Vor dem Salzburg Congress stehen Menschen und warten. Eine Frau trägt High Heels und raucht. Ein älteres Pärchen läuft Hand in Hand auf den Eingang zu. Vater, Mutter, Tochter stellen sich in die Schlange vor der Tür. Drei junge Männer mit sorgfältig gekämmten Seitenscheiteln und gebügelten Hemden treffen sich vor dem Gebäude.

40 Euro haben sie alle bezahlt, um sich einen Abend lang mit ihren Freundinnen oder Verwandten darüber zu freuen, dass es einen Mann gibt, der sie und eigentlich sowieso alles versteht: Daniele Ganser.

Dass der Schweizer Verschwörungstheoretiker und selbsternannte Friedensforscher Ganser in Salzburg einen Vortrag hält, ist nicht selbstverständlich. In den letzten Monaten bekamen seine Vorträge viel Gegenwind.

In Hannover protestierte ein Bündnis aus verschiedenen Parteien gegen einen Ganser-Vortrag. In Dortmund und Nürnberg wurde Ganser der Auftritt verweigert. In Basel schrieb der Verein "Ukrainer in Basel" einen offenen Brief an Ganser, in dem sie verurteilen, dass er den russischen Angriffskrieg für seine eigene Geschäftstätigkeit nutze. Auch in Innsbruck wurde sein Vortrag abgesagt.

Daniele Ganser bei einem Vortrag zum Krieg in der Ukraine.
Foto: Panama Pictures

Aber heute malen die Salzburger keine Schilder und protestieren mit Megafonen. Das Schloss, herrschaftliche Häuser, die den Fluss säumen: Hier werden keine wütenden offenen Briefe geschrieben; hier ist man zufrieden. Auch der Salzburger Himmel schickt kein Unwetter aus seinen Wolken. Ganser tritt auf.

Die große Verschwörung

Vor einer Woche telefonierte ich mit Johann Peter Schutte. Der hat, eigens um Gansers Vorträge in Österreich zu organisieren, eine Agentur gegründet. Letztes Jahr wollte sich Schutte zum Bundespräsidenten wählen lassen, den Sieg von Alexander Van der Bellen bezeichnet er auf seiner Website als "Betrug". Wir telefonieren, weil er Daniele Ganser vor schlechter Presse schützen will. Er will herausfinden, ob mein Text ein negativer wird.

Schutte wettert über die Presse, die ihn als Verschwörungstheoretiker beschimpfe. Er wünsche sich, dass jemand mal objektiv berichtet. Dazu sage ich nichts.

Auf den Tickets in den Händen der Besucher und auf einem Bildschirm neben der Rolltreppe im Salzburg Congress lächelt Ganser wie ein Familienvater in Kreuzfahrtprospekten.

Der Saal im Salzburg Congress ist ausverkauft.
Foto: Neumayr Fotografie - Christian Leopold

Derselbe Mann, der so zufrieden aussieht und auf jedem Plakat auch seinen Doktortitel präsentiert, verlor drei Lehraufträge an drei Schweizer Universitäten. Die renommierte ETH Zürich entließ ihn 2006, nachdem er in einem Artikel im Schweizer Medium "Tages-Anzeiger" die offizielle Version der Geschehnisse rund um 9/11 leugnete.

Heute leugnet er weiter. Und 1.324 Person im ausverkaufte Europa-Saal des Salzburg Congress hören zu.

Fragen als Methode

"Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?" ist der Titel des Vortrags. Ganser als "Ich frage doch nur"-Verschwörungstheoretiker folgt einem klassischen Schema. Michael Butter, Professor für Amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen, der sich in seiner Forschung mit Verschwörungstheorien beschäftigt, beschreibt im Onlinemagazin "Republik" Gansers Methode als prototypisch für Konspiratisten, die unter dem Vorwand, nur Fragen zu stellen, Verschwörungstheorien präsentieren.

Das funktioniert gut. Ich muss mich durch die Menge im Foyer drängen.

Eine Frau steht am Geländer und blickt suchend auf die Rolltreppe, die hinauf zur Bar im zweiten Obergeschoß führt. Worauf sie sich heute Abend am meisten freue, frage ich sie. "Auf die Persönlichkeit von Herrn Daniele. Ich möchte ihn gerne spüren." Live habe sie ihn noch nie gesehen. Sie kennt ihn aus seinen Videos.

Ganser ist ein Star der Verschwörerszene. 325.000 Abonnentinnen auf Youtube, über 113.000 auf Twitter. Er hat auch eine eigene Community gegründet. Für 365 Euro im Jahr kann man Teil davon sein und Fragen direkt an ihn stellen.

Auf der Tribüne sind in den hinteren Reihen noch Plätze frei. Ich setze mich auf den äußersten Stuhl einer Reihe. Neben mir richtet ein Servus-TV-Kameramann sein Stativ ein. Die Zuschauerinnen schieben sich durch die Reihen, stürzen sich auf die letzten freien Plätze.

Eine Frau aus der Reihe vor mir fragt mich, ob ich ein Foto von ihr und drei Freunden machen könne. Breit grinsend stehen die zwei Frauen und zwei Männer nebeneinander. Hinter ihnen auf der Wand hinter der Bühne begrüßt ein großes, projiziertes Bild von Ganser die Zuschauenden: "Herzlich willkommen! Schön, dass Sie hier sind."

Selbsternannter Schiedsrichter der Geschichte

Ich gebe ihr das Handy zurück: "Was finden Sie so toll an Daniele Ganser?"

"Er ist ein Held unserer Zeit." – "Ein Juwel", ergänzt ein Mann. Er stellt sich als Andreas vor.

Der andere Mann lehnt sich an die Säule neben mir und erzählt von Ganser. Das sei nicht der erste Vortrag, den er von ihm besucht. Er höre Ganser schon länger zu. Warum? Dieser rede über die Dinge, über die sonst niemand redet, zum Beispiel über 9/11.

"Finden Sie das mutig?"

"Ich glaube, er kann nicht anders."

Es habe Jahre gedauert, bis er alles verstanden habe. Dann spricht er über Salzburg und das Herzchakra, über die Neue Weltordnung und Cyborgs.

"Und jetzt geht es uns an den Kragen. Europa wird vernichtet. Der Krieg in der Ukraine ist reine Geldwäsche." Er findet schade, dass ich mich impfen ließ. Impfungen seien nur dazu da, um unser Immunsystem zu destabilisieren.

"Der für mich beste Historiker und Friedensforscher in Europa", heißt der Organisator Daniele Ganser auf der Bühne willkommen.

Der Saal bricht aus in Applaus. Einer der Männer vor mir steht auf.

Eine vergrößerte Aufnahme von Nervenzellen. Gansers weiße Skechers-Turnschuhe leuchten. Er erklärt, wie die Medien die Massen indoktrinieren. Unsere Neuronen werden durch die Medien verknüpft. Er gibt Tipps, wie man diesem "Angstschüren" entkommt: "Glauben Sie nicht alles, was Sie denken." Und: "Gehen Sie in die Natur. Das verknüpft Ihre