Dianne Feinstein (in Türkis) und Joe Biden (in Schwarz) bei einer Gesetzesunterzeichnung 2021.

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14. Februar 2023, Washington: US-Senatorin Dianne Feinstein wird auf dem Gang des US-Kongresses zu ihrem Entschluss befragt, nach Ende ihrer Amtszeit 2024 nicht erneut zu kandidieren. Kurz zuvor hatte sie diesen via Twitter verkündet. "Ich habe diese Entscheidung noch nicht getroffen", sagt sie Reportern, dann geht ein Mitglied ihres Stabs dazwischen. "Wir haben das Statement veröffentlicht", sagt er. "Ihr habt das Statement veröffentlicht? Das habe ich nicht gewusst", gibt Feinstein zur Antwort.

Ein kommunikatives Missverständnis, vielleicht – wäre Feinstein nicht Minuten vorher schon einmal die gleiche Frage gestellt worden. Die 89-jährige US-Senatorin, die ihren eigenen Rücktritt vergessen hat und der seit Jahren der Ruf voranschreitender Demenz anhängt: Es ist das Bild, das in den folgenden Wochen für vieles in Washington stehen wird – für die alternde Klasse von Politikerinnen und Politikern in Washington, die mit lang über ihre Lebenszeit hinausreichenden Folgen über Themen wie künstliche Intelligenz und Umweltfragen entscheiden sollen.

An dem Umgang mit Feinsteins unglücklichen Auftritt lässt sich aber auch ablesen, was dem Land womöglich droht, wenn im kommenden Wahlkampf Präsident Joe Biden, dann 81, und Ex-Präsident Donald Trump, dann 78, aufeinandertreffen. Ihr Fall ist aber auch ein Sinnbild für das persönliche Dilemma früherer Stars der US-Politik, die sich zu spät von ihren Jobs trennen. Oder, noch schlimmer, dies nicht tun.

Gläserne Decken gesprengt

Denn jahrzehntelang galt Feinstein als eine der führenden Stimmen im Chor gemäßigter Demokraten, als Vorbildfigur vor allem für liberale Frauen in der Politik. Es gibt kaum eine Glasdecke, die sie nicht durchbrochen hätte: Als sie 1978 Nachfolgerin des ermordeten Bürgermeisters von San Francisco, George Moscone, wird, dauert ihr Aufstieg in der Stadtpolitik schon mehr als ein Jahrzehnt an. 1992 wird sie als erste Frau zur Senatorin Kaliforniens gewählt, in ein Gremium, in dem damals insgesamt nur vier der hundert Volksvertreter Frauen sind. Im Senat gilt sie als besonders scharfer Geist mit klarem Blick für Details, sie steigt in mehreren Ausschüssen in Führungsrollen auf. 2012 gelingt ihr mit 7,86 Millionen Stimmen (62,5 Prozent) die Wiederwahl Bis heute hat kein Senator und keine Senatorin in den USA je wieder so viele Stimmen erhalten.

Ihren persönlichen Zenit hat sie da womöglich schon überschritten. Seit Mitte der 2010er-Jahre verfolgen sie Geschichten, über zunehmende, aber anfangs noch sporadische Vergesslichkeit – die seit einem Artikel im "New Yorker" 2020 auch öffentlich diskutiert werden und denen Feinstein bei ihren wenigen öffentlichen Auftritten stets beharrlich entgegentrat. Gegen sie sprachen Videoclips, die sie etwa dabei zeigen, wie sie im Senat mehrfach die gleiche Frage wiederholt, und eine Grabrede, in der sie zwar scherzte und die Anwesenden begrüßte, aber nicht auf die Verstorbene zu sprechen kam. Nun aber kommen körperliche Probleme dazu. Seit Ende Februar war sie nicht mehr in Washington, laut Auskunft ihres Teams kuriert sie zu Hause in Kalifornien einen akuten Anfall einer Gürtelrose aus.

Außer Dienst im Amt bis 2024?

