigen Justizminister am Montag auf die Stellungnahme des Beamtenministeriums. Der Ministerratsvortrag sei erarbeitet und liege bereit. Das ÖVP-geführte Bundeskanzleramt ließ mehrmalige Anfragen des STANDARD unbeantwortet.

"Fehlende Verantwortung"

Die Nachbesetzung am BVwG hatte bereits im Vorfeld des Auswahlverfahrens für Aufregung gesorgt. Grund war der "Sideletter" für Postenbesetzungen der türkis-grünen Regierung, der im Jänner 2022 bekannt wurde. Demnach sollte beim Präsidenten oder der Präsidentin des BVwG die ÖVP zum Zug kommen. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hatte danach betont, den Vorschlag der Personalkommission zu respektieren.

In einer Stellungnahme kritisiert der Dachverband der Verwaltungsrichter:innen die Blockade nun scharf. Sowohl die ausstehende Ernennung am BVwG als auch die zuletzt erfolgten Ernennungen bei den Landesverwaltungsgerichten Tirol und Steiermark weisen "klar darauf hin, dass die europäischen Standards nicht eingehalten werden und zumindest der Anschein der politischen Einflussnahme gegeben ist".

Die Situation zeige, dass "die Politik ihre Verantwortung gegenüber der Rechtsprechung als zentrale Säule unserer Demokratie nicht gebührend wahrnimmt". Der Dachverband fordert, dass der Besetzungsvorschlag, der im Auswahlverfahren erarbeitet wird, künftig verbindlich sein soll.

Kopplung mit BWB?

Neben dem Chefsessel am BVwG ist eine weitere wichtige Position seit geraumer Zeit vakant. Politische Beobachter gehen deshalb davon aus, dass die Personalentscheidungen aneinander gekoppelt sind. Nach dem Rücktritt des ehemaligen Chefs der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), Theodor Thanner, Ende 2021 wird die Behörde seit mehr als einem Jahr interimistisch von seiner Stellvertreterin Natalie Harsdorf-Borsch geleitet.

In dem Verfahren um die Nachbesetzung ging in einer umstrittenen Entscheidung der Personalkommission im Frühjahr Michael Sachs als Bestgereihter hervor. Sachs ist Vizepräsident am BVwG und leitet das Gericht interimistisch. Die Grünen wehrten sich jedoch gegen die Bestellung des ÖVP-nahen Juristen wegen angeblicher fachlicher Mängel und bevorzugen die Bestellung der BWB-Interimschefin Harsdorf-Borsch, die im Auswahlverfahren zweitgereiht wurde. Das ÖVP-geführte Wirtschaftsministerium unter Martin Kocher legte vergangenen Herbst wiederum ein Gegengutachten vor, das Sachs' Qualifikation bejahte.

Das Ergebnis: Sachs bleibt interimistisch Chef des BVwG, Harsdorf-Borsch bleibt interimistische Leiterin der BWB. Dass die Koalition diese Konstellation mit einem Tauschgeschäft auflösen könnte, wurde immer wieder kolportiert, offiziell aber stets dementiert. Ein Ende der gegenseitigen Blockade ist derzeit nicht in Sicht. (Jakob Pflügl, 8.5.2023)