Wien – Nicht einmal 20 Minuten braucht Richter Hartwig Handsur, um im Prozess gegen Martin Sellner zu einem Urteil zu kommen. Die Staatsanwältin wirft dem 34-Jährigen das Vergehen der Verhetzung vor, nachdem er am 7. Dezember auf seinem von 59.700 Fans verfolgten Kanal im Kurzmitteilungsprogramm Telegram ein umstrittenes Posting veröffentlicht hat. Der ehemalige Sprecher der österreichischen Identitären, einer extrem rechten Gruppierung, schrieb in Reaktion auf einen Bericht zu den Razzien gegen mutmaßliche Reichsbürger in Deutschland und Österreich: "Putsch? Von wegen" und "Von jedem Asylheim geht derzeit mehr Gefahr für unsere Kinder aus als von den Reichsbürgern".

Martin Sellner im Gerichtssaal. 
Der 34-jährige Angeklagte Martin Sellner zeigte sich vor Verhandlungsbeginn recht entspannt.
APA/GEORG HOCHMUTH

Während die Anklägerin den Tatbestand erfüllt sieht, pocht Verteidiger Bernhard Lehofer auf das Recht auf freie Meinungsäußerung. Sein Mandant habe bewusst von "Asylheim" und nicht "Asylanten" geschrieben, um dem Vorwurf einer pauschalen Herabsetzung einer Gruppe zu entgehen. Welche konkrete Gefahr für Kinder von einem nicht einsturzgefährdeten Gebäude ausgehen sollte, führt der Rechtsvertreter nicht näher aus.

Schriftliche Stellungnahme im Vorfeld

Auch der bei Kundgebungen und Aktionen stets durchaus eloquente Sellner ist nicht recht gesprächig. Der unbescholtene Selbstständige hat im Vorfeld eine schriftliche Stellungnahme abgegeben und beruft sich vor Gericht auf diese. Dass er die inkriminierte Botschaft aber verfasst habe, gesteht er im Saal voller Sympathisanten und Medienvertreterinnen unumwunden zu.

Richter Handsur verliest dann aber auch die vollständige Nachricht. Zwischen der ersten und zweiten angeklagten Passage nimmt Sellner nämlich auf den mutmaßlichen Angriff eines Eritreers Bezug, der in der deutschen Gemeinde Illerkirchberg zwei Mädchen attackiert und dabei eine 14-Jährige getötet haben soll. Die Razzien würden "Illerkirchberg aus den Schlagzeilen verdrängen", monierte der Angeklagte. "Wo liegt der Konnex?", will der Richter von Sellner wissen. "Die Presse hat diesen Razzien mehr Aufmerksamkeit geschenkt", ist der Angeklagte überzeugt. Der dann kurz ins Stocken gerät. Er erklärt, die Sicherheit der Bürger werde ignoriert im "Deutschen R... " – Pause – "Gebiet".

Bewusste Entscheidung des Angeklagten

Er habe aber ganz bewusst "Asylheim" und nicht "Asylwerber" geschrieben, wiederholt der Angeklagte. Er behaupte "selbstverständlich auch nicht, dass von der gesamten Gruppe" Gefahr ausgehe. Die Staatsanwältin zeigt sich in ihrem Schlussvortrag dennoch überzeugt: "In Hinsicht auf die Adressaten ist von einer Pauschalierung auszugehen." Der Verteidiger kontert: Es handle sich um legitime "Medienkritik".

Handsur sieht das auch so und spricht Sellner nicht rechtskräftig frei. "Es geht um die Frage, ob der Tatbestand erfüllt ist. Dafür ist eine definierte Gruppe notwendig", begründet der Richter. Das sei in diesem Fall nicht der Fall, meint er, außerdem finde kein Aufstacheln zu Hass und keine Herabwürdigung oder Verächtlichmachung statt. Er zitiert aus der ständigen Rechtsprechung, wonach darunter beispielsweise Vergleiche mit "Insekten", die "vertilgt" gehören, fallen würden. (red, 4.5.2023)