Einmal schnell rein ins Geschäft, den schönen grünen Pullover aus dem Schaufenster kaufen, der im Angebot ist, aber zu Hause nicht mehr so recht passen will und schließlich im Kleiderschrank ein trauriges Dasein fristet. Bis man ihn nach Jahren, kaum getragen, wieder weggibt. Das ist natürlich alles andere als nachhaltig. Nachhaltig wäre, zu kaufen, was wirklich gefällt, und es möglichst lange zu tragen. Und wenn man es nicht mehr benötigt, es nicht zu entsorgen, sondern weiterzuverwenden. Secondhand spiele dabei eine große Rolle, sagt Burcu Gözet. Sie ist Kreislaufforscherin am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Ihr Schwerpunkt sind Stoffkreisläufe.

Im Interview erklärt Gözet, warum Secondhand mittlerweile zu einem regelrechten Lifestyle geworden ist, worauf man beim Kauf achten sollte und wieso aus Plastikflaschen keine Yogahosen werden sollten.

STANDARD: Heute passiert es immer seltener, dass wir uns in ein Kleidungsstück verlieben, sagen Sie. Wieso?

Gözet: Das hat mit Fast Fashion angefangen. Weil Kleidungsstücke so günstig geworden sind, denken wir viel weniger darüber nach, ob wir sie uns gönnen möchten. Wir kaufen uns schneller etwas, weil wir wissen, dass wir das Teil in ein paar Wochen mit gutem Gewissen wieder abgeben können. Dabei spielt Langlebigkeit in der Kreislaufwirtschaft eine große Rolle. Es geht einerseits um technische Langlebigkeit, also dass die Qualität der Kleidung stimmt und sie lange hält. Andererseits geht es um emotionale Langlebigkeit – also dass wir uns wie früher in ein Kleidungsstück verlieben und es lange und oft tragen.

STANDARD: Durch Secondhand bleiben Kleidungsstücke länger im Kreislauf. Viele scheinen davor jedoch noch zurückzuschrecken. Sie kaufen Gebrauchtes für ihre Kinder, aber für sich möchten sie das nicht. Warum?

Gözet: Die Daten zeigen etwas anderes – nämlich, dass Secondhand immer relevanter wird und die Zustimmung dafür steigt. Bei Kindern ist es mittlerweile gang und gäbe, Kleidung weiterzugeben. Vor allem bei Babys, weil sie sehr schnell aus ihrer Kleidung herauswachsen. Aber auch bei Erwachsenen hat Secondhand nicht mehr das Schmuddel-Image. Umfragen in Deutschland zeigen, dass fast 70 Prozent der Befragten schon einmal Mode gebraucht gekauft hat. In Österreich wird offenbar Kleidung am häufigsten Secondhand gekauft – noch vor Elektronik.

"Auch bei Erwachsenen hat Secondhand nicht mehr das Schmuddel-Image."

STANDARD: Es gibt mittlerweile die Bezeichnungen "pre-loved" oder "pre-owned". Auch "Secondhand" ist positiver besetzt als "gebraucht". Ist das wichtig fürs Image?

Gözet: Ja, aber auch ein gewisser Lifestyle gehört zum Imagewandel dazu. Frühere Generationen mussten gebraucht kaufen, weil sie sich vielleicht nichts anderes leisten konnten. Dementsprechend waren da gewisse Vorbehalte. Mittlerweile bedeutet Secondhand längst nicht mehr, sich nichts anderes leisten zu können. Einige Stores sehen schon aus wie Designerläden. Sie sind hell, es finden dort regelmäßig Partys statt. Außerdem kann Secondhand einen gewissen Stil hervorbringen, womit ganz bewusst geworben wird. Ältere Kleidung weist auch häufig eine viel bessere Qualität auf. Sie zu tragen ist fast schon zu einer Art Lebensstil geworden.

STANDARD: Bei welcher Kleidung zahlt es sich richtig aus, sich nach Secondhand umzusehen?

Burcu Gözet forscht in Berlin zu Stoffkreisläufen.
Foto: privat

Gözet: Bei Kleidung, die langlebig ist. Bei Unterwäsche oder Socken macht das natürlich keinen Sinn, bei einem Mantel, der einen durch mehrere Winter begleiten soll, kann man sich jedoch nach Vintage umsehen. Oder auch bei einem Kleid für eine Hochzeit, von dem man weiß, dass man es nur ein oder zwei Mal tragen wird.

STANDARD: Sie kaufen selbst Secondhand. Wenn Sie ein Kleidungsstück suchen, worauf achten Sie?

Gözet: Ich kaufe nicht online. Wenn ich Secondhand kaufe, dann auf Märkten oder in speziellen Geschäften. Mir ist es wichtig, den Zustand der Kleidung beurteilen zu können, das Material zu fühlen. Online ist das unmöglich.

STANDARD: In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagen Sie: Secondhand ist nicht zwingend nachhaltig. Wie meinen Sie das?

Gözet: Die Gefahr ist, dass es dazu verleitet, mit einem guten Gewissen noch mehr zu kaufen. Die Nachfrage nach Secondhand nimmt zu, gleichzeitig steigt aber auch die nach Fast Fashion. Dabei wäre der eigentliche Sinn von Secondhand ja, dass der primäre Konsum dadurch abnimmt. In Zukunft haben wir wohl einen größeren Secondhand-Markt, der allerdings von billiger Kleidung aus schlechter Qualität geflutet wird, die auch nur schwerer zu recyceln ist.

STANDARD: Modebloggerinnen erklären regelmäßig, dass ein Kleidungsstück mindestens 30-mal getragen werden muss, damit es nachhaltig ist. Wie kommt diese Zahl zustande?

