Keine zehn Minuten dauert es mit dem Auto vom Weißen Haus über die Connecticut Road hinauf zum noblen Washingtoner Stadtteil Kalorama. Und doch fühlt man sich hier wie in einer anderen Welt. Die Azaleen und Rosenbüsche in den Vorgärten der Prachtvillen blühen in kräftigen Farben, unzählige Bäume spenden auf den Straßen Schatten. Wer sich in diese exklusive Ecke verirrt, der wird bald von dezenten Überwachungskameras wahrgenommen, bevor sein Ausflug spätestens an der Ecke Belmont Road und Tracy Place endet.

Hinter einem querstehenden Polizeiwagen und mehreren Betonklötzen kann man das Haus Nummer 2446 deshalb nur erahnen – ein 700 Quadratmeter großer Tudor-Backsteinbau, den vor sechs Jahren ein gewisser Barack Obama für 8,1 Millionen Dollar gekauft hat. Dort residiert der ehemalige US-Präsident nach dem Auszug seiner Töchter Malia und Sasha mit Ehefrau Michelle sowie den Hunden Bo und Sunny, schreibt am zweiten Band seiner Memoiren und plant seine umfangreichen sonstigen Aktivitäten, wenn er nicht gerade auf der Atlantikinsel Martha's Vineyard oder dem Surfer-Paradies Hawaii weilt.

Aus Tagespolitik zurückgezogen

Am vorigen Dienstag hätte der 61-Jährige nur ein paar Schritte den lauschigen Hügel hinunter zum monumentalen Betonklotz des Washingtoner Hilton-Hotels spazieren müssen, um wieder im Zentrum des politischen Geschehens zu stehen. Dort hielt sein ehemaliger Stellvertreter und Nachnachfolger Joe Biden vor 3.200 Gewerkschaftern die erste Rede seiner Wiederwahlkampagne fürs Weiße Haus. Doch Obama beließ es bei digitalen Glückwünschen. "Ich bin stolz auf das, was Joe Biden und seine Regierung in den letzten Jahren erreicht haben", twitterte er: "Lasst uns an die Arbeit gehen!"

So beliebt der Ex-Präsident bei der Mehrheit der US-Bevölkerung ist und so groß seine Fangemeinde im Ausland auch sein mag: Mit dem Auszug aus dem Weißen Haus im Jänner 2017 und dem Umzug nach Kalorama hat sich Obama aus der Tagespolitik weitgehend zurückgezogen. Nach den Vorwahlen in Iowa, New Hampshire und South Carolina meldete er sich erstmals im April 2020 zu Wort und unterstützte offen den Kandidaten Joe Biden. Auch das Biden-Lager hatte kein gesteigertes Interesse an gemeinsamen Auftritten des damals 78-jährigen Bewerbers und seines zwei Jahrzehnte jüngeren Vorvorgängers. Nach Bidens Wahl aber übte Obama in einem Fernsehinterview deutliche Kritik an Donald Trump, der sich weigerte, seine Niederlage einzugestehen.

Filmproduktionsfirma mit Ehefrau Michelle

Dass ehemalige Präsidenten ihren Nachfolgern nicht ins Geschäft pfuschen, gehörte in den USA vor der Trump-Ära zur guten Tradition. Hinzu kam bei Obama: Der Harvard-Absolvent und Nobelpreisträger war zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Amt erst 55 Jahre alt und damit deutlich zu jung, um sich als Elder Statesman auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Also unterzeichnete er einen lukrativen Buchvertrag, gründete eine gemeinnützige Stiftung, die sich um das gesellschaftliche Engagement junger Menschen kümmert, startete mit Ehefrau Michelle eine Filmproduktionsfirma und trieb den Bau seiner Presidential Library in Chicago voran.

Team Obama.
Foto: EPA/MICHAEL REYNOLDS

Vor allem anderen aber ist der Afroamerikaner ein rhetorisches Ausnahmetalent. Entsprechend gefragt ist er dementsprechend als Redner vor großen Auditorien – wie an diesem Mittwoch, wenn er nach Stationen in Amsterdam und Zürich im Rahmen eines Europatrips in Berlin auftreten wird.

