Österreichs Zeitungen erscheinen aus Protest gegen das ORF-Gesetz Mittwoch mit leeren Titelseiten.

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Wien – Österreichs Zeitungen erscheinen am Mittwoch, dem Welttag der Pressefreiheit, mit leeren Titelseiten: Sie protestieren damit und mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), die Regierung und die Abgeordneten zum Nationalrat gegen das geplante ORF-Gesetz. Mit der neuen Finanzierung und zusätzlichen Möglichkeiten online werde privaten Medien "jegliche Entwicklungsmöglichkeit in die Zukunft abgeschnitten", heißt es auf Seite zwei vieler Titel.

"Drohendes Meinungsmonopol"

Den offenen Brief an Regierung und Nationalrat haben Vorstände und Geschäftsführer von STANDARD, "Krone", "Heute", "Kurier", "Kleine Zeitung", "Salzburger Nachrichten", "Oberösterreichische Nachrichten", "Tiroler Tageszeitung", "Vorarlberger Nachrichten", "Neue Vorarlberger", "Oberösterreichisches Volksblatt", "Wiener Zeitung", "Profil", "Die Furche", "NÖN" und "BVZ" unterzeichnet, zudem der Präsident und der Geschäftsführer des Zeitungsverbandes VÖZ.

"Wir fordern Sie im Interesse aller Medien in unserem Land auf, einem drohenden Meinungsmonopol entgegenzuwirken. Überarbeiten Sie das ORF-Gesetz. Sorgen Sie für einen fairen Interessenausgleich. Und gewährleisten Sie dadurch Medien- und Meinungsvielfalt", heißt es in dem offenen Brief. Durch das ORF-Gesetz sei "die österreichische Medienvielfalt existenziell bedroht".

"Mit der geplanten Novelle zum ORF-Gesetz erhält das größte Medienunternehmen Österreichs, der ORF, zusätzliche öffentliche Geldmittel sowie erheblich mehr Möglichkeiten, seine Aktivitäten und Angebote im digitalen Raum auszuweiten." Der Schluss: "Das ist gut für den ORF. Und schlecht für die Medienvielfalt."

Die Mittwoch erscheinenden Zeitungen und ihre Chefredakteure beschäftigen sich in Leitartikeln mit dem geplanten ORF-Gesetz. (fid, 3.5.2023)

Zitate aus den Leitartikeln der Chefredakteurinnen und Chefredakteure:

Martin Kotynek, DER STANDARD

"Wenn man auf der einen Seite dem ohnehin schon größten Marktteilnehmer noch mehr Rechte und Finanzmittel geben will, dann muss man auf der anderen Seite für Chancengleichheit sorgen. Es war ein Fehler, die ORF-Digitalnovelle an die Sicherung der Finanzierung des ORF zu koppeln", kommentiert STANDARD-Chefredakteur Martin Kotynek.

Florian Asamer, "Die Presse"

"Die neuen Regeln für den ORF behindern einen funktionierenden Medienmarkt. Dahinter steckt kein politisches Versagen, sondern langfristiges Kalkül", schreibt Florian Asamer in der "Presse". Aus Sicht der privaten Verlage "zementiert und vergrößert die neue gesetzliche Grundlage die finanzielle Überlegenheit des ORF, schafft dadurch ein Beinahemonopol und nimmt für Pluralität und Demokratie unverzichtbaren Alternativangeboten die ökonomische Luft zum Atmen".

Christian Nusser, "Heute"

"Letzte Woche wurde von der Bundesregierung das neue ORF-Gesetz in Begutachtung geschickt. Es sorgt ab 2024 dafür, dass an der "größten Medienorgel des Landes neue, hübsche Pfeifen montiert werden können", so Christian Nusser in "Heute". "Der ORF bekommt mehr Geld, darf mehr. Es besteht die reale Gefahr, dass diese Medienorgel die Privatverlage aus der Medienlandschaft bläst."

