Der 97-jährige Stanisław Zalewski zeigt die Häftlingsnummer, die ihm im KZ Auschwitz-Birkenau auf den Oberarm tätowiert wurde.

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Stanisław Zalewski ist einer der letzten Zeitzeugen eines Konzentrationslagers, das in Vergessenheit geraten ist. Lange Zeit vernachlässigte es die Republik Österreich, für das frühere KZ im oberösterreichischen Gusen Orte und Möglichkeiten der Erinnerung zu schaffen.

Nun soll sich das ändern: Am Donnerstagabend gedenken die Spitzen der Republik am Appellplatz des ehemaligen Mühlviertler KZs der Häftlinge. Diese wurden am 5. Mai 1945 durch die US-Armee befreit. Auch der Überlebende Zalewski war als Ehrengast geladen, am Freitag will er erneut zu einer dortigen Veranstaltung kommen. 545 Tage hielten die Nationalsozialisten Zalewski in Gusen gefangen. Er hatte sich am polnischen Widerstand 1943 beteiligt und wurde daraufhin festgenommen. Über das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau landete er schließlich in Mauthausen und weiter in Gusen.

Ungläubigkeit

Es ist nicht das erste Mal, dass er nun dorthin zurückkehrte. Als der 97-Jährige erstmals nach seiner Befreiung Gusen besuchte, habe ihn sein Sohn gefragt, wo all die Bauten seien, von denen er berichtet hatte. "Er fragte mich, wo das Krematorium sei, wo der Bergkristall (Tarnname eines unterirdischen Flugzeugwerks, Anm.)", erzählt Zalewski im Vorfeld auf Polnisch, begleitet von einem Übersetzer. "Wir waren inmitten von einer schönen Siedlung mit Einfamilienhäusern. Mein Sohn fragte mich, ob ich die Wahrheit gesagt habe."

Gusen war während der NS-Zeit zwar offiziell eines von vielen Nebenlagern des KZs Mauthausen. Die Nazis erbauten dort aber mithilfe der Zwangsarbeiter einen geheimen Rüstungsbetrieb. In vielen Kriegsjahren starben dort mehr Häftlinge als in Mauthausen. Zalewski wirft dem österreichischen Staat vor, dass das Gelände nach dem Krieg parzelliert und an Private verkauft wurde. Dadurch verschwand das KZ – und damit die Erinnerung.

Gedenken vernachlässigt

Das Gedenken an das Konzentrationslager wurde in den Jahrzehnten danach verabsäumt, was für massive Kritik im In- und Ausland sorgte. Erst im Vorjahr kaufte die Republik Teile des Areals auf. Nun hielt sie dort zum zweiten Mal eine Gedenkfeier ab. Auf die lange Vernachlässigung will Zalweski nicht näher eingehen, er sei mittlerweile von der Politik und der Kommentierung derselben "geheilt". Jedenfalls wünscht er sich, dass am KZ-Standort künftig die Erfahrungen der Betroffenen nachvollziehbar gemacht werden. Er hofft auf einen Ort, "wo das Bewusstsein übertragen werde, dass es so war, wie es war".

Zu Zalewskis Festnahme während der NS-Zeit kam es aufgrund einer Graffitiaktion seiner Widerstandsgruppe "Kleine Sabotage". Er hatte Wände mit propolnischen Parolen beschmiert und wurde erwischt. In einem Frachtwagen wurde er zunächst nach Auschwitz-Birkenau gebracht, später kam er nach Gusen. Im Vergleich dazu hätte ein Viehwagon "der ersten Klasse entsprochen", berichtet er. "Es gab nur kleine Fenster, wir bekamen zu wenig Luft, keine Vorrichtungen, um Verletzungen zu verhindern." Schon beim Aussteigen waren die Ersten tot. Bei der Fahrt nach Mauthausen seien zwei Gefangene verlorengegangen, weswegen weitere zwei als vermeintliche Fluchthelfer "identifiziert" worden seien.

"Wir wussten nicht, wie damit umgehen"

"Ich wurde Zeuge unfassbarer Ereignisse", erzählt Zalewski. Etwa seien Menschen angekommen, die nicht ahnen konnten, was ihnen bevorstand. Ohne Angst seien sie ins Krematorium geführt worden. "Ausziehen, vergasen, verbrennen. Diese Menschen wussten nicht, was ihnen geschieht. Und wir wussten nicht, wie wir damit umgehen sollen."

Vor seiner Deportation hatte Zalewski als Kfz-Techniker gearbeitet. Für eine Firma, die Fahrzeuge für Nazis herstellte. Diese habe er immer wieder bewusst sabotiert. Wie er das getan habe, "werde ich Ihnen nicht sagen, damit Sie das nicht bei ihren Nachbarn anwenden, die in Ihrer Einfahrt parken", scherzt er.

Skeptiker einladen

Dem aktuellen Antisemitismusbericht des Parlaments zufolge glauben elf Prozent der Gesamtbevölkerung und 40 Prozent der Einwohner mit familiärer Migrationsgeschichte, dass in Berichten über Konzentrationslager "vieles übertrieben dargestellt" werde. Zalweski zufolge müsste man diese Menschen an Orte des Gedenkens einladen, zu sehen und zu erleben, was passiert ist. Man müsse Beweise vorlegen, ohne ideologische Einflüsse.

Kritik übte Zalewski an einer neuen "Virusepidemie" namens "patriotischer Egoismus": "Jeder meint, er hätte recht gehabt und er hätte am meisten gelitten." (Muzayen Al-Youssef, 4.5.2023)