Damit fällt sie für Abstimmungen im Senat aus, wo die Demokraten aber auch ohne Feinstein eine knappe 50-zu-49-Mehrheit genießen. Nicht so jedoch in einem anderen Gremium, das derzeit womöglich wichtiger ist: im Justizausschuss, der für Richterbestellungen zuständig ist. Diese sind in den USA mittlerweile ein hoch politisierter Prozess, ohne Feinstein steht es in dem Ausschuss aber zehn zu zehn. Die Folge: Seit Wochen können die Demokraten keine neuen Richter bestellen. Das ist dramatisch, denn angesichts der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus ist der Gesetzgebungsprozess weitgehend blockiert. Die lebenslangen Bestellungen möglichst vieler liberaler Richterinnen und Richter sind also der einzige echte Trumpf, den die Demokraten aus der Kombination von Präsidentenamt und Senatsmehrheit derzeit ziehen können. Oder eben: könnten.

Der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, stellt für kommende Woche Feinsteins Rückkehr nach Washington in Aussicht. Er sei diesbezüglich "hoffnungsfroh", teilte er Mittwoch mit. Allerdings: Ähnliches hat er bereits vor einigen Wochen einmal gesagt. Die Plattform "Politico" berichtete jüngst unter Berufung auf Vertraute Feinsteins, die Senatorin sei schwer mitgenommen. Ob sie vor Ende ihrer Amtszeit noch einmal nach Washington zurückkehren könne, sei nicht sicher. Das wäre freilich, sollte sie nicht zurücktreten, für die Demokraten der politische GAU. Vor allem, weil die Republikaner ein Angebot Feinsteins, sich vorübergehend vertreten zu lassen, ablehnen: Sie wollen die demokratischen Richterbestellungen ja möglichst verhindern.

Der Ältestenrat

Auch abseits dieser Konstellation wird in den USA nun aber wieder eifrig über Altersfragen in der Politik diskutiert. Feinsteins kalifornische Kollegin aus dem Repräsentantenhaus etwa, Nancy Pelosi (83), bekannt für ihren anhaltend scharfen Verstand, betont bei mehreren Gelegenheiten, sie halte die Debatte nicht nur für "ageistic", sondern auch für sexistisch geführt. Sie und die ihren verweisen auf eine Reihe männlicher Senatoren, die ebenfalls nicht mehr Herren ihrer Sinne waren, ihre Karrieren aber in Würde beendeten: der Rassist und einstige demokratische Präsidentschaftskandidat Strom Thurmond etwa, der 2003 im Alter von 100 Jahren das Zeitliche segnete, nachdem er 2001 als republikanischer Senator South Carolinas in Pension gegangen war. Oder der Demokrat Robert Byrd aus West Virginia, einst Mitglied des Ku-Klux-Klans, der nach 51 Amtsjahren 2010 im Amt verblich. Nicht zuletzt verweist der Name der Institution auf den Wert, der Lebenserfahrung zugemessen wird: Senat – der Ältestenrat.

Allerdings: Selbst wenn es auch früher schon alte Senatoren gab – insgesamt war die politische Kaste der USA noch nie so alt wie jetzt. 65,3 Jahre zählen die Senatorinnen und Senatoren im Schnitt. Das gilt auch in den USA, wo starre Pensionsalter selten sind, als ungewöhnlich. Die Hürden für eine Absetzung sind aus guten politischen Gründen hoch. Zwei Drittel aller Abgeordneten können einen Kollegen aus dem Amt bugsieren. Passiert ist das bisher fast nur während der Zeit des Bürgerkriegs. Diskutiert wird daher unter anderem über ein Maximalalter – immerhin gibt es ja auch eine Untergrenze von 30 Jahren, unter der man nicht in das Gremium gewählt werden kann, und eines von 35 Jahren für die Präsidentschaft.

Das allerdings würde ganz eigene Fragen aufwerfen – immerhin gibt es ja noch immer die Mehrheit jener älteren Menschen, die ihren fordernden politischen Job mit Bravour erledigen. Und nicht zuletzt: den Wählerwillen. Der gilt übrigens auch im Fall Feinstein. Das Mandat, das ihr 2018 rund 54 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Kalifornien erteilt haben, läuft bis 2024. Die Entscheidung, es vorzeitig zu beenden, liegt bei ihr. (Manuel Escher, 5.5.2023)