Mehrfach umzäunt und videoüberwacht: Camp Lipa in Bosnien.

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Die Kritik an dem abgelegen in den bosnischen Bergen errichteten Flüchtlingslager Lipa verstummt nicht. Besonderes Misstrauen herrscht gegenüber einer im Camp befindlichen Hafteinheit, die um 500.000 Euro EU-Geld vom International Centre for Migration Policy Development (ICMPD) Hauptsitz in Wien gebaut wurde.

Am Mittwoch meldete sich etwa der für Geflüchtete zuständige bosnische Minister Sevlid Hurtić zu Wort: "Es ist nicht tragbar, dass die Menschen im Lipa-Camp ein Gefängnis haben sollen. Das ist widerlich", sagte er.

Seit Jahren Pushbacks aus Kroatien

Das für bis zu 1.500 Insassen ausgelegte und mit Mitteln der EU und der Europäischen Entwicklungsbank sowie deutschem, Schweizer, italienischem und vatikanischem Geld wiedererrichtete Camp befindet sich unweit der kroatischen Grenze. Dort finden seit mehreren Jahren Pushbacks statt: Menschen, die in der EU um Asyl ersuchen wollen, werden an der Grenze gestoppt und zurückgeschickt, oftmals mit brutalen Mitteln – unter anderem nach Camp Lipa. Pushbacks sind laut internationalem Asylrecht, zu dem die EU sich bekennt, illegal.

Warum braucht es angesichts dessen in Camp Lipa einen Gefängnistrakt? Was ist die Funktion dieser Hafteinheit? Die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic geht nach einem Besuch vor Ort und Gesprächen mit bosnischen Verantwortlichen davon aus, dass die Zellen in Zusammenhang mit europäischen Asylwerber-Abhalteplänen stehen. Auch Camp Lipa als Ganzes stehe für diese Politik der Abdrängung an die EU-Außengrenzen. Petar Rosandić, Sprecher der NGO SOS-Balkanroute, sieht die Zusammenhänge ähnlich.

Schlüssel zum Gefängnis in Wien?

Vorangetrieben worden sei dies unter anderem von Österreich, in Gestalt des ICMPD, sagt Ernst-Dziedzic. Auf die Frage, ob sie die Gefängniscontainer betreten könne, habe ihr der Campleiter gesagt: "Ich habe die Schlüssel nicht. Die befinden sich in Wien."

Laut der Grünen umfasst die Hafteinheit 24 Plätze. Bei ICMPD widerspricht man: Es seien genau zwölf. Auch zum Zweck der Zellen gibt es zwei unterschiedliche Aussagen: "Dort sollen künftig Menschen, die rechtswidrig an der kroatischen EU-Grenze abgewiesen oder aus Serbien nach Bosnien gebracht wurden, für ihre weitere Abschiebung vorbereitet werden", sagt die Politikerin. Die Hafteinheiten würden für "aggressive und gefährliche Migranten" gebraucht, hält der ICMPD-Sprecher dagegen.

Vieles weiterhin unklar

Die in Lipa Inhaftierten würden in der Folge in die Schubhaft in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo gebracht, sagt Ernst-Dziedzic. Ob sie von dort außer Landes gebracht werden, erscheint fraglich: Bosnien hat nur mit einzelnen Ländern Rückführungsvereinbarungen.

Mit Asylpolitik jedoch hat das Camp durchaus zu tun. Ein Sprecher der Europäischen Kommission streitet das auf Befragen des Standard keineswegs ab. Das Lager sei ein Mehrzweckzentrum für Migrantinnen und Migranten, die dort "versorgt und identifiziert" würden, formuliert er es in einer Stellungnahme. "In spezifischen Fällen sind bis zu einer endgültigen Entscheidung über Asyl oder Rückführung auch Freiheitseinschränkungen und Festnahmen möglich", heißt es darin weiter.

Der Gefängnisbereich wiederum sei "in Übereinstimmung mit internationalen Normen entworfen" worden – von ICMPD. Genau so sei es, sagt der dortige Sprecher. Die Sache mit den Schlüsseln für die Haftcontainer stellt er anders als Ernst-Dziedzic dar. Die lägen nicht in Wien, sondern in Sarajevo, "bei unseren dortigen Mitarbeitern". Bei der Eröffnung des Gefängnisses in wenigen Wochen würden sie dem Campleiter überreicht. (Irene Brickner, 4.5.2023)