Hubert Patterer, "Kleine Zeitung"

Die leere, weiße Titelseite bringe "mahnend zum Ausdruck, was der heimischen Medienlandschaft perspektivisch droht, sollte das zur Begutachtung geschickte ORF-Gesetz Wirklichkeit werden: die Verödung von medialer Breite und Meinungspluralität", heißt es im Leitartikel von Hubert Patterer in der "Kleinen Zeitung".

Klaus Herrmann, "Kronen Zeitung"

"Eine gänzlich leere Titelseite wie heute – das gab es noch nie! Und das bei allen wichtigen Tageszeitungen Österreichs. Sie ist ein lauter gemeinsamer Protest am Tag der Pressefreiheit. Weil mit der von der Regierung geplanten Novelle zum ORF-Gesetz der Staatsfunk samt Haushaltsabgabe auf Dauer abgesichert wird – während die Luft für die Zeitungsverlage immer dünner wird, darf sich doch das im Staatseinfluss stehende 'öffentlich-rechtliche' Medium wie ein Krake noch immer weiter ausbreiten", so Klaus Herrmann in der "Kronen Zeitung".

Martina Salomon, "Kurier"

"Nach der amtlichen 'Wiener Zeitung' (deren Geschäftsmodell der Zwangsinserate einfach keines mehr war)" werde man "noch weitere Zeitungen sterben sehen. Eine echte Qualitätsförderung – über den ORF hinaus – wäre eine sinnvolle Alternative gewesen", schreibt Martina Salomon im "Kurier". "Die Chance wurde verpasst. Einen medienpolitischen Neustart kann und muss man sich leider erst von einer nächsten Regierung erhoffen. Es wird bald sichtbar werden, wie notwendig er ist."

Anna Thalhammer, "Profil"

"Medien- und Meinungsvielfalt sorgen für einen gesunden politischen Diskurs, für Toleranz – und, ja, Bildung. Dass Schwarz-Grün die vierte Säule mit solchen Gesetzen derart beschneidet – und vor allem die kleinen, in der Erhaltung teuren Qualitätsmedien, weiter ins Eck zu drängen (oder gleich abzuschaffen) versucht, ist demokratiepolitisch höchst alarmierend", heißt es bei Anna Thalhammer im "Profil". "Ein Blick in die Medienlandschaft Europas zeigt: Dort, wo die Öffentlich-Rechtlichen einen klaren Auftrag mit klaren Grenzen haben, besteht Medienvielfalt. Da, wo das nicht so ist, gibt es eine Übermacht des Öffentlich-Rechtlichen und einiger großer Boulevardmedien."

Gerold Riedmann, "Vorarlberger Nachrichten"

"Nicht, was gut ist für die Bürgerinnen und Bürger. Nicht, was gut ist für freie Meinung, Medienvielfalt und damit Demokratie. Sondern was gut ist für den ORF – allein darum drehte sich die Diskussion der Neufassung des ORF-Gesetzes", schreibt Gerold Riedmann in den "Vorarlberger Nachrichten". Die Reform lege den Grundstein, "den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so übermächtig auszugestalten, dass zukünftiges Überleben für die meisten Medien in dieser Republik verunmöglicht wird".

Manfred Perterer, "Salzburger Nachrichten"

"Der ORF nimmt, was er von der Regierung bekommt. Das ist naheliegend. Aber die politisch Verantwortlichen setzen mit ihrer einseitigen rechtlichen und wirtschaftlichen Bevorzugung den privaten Medien das Messer an", so Manfred Perterer in den "Salzburger Nachrichten", "die sind nämlich auf eine freie Finanzierung angewiesen, auf treue Abonnentinnen und Abonnenten, die den gebotenen Qualitätsjournalismus auch honorieren und bereit sind, für digitale Leistungen zu bezahlen."

