Mehr als elf Hektar Boden werden in Österreich jeden Tag versiegelt. Das entspricht der Fläche von 16 Fußballplätzen. Dabei wollte die Koalition von ÖVP und Grünen den Bodenverbrauch bis zum Jahr 2030 eigentlich auf täglich 2,5 Hektar senken.

Nun will die Nichtregierungsorganisation Allrise mit einer Klage ein Umdenken in der Politik erzwingen. Am Dienstag reichte man eine sogenannte Staatshaftungsklage gegen die Republik Österreich sowie die Bundesländer Niederösterreich und Oberösterreich ein.

Warnung vor verbauter Zukunft

Die NGO Allrise sieht durch den im EU-Vergleich hohen Bodenverbrauch in Österreich neben ökologischen auch wirtschaftliche Nachteile. "Aktuell spüren wir so deutlich wie schon lange nicht mehr, was es heißt, von Importen abhängig zu sein. Setzen wir dem Bodenverbrauch kein Ende, werden künftig auch unsere Lebensmittel in großem Maße aus dem Ausland kommen müssen", warnte Allrise-Gründer Johannes Wesemann bei einer Pressekonferenz am Donnerstag.

Anwalt und Allrise-Co-Gründer Wolfram Proksch, Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb und Allrise-Leiter Johannes Wesemann (v. li.) bei der Pressekonferenz zur Einreichung der Klage.
Foto: Ulrich Formann

Entscheidung in wenigen Wochen

Seine Organisation begründet die Klage vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit dem individuellen Schaden, der den Einwohnerinnen und Einwohnern Österreichs entsteht – finanziell, aber auch gesundheitlich. "Für gesetzgeberisches Unrecht ist der Verfassungsgerichtshof zuständig", erklärte Anwalt und Allrise-Mitgründer Wolfram Proksch dem STANDARD am Rande der Pressekonferenz.

Dass der VfGH die Klage annimmt, hält er für wahrscheinlich. Aus seiner Sicht könne der Schaden mehr als deutlich belegt werden. In wenigen Wochen sollte feststehen, wie sich der VfGH entscheidet.

Einkaufszentrum in Ansfelden im Bezirk Linz-Land.
Foto: APA/FOTOKERSCHI.AT / KERSCHBAUMMAYR

Fruchtbarer Boden ist CO2-Senke

Unterstützung kommt auch von der Wiener Meteorologin und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. "Der Boden ist unsere Lebensgrundlage, weil dort die Pflanzen, unsere Nahrung, wachsen. Wenn Boden versiegelt wird, fehlt Fläche für die Nahrungsmittelproduktion. Gleichzeitig wird das Ökosystem Boden langfristig zerstört. Denn wenn man die Straße wegreißt, ist der Boden nicht mehr wie vorher", sagt sie dem STANDARD.

Fruchtbarer Boden sei auch ein Speicher für Wasser und CO2. "Wenn wir diesen Boden verbauen, verlieren wir eine CO2-Senke und produzieren mit Straßen oder Einkaufszentren eine langfristige zusätzliche CO2-Quelle."

Hoffnung auf rechtliche Änderungen

Warum in den Gemeinden dennoch laufend weiterer Boden für Straßen und Shoppingcenter versiegelt wird? "Da stehen starke Lobbys dahinter", sagt Kromp-Kolb. "Den Gemeinden werden Arbeitsplätze versprochen, was sich dann oft gar nicht materialisiert. Die Bürgermeister können auch Ausnahmeregelungen bekommen."

Sie unterstütze die Klage, ohne zu wissen, ob sie erfolgreich sein wird, weil sie glaube, das Recht muss an die Herausforderungen des Klimawandels angepasst werden.

Expertenkritik an Bundesregierung

Am Donnerstag übten außerdem gleich 175 Expertinnen und Experten scharfe Kritik an der heimischen Bodenpolitik. In einem offenen Brief an Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) und die Raumplanungsabteilungen in Wien und Tirol monierten sie, dass die von der Politik versprochene "Bodenstrategie für Österreich" seit November in einer finalen Fassung vorliege, aber bisher weder beschlossen noch kommuniziert worden sei.

Ein Bagger bereitet den Boden für die vierspurige Stadtstraße durch das Stadtentwicklungsgebiet am Hausfeld.
Foto: Karl Schöndorfer

In Niederösterreich wurden im Jahr 2020 übrigens Tag für Tag 2,5 Hektar versiegelt, in Oberösterreich waren es 2,2 Hektar, besagen Zahlen des Umweltbundesamtes. Auch wenn Allrise in seiner Klage aktuell nur diese beiden Bundesländer anführt, sehe man auch bei den anderen sieben Ländern klare Versäumnisse und schließe nicht aus, diese zu einem späteren Zeitpunkt zu klagen, sagt Anwalt Proksch.

Lösungsvorschläge

Lösungsansätze sind laut Allrise unter anderem eine eingegrenzte Widmungskompetenz der Gemeinden inklusive Siedlungsgrenzen und ein nationales Raumordnungsprogramm, das festlegt, dass in Zukunft eine Netto-Null-Flächeninanspruchnahme stattzufinden hat. Außerdem fordert man eine Revitalisierung von Leerständen sowie den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes.

Proksch kennt man hierzulande durch sein Sterbehilfe-Verfahren vor dem VfGH, das zu einer gesetzlichen Neuregelung führte, unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist, einer Person beim Suizid Hilfe zu leisten. Die Organisation Allrise hat bereits Schlagzeilen mit einer Anzeige gegen den damaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gemacht. Dabei ging es um die Abholzung des Amazonas-Regenwalds. (Lukas Kapeller, Alicia Prager, 4.5.2023)