Die Frage, ob man in Wahrheit nicht ein Spion oder ausländischer Agent sei, hören Journalisten in China oft. Meist aber ist sie in den vergangenen Jahren halb im Spaß gestellt worden und zeugt eher von der dunklen Zeit vor der Öffnungsperiode als von der Gegenwart. Dies dürfte sich nun aber wieder ändern.

Die politische Führung in Peking will die "Weitergabe von Staatsgeheimnissen und Geheimdienstinformationen" unter Strafe stellen. Was darunter zu verstehen ist, definiert sie selbst.
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Oft sind in China Gesetze bewusst so weit und vage gefasst, dass sie genug Spielraum für die Regierung lassen, diese im eigenen Sinn auszulegen. Wenn es sich um "Spionage" handelt, gilt dies umso mehr. Und so bereitet das neue "Anti-Spionage-Gesetz" in China gerade Unternehmern und Unternehmerinnen sowie Journalisten und Journalistinnen große Sorgen. Bisher stand die "Weitergabe von Staatsgeheimnissen und Geheimdienstinformationen" unter Strafe. In der Neufassung des Gesetztes, das am 1. Juli in Kraft treten soll, wird der Straftatbestand auf "Dokumente, Daten, Materialien und Gegenstände, die Chinas nationale Sicherheit und nationale Interessen berühren", ausgedehnt.

Was gilt als Spionage?

Darunter ist alles und nichts zu verstehen. Selbst harmlose Marktforschung könnte schließlich unter das Gesetz fallen. Und genau dies bekam die amerikanische Beratungsfirma Bain & Company zu spüren: Vergangene Woche durchsuchten Ermittler die Büroräume der Firma in Schanghai und verhörten mehrere Mitarbeiter.

Das Gesetz erlaubt den Behörden außerdem den Zugriff auf Laptops, Handys und persönliches Eigentum. Was vielen besonders Angst macht: Die Regierung kann auch Ausreiseverbote verhängen. Laut einer Studie der NGO Safeguard Defenders dürfen aktuell zehntausende Chinesinnen und Chinesen das Land nicht verlassen. In den vergangenen 20 Jahren traf dies auch insgesamt 128 Ausländer.

Erinnerung an Huawei-Affäre

Mit zunehmenden geopolitischen Spannungen zwischen der Volksrepublik und dem Westen aber könnten diese schnell zunehmen. Oft werden Vorwürfe konstruiert, um – wie im Beispiel Meng Wanzhou – einen Austausch zu erzwingen: Als im Herbst 2020 die Tochter des Huawei-Gründers, Meng Wanzhou, in Kanada festgenommen wurde, weil das Unternehmen die Sanktionen gegen den Iran umgangen hatte, reagierte Peking innerhalb weniger Tage.

Vier Tage später wurden die kanadischen Staatsbürger Michael Spavor und Michael Kovrig inhaftiert. Der Vorwurf lautete, sie hätten die "nationale Sicherheit Chinas gefährdet". Beide aber hatten sich nichts zuschulden kommen lassen. Als Meng freikam, wurden auch Kovrig und Spavor auf freien Fuß gesetzt. Meng Wanzhou hat inzwischen die Nachfolge ihres Vaters beim Technologiekonzern Huawei angetreten.

Widersprüchliche Signale

Noch im März hatte der mittlerweile ehemalige Ministerpräsident Li Keqiang angekündigt, die Bedingungen für ausländische Unternehmen in China wieder zu verbessern. Durch die rigorose Zero-Covid-Politik hatte sich die Zahl ausländischer Expats mehr als halbiert. Das neue Gesetz dürfte eine Entsendung nach China nicht attraktiver machen.

Die europäische Handelskammer in Peking kritisierte das Gesetz: "In einer Zeit, in der China proaktiv das Geschäftsvertrauen wiederherstellen will und ausländische Unternehmen anziehen möchte, sendet das Ausreiseverbot ein sehr durchwachsenes Signal", so Kammerpräsident Jörg Wuttke.

Zudem dürfte die ohnehin schon paranoide Atmosphäre, in der Journalistinnen und Journalisten in China arbeiten, noch weiter verstärkt werden. Schon seit einigen Jahren ist es selbst bei harmlosen Themen immer schwieriger geworden, Gesprächspartner zu finden, die unter vollem Namen mit Medien sprechen. Für chinesische Professoren und Wissenschafter ist ein Interview mit ausländischen Korrespondenten mittlerweile ein Sicherheitsrisiko geworden. (Philipp Mattheis, 3.5.2023)