Von Anfang an waren Obamas postpräsidiale Aktivitäten mit beeindruckenden Geldsummen verbunden. Das ist – zumal in den USA – weder ungewöhnlich noch anrüchig. Der Ex-Präsident pflegt einen durchaus exquisiten Lebensstil. Neben dem Acht-Millionen-Anwesen in Washington und einem weiteren Haus in Chicago gehört ihm noch eine prächtige Strandvilla auf Martha's Vineyard, die er für zwölf Millionen Dollar erwarb. Er hat zwei Töchter, die zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Amt noch in der Ausbildung waren. Und er unterstützt gemeinnützige Zwecke sowie seine Obama Foundation mit Spenden in unbekannter Höhe. Von der staatlichen Präsidentenpension von rund 200.000 Dollar im Jahr alleine ist das nicht zu bewerkstelligen.

Teure Auftritte

Doch die nach unwidersprochenen Recherchen der "Financial Times" über 60 Millionen Dollar, die Barack und Michelle Obama 2017 als Honorar für ihre beiden Memoiren aushandelten, sorgten selbst in den Vereinigten Staaten für Schlagzeilen. Als Michelle Obama im Oktober des darauffolgenden Jahres in Washington aus ihrem Buch vorlas, gab es ein kleines Freikartenkontingent für Schüler und sozial Schwache. Normalbürger mussten aber zwischen 120 und 3.000 Dollar Eintritt bezahlen. Das sind die üblichen Größenordnungen: Bei einer Australien-Reise in diesem März hatte Barack Obama zwei große Auftritte in Melbourne und Sydney. Nach Medienberichten soll er damit mehr als eine Million Dollar eingenommen haben.

Ganz so toll aber scheint es nun in Deutschland nicht zu laufen. Dabei hatte Obama in Berlin seine größten Publikumserfolge gefeiert: 200.000 Menschen jubelten ihm 2008 an der Siegessäule zu. Da war der Hoffnungsträger noch im Wahlkampf. 2013 und 2017 sprach er vor großem Publikum am Brandenburger Tor.

An evening with President Barack Obama

Für den Auftritt am Mittwoch nun wurde die Mercedes-Benz-Arena am Berliner Ostbahnhof mit 17.000 Plätzen gebucht. Das ist schon einmal eine Halle, die man vollkriegen muss, auch als Ex-Präsident der USA. Kurz vor dem Termin waren noch in fast allen Preiskategorien Karten verfügbar – zwischen 105 Euro und 607,50 Euro für das "Premium All Inclusive Package". Wie viel der Ex-Präsident davon erhält, ist nicht zu erfahren.

Auch für die beiden anderen Termine dieser kleinen Europatournee in Zürich und Amsterdam gab es kurz vor den Shows noch Karten. Möglicherweise ist es doch schwierig für einen Star, wenn seine großen Hits schon ein paar Jahre her sind und die Welt sich schwindelerregend weitergedreht hat. Hinzu kommt: Es ist unklar, was den Zuschauern für das Geld geboten wird. Eine musikalische Umrahmung soll es geben, hört man, eine Diskussionsrunde und, das ist als Einziges bestätigt, ein Gespräch zwischen dem Moderator Klaas Heufer-Umlauf und dem Präsidenten.

Barack Obama auf dem Weg zum Bruce-Springsteen-Konzert in Barcelona am 28.4.2023.
Foto: David Zorrakino/Europa Press via AP

"An evening with President Barack Obama – live in person" heißt der Abend mit Barack Obama, als müsse man extra darauf hinweisen, dass hier keine Obama-Coverband auftritt. Der Veranstalter des Abends heißt Streetlife Entertainment und wirbt damit, Rapper wie Snoop Dogg, Drake und Kendrick Lamar nach Europa gebracht zu haben. So schräg das klingt – als würde Angela Merkel auf einer USA-Tournee von Rammstein-Konzertagenten vertreten –, es passt dennoch. Drake und Kendrick Lamar tauchen auch immer mal wieder auf Obamas Playlists auf, die er auf Instagram postet.