Gözet: Ich werde aus dieser Zahl auch nicht ganz schlau. Womöglich ist die Daumenregel dazu gedacht, sich zu überlegen: Würde ich dieses Kleidungsstück 30-mal tragen? Wie könnte ich es kombinieren, damit ich es 30-mal tragen kann? Unsere Kleiderschränke sind voll von Kleidung, die wir kaum tragen. Dennoch muss man mit dieser Regel vorsichtig sein. Denn Kleidung ist nicht automatisch nachhaltig, nur weil sie öfter als 30-mal getragen wurde. Entscheidend ist auch, woraus sie besteht und was damit passiert, wenn ich sie nicht mehr brauche.

STANDARD: Wie sehen Sie es, dass Modehändler wie etwa Zalando nun auch Secondhand auf ihren Plattformen anbieten. Ist das mehr als Greenwashing?

Gözet: Bei Plattformen, die grundsätzlich keine nachhaltige Ausrichtung haben, lohnt sich ein kritischer Blick. Zalando und Co wollen Neumode ja gar nicht ersetzen, dementsprechend ist Secondhand ein zusätzlicher Markt für sie. So viel ich weiß, bekommt man für die Kleidung auch kein Geld direkt ausgezahlt, sondern nur einen Gutschein, um den man wieder einkaufen kann. Was bei Zalando ebenfalls problematisch ist, ist die Logistik: Retournierte Ware wird teils mit LKWs durch ganz Europa transportiert. Das dürfte wohl auch für die Secondhand-Mode gelten, die Zalando zugeschickt wird.

STANDARD: Was ist das für Kleidung, die da weiterverkauft wird?

Gözet: So genau kann ich das leider nicht beurteilen. Auf der Homepage sagt Zalando, dass garantiert wird, dass die Kleidung in Ordnung, also sauber ist und keine Löcher aufweist. Sie schafft damit Vertrauen.

STANDARD: Wenn wir nicht mehr benötigte Kleidung in Altkleidercontainer werfen: Was passiert dann damit? Eigentlich sollte sie ja Bedürftigen in Österreich zugute kommen. Liest man jedoch genauer nach, erfährt man schnell: Ein Gutteil wird nach Afrika gebracht, wo es den dortigen Markt zerstört und oft auf Mülldeponien landet.

Gözet: In einem ersten Schritt wird die Kleidung sortiert. Das passiert tatsächlich noch manuell: Da steht jemand und schaut sich jedes Teil an. Das ist natürlich sehr zeitintensiv, vor allem, weil die Menge der Kleidung, die in diesen Containern landet, immer weiter zunimmt. Oft findet die Sortierung in Polen, Bulgarien oder Rumänien statt, weil dort die Löhne niedriger sind. Was für gut befunden wurde, wird innerhalb Europas weiterverkauft. Das ist rund die Hälfte. Der Rest wird in 50-Kilo-Ballen zusammengepresst und nach Afrika, Südostasien oder Südamerika gebracht. Das Problem daran: Es ist nicht richtig erkennbar, was in diesen Ballen steckt. Deshalb kommt es vor, dass in afrikanischen Ländern Wintermantel ausgepackt werden, die dort nicht gebraucht werden. Diese Kleidung landet oft auf Landstichen. Es bräuchte eine Sortierung schon innerhalb Europas, damit Kleidung auch wirklich dort landet, wo sie auf Nachfrage stößt.

Am nachhaltigsten wäre es natürlich, gar nicht erst zu kaufen, sagt die Expertin. Wenn schon, dann jedoch am besten Dinge, die sich schon im Kreislauf befinden, also Secondhand.
Foto: Getty/ArtMarie

STANDARD: Was könnte man denn noch mit Kleidung machen, außer sie in einen Container zu werfen?

Gözet: Man kann sie an Freundinnen und Freunde weitergeben, die die gleiche Größe haben oder bei einer Kleidertauschparty tauschen. Vielleicht kann man aus alter Kleidung auch etwas Neues nähen. Ideen dafür gibt es viele.

STANDARD: Stellen Sie sich eine ideale Welt vor: Aus Kleidung könnte neue Kleidung entstehen. Was müsste dafür passieren und wie könnte das aussehen?

Gözet: Ein großer Schritt wäre mehr Transparenz. Wir müssten wissen, wo etwas produziert wurde und wie. Es gibt bereits Pilotprojekte, bei denen Kleidung mit einem QR-Code versehen wird. Scannt man ihn ein, weiß man direkt, welches Material für ein Kleidungsstück verwendet wurde. Oder ob bei der Herstellung giftige Chemikalien zum Einsatz kamen. Das zu wissen, würde auch die Sortierung enorm erleichtern. Es wäre sofort klar, ob etwas recyclingfähig ist oder nicht. Wichtig wäre zudem, einen Materialmix zu vermeiden, denn er erschwert derzeit den Recycling-Prozess. Aber auch, zu schauen: Wie vernäht man beispielsweise den Reisverschluss, damit er das Recyling nicht stört? Daran hapert es derzeit noch.

STANDARD: Zuletzt hatte ich in einem Geschäft eine Yogahose in der Hand, die aus Plastikflaschen gemacht wurde. Ist das wirklich nachhaltig?

Gözet: Aus Plastikflaschen sollten wieder Plastikflaschen hergestellt werden. Sobald aus Plastikflaschen eine Yoga-Hose produziert wird, kann sie nicht noch einmal zu einer Plastikflasche werden. Ein funktionsfähiger Kreislauf wird also aufgebrochen, und es werden andere Produkte erzeugt, die es erschweren, das Material nochmals weiterzuverwenden. Die beste Kreislaufwirtschaft ist die geschlossene. Yogahosen sollten wieder zu Yogahosen werden und Plastikflaschen zu Plastikflaschen. (Lisa Breit, 5.5.2023)