Judith Belfkih, "Wiener Zeitung"

"Das vorige Woche im Nationalrat beschlossene Gesetz, welches das Aus der 'Wiener Zeitung' als Tageszeitung besiegelt, ist nur der Anfang einer fatalen Kettenreaktion. Von der jüngst vorgestellten ORF-Novelle ist indirekt der gesamte Medienstandort bedroht", heißt es bei Judith Belfkih in der "Wiener Zeitung". "Die Relevanz eines starken, unabhängigen ORF steht außer Frage. Durch die Mehreinnahmen aus der neuen ORF-Haushaltsabgabe in Millionenhöhe wird aber einzig der ORF abgesichert – und nicht der um seine Finanzierung kämpfende Qualitätsjournalismus an sich."

Otto Friedrich, "Die Furche"

"Das Elend der 'Wiener Zeitung' dürfte "nur eine Fußnote in der medienpolitischen Inferiorität bleiben", so Otto Friedrich in der "Furche". "Denn die politische Nichtdiskussion rund um den ORF ist noch viel prekärer: Auch hier zeigt sich, dass von der zuständigen Politik weder ein Plan noch eine Vision dazu zu haben war, wie öffentlich-rechtliche Medien unter den Bedingungen der 2020er-Jahre gestaltet sein sollten."

Marco Witting und Matthias Krapf, "Tiroler Tageszeitung"

"Türkis-Grün hat sich festgelegt: Zuerst kommt der ORF und dann lange nichts. Es fällt schwer, die nun in Begutachtung befindliche Novelle des ORF-Gesetzes als etwas anderes zu lesen als das, was sie ist: die in den Parteizentralen von ÖVP und Grünen ausgeheckte Strategie, die Dominanz des mit Abstand größten Medienkonzerns des Landes noch weiter auszubauen", kommentieren Marco Witting und Matthias Krapf in der "Tiroler Tageszeitung".

Susanne Dickstein, "Oberösterreichische Nachrichten"

"Die tektonischen Verschiebungen in der Medienlandschaft sind auch bei uns spürbar, nicht nur wegen der seit Tagen diskutierten ORF-Reform", schreibt Susanne Dickstein in den "Oberösterreichischen Nachrichten", "dass die Politik den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanziell absichert, ist richtig. Dass sie dem Staatsunternehmen mehr Möglichkeiten einräumt, privaten Medienhäusern Konkurrenz zu machen, heizt einen unfairen Wettbewerb unnötig an."

Roland Korntner, "Oberösterreichisches Volksblatt"

"Es geht uns als Printmedium, das den Weg der Digitalisierung eingeschlagen hat, absolut nicht darum, den ORF abzuschaffen. Im Gegenteil: Es braucht demokratiepolitisch einen starken ORF. Aber es geht um eine vernünftige Koexistenz, im besten Fall sogar um eine Symbiose. Um ein klares Abstecken, welche Player welches Feld beackern dürfen", kommentiert Roland Korntner im "Oberösterreichisches Volksblatt". "Mit dem ORF drängt ein finanziell aufgrund öffentlicher Finanzierung bestens ausgestatteter Akteur immer stärker in den Online-Printsektor. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Das verlangt nach Abänderungen und auch einer klaren Definition, was der ORF tatsächlich leisten soll bzw. muss."

"Österreich" startet ORF-Petition

"Die Medienvielfalt in Österreich ist durch das von ÖVP und Grünen durchgepeitschte ORF-Gesetz massiv gefährdet", schreibt Niki Fellner auf oe24.at, "auch 'Österreich' und 'oe24' unterstützen diesen Appell an die Bundesregierung, das ORF-Gesetz zu stoppen. Stiller Protest reicht angesichts dieses Attentats auf den österreichischen Medienstandort aber unserer Meinung nach nicht mehr aus", so Fellner. "Österreich" und "oe24" starteten eine "Petition für alle Österreicher, um den ORF endlich zukunftsweisend und fair zu reformieren und die Medienvielfalt in unserem Land zu sichern". (red, 3.5.2023)