Blitz-Rettungseinsatz

Irgendwie ist auf seine Art auch Obama ein Rapper. An Coolness und Eloquenz auf der Bühne ist der 61-Jährige jedenfalls immer noch schwer zu übertreffen. Das kann jeder bezeugen, der in jüngerer Zeit erlebt hat, wie er mit federndem Schritt und hochgekrempelten Hemdsärmeln vor großem Publikum ans Mikrofon tritt. Er sei "älter, grauer und etwas ungelenker" geworden, leitete er im Oktober des vorigen Jahres einen Auftritt in der Kongresshalle des Flughafens von Atlanta ein, um dann keck hinzuzusetzen: "Obwohl Michelle sagt, dass ich immer noch süß bin." Die mehr als 5.000 Zuschauer im Saal jubelten.

Obama (hier mit Usain Bolt) gibt sich gerne cool.
Foto: imago images/Everett Collection

Dabei hatte der Auftritt des Ex-Präsidenten einen sehr ernsten Hintergrund: Die Umfragen im vorigen Herbst verhießen nichts Gutes für die US-Demokraten bei den bevorstehenden Zwischenwahlen für den Kongress. Kurzfristig entschloss sich Obama zu einer Art Blitz-Rettungseinsatz. Binnen weniger Tage wandte er sich in Detroit, Milwaukee, Las Vegas und Atlanta an die Wähler.

"Es ist gut, wieder zurück in der Schlacht zu sein", kommentierte Obama sein vorübergehendes Comeback auf die Wahlkampfbühne. "Bei dieser Wahl", begründete er sein Engagement, "steht auch die Demokratie auf dem Stimmzettel." Seit der Wahl von Donald Trump hat sein Vorgänger die linksliberale Klientel immer wieder vor Passivität und Selbstgenügsamkeit gewarnt. "Alles wird gut", schloss er in Atlanta: "Aber es hängt von uns ab. Wir müssen dafür kämpfen."

Kontrast zu Trump

So bleibt der charismatische Afroamerikaner, der einst mit dem Wahlkampfslogan "Hope" begeisterte, als krasser Kontrast zum Narzissten Trump, der mit Wut und Angst um Stimmen wirbt, in der amerikanischen Öffentlichkeit durchaus präsent. Doch Obama, dessen konkrete Leistungen als Präsident inzwischen durchaus kritischer gesehen werden, meidet die Niederungen der Parteipolitik und sieht sich eher als intellektueller Ideengeber und Mahner.

Im Idealfall lässt sich damit auch Geld verdienen wie bei der Produktionsfirma Higher Ground, die Michelle und Barack Obama 2018 gründeten, um Filme und Serien für den Streamingdienst Netflix zu erstellen. Ein Jahr später legte das Unternehmen mit "American Factory" eine ebenso packende wie aufklärerische Dokumentation über die konfliktreiche Realität der Globalisierung in einer Industriestadt in Ohio vor. Der Film wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Ein gemeinsamer Podcast von Obama und dem legendären Rock-Sänger Bruce Springsteen unter dem Titel "Renegades: Born in the USA" gewann ebenfalls viele Fans.

Mini-Doku-Serie

Nun hat der Ex-Präsident gerade den Trailer für sein nächstes Projekt veröffentlicht: "Working: What We Do All Day" heißt die vierteilige Mini-Doku-Serie über den Wert der Arbeit, die tiefgreifenden Veränderungen des beruflichen Alltags und deren soziale Auswirkungen, die ab Mitte des Monats bei Netflix abrufbar ist. Obama spielt in vielen Sequenzen mit und führt als Erzähler durch die Handlung.

"Ich muss noch neun Jahre arbeiten, und dann reicht's mir", sagt in dem Film irgendwann ein Protagonist, der ziemlich geschafft in seinem Sofa hängt. Es ist eine durchaus sympathische Szene. Aber so viel ist klar: Für seinen eigenen Ruhestand hat der umtriebige Ex-Präsident ganz andere Pläne. (Karl Doemens und Jan Sternberg, 3.5.2023)