Wer auch immer den Kreml in nächtlicher Stunde angeflogen hat: Das Drohnenflugverbot in der Umgebung des russischen Präsidentensitzes hat diese Person jedenfalls ignoriert.

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Die Videos sind kurz, sehen an und für sich nicht übermäßig spektakulär aus und ihr Inhalt ist aus Sicht des Kremls zunächst eher peinlich: Sie zeigen, wie mindestens ein Flugobjekt vor nächtlichem Himmel über ein Kuppeldach im Kreml fliegt. Dann ist eine Explosion zu sehen, auf dem Dach brennt ein kleines Feuer. Stundenlang war der angebliche Angriff, den offenbar mehrere Menschen gefilmt hatten, kein Thema.

Dann aber, zu Mittwochmittag, folgte eine Meldung aus der russischen Regierung: "Ukrainische Terroristen" hätten versucht, mit zwei Drohnen Präsident Wladimir Putin zu töten. Dies habe durch gezielten Einsatz der Luftabwehr vermieden werden können. Erst nach der Mitteilung wurden in russischen Medien die besagten Videos veröffentlicht: "Wir werten dies als einen geplanten Terrorangriff."

Und, etwas bedrohlicher: Die russische Seite behalte sich das Recht vor, darauf mit Vergeltungsmaßnahmen zu reagieren, wo und wann sie dies für richtig halte. Später sagte der Sprecher des russischen Parlaments, Wjatscheslaw Wolodin, das "Kiewer Regime" müsste angesichts der Aktion "zerstört werden".

Flammen-Emoji gelöscht

Die Ukraine reagierte umgehend auf die Vorwürfe: Ein hoher Vertreter des Landes teilte mit, man habe mit dem Angriff auf den Kreml nichts zu tun. Kurz zuvor hatte der Stabschef von Präsident Wolodymyr Selenkskyj, Andrej Jermak, auf Twitter noch das Emoji-Bild einer Flamme veröffentlicht– und gleich danach wieder gelöscht.

Selenskyj selbst erklärte später, die Ukraine habe "Putin oder Moskau nicht angegriffen. Wir greifen Putin nicht an, wir überlassen das einem Tribunal."

Die wahren Hintergründe blieben damit vorerst im Dunkeln. Zum einen spricht manches gegen die Version des Kremls – nicht zuletzt die Tatsache, dass der Angriff erst Stunden, nachdem er vor mehreren Menschen gefilmt worden war, publik wurde. Außerdem haben die USA und mehrere westliche Verbündete die Ukraine laut Medienberichten in der Vergangenheit mehrfach von Angriffen auf Moskau abgehalten.

Erinnerungen an 1987

Allerdings sind die Bilder, der vom Angriff gezeigt werden, für dem Kreml eher peinlich. Ist Russlands Luftabwehr wirklich so schlecht? Sie erinnern darüber hinaus an Bilder aus dem Jahr 1987. Damals landete der 19-jähirge Deutsche Matthias Rust mit seiner Cessna auf dem Roten Platz – ohne davor von der sowjetischen Abwehr abgefangen worden zu sein. Die Episode gilt als einer der Schlüsselmomente vor dem Fall des Eisernen Vorhangs und als eine Abbildung der sowjetischen militärischen Machtlosigkeit.

Zugleich würde er aber in ein Schema mutmaßlich ukrainischer Angriffe in den vergangenen Tagen passen: Schon zuvor waren mehrere Öldepots, etwa auf der Krim oder nahe der russischen Grenze, in Flammen aufgegangen – auch hier werden Drohnen als Auslöser vermutet.

Warnung vor Reaktion

Zudem sprang in der Region Bryansk, von der aus Teile der russischen Truppen versorgt werden, ein Zug aus den Schienen – Sabotage wird ebenso als Grund vermutet.

Das alles könnten Vorbereitungen auf die angekündigte ukrainische Offensive sein. Wann genau man von deren Beginn sprechen kann, ist ohnehin offen. Der Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, sah am Mittwoch einen fließenden Übergang: Er sagte, er glaube, die Offensive haben schon begonnen. (Manuel Escher, 3.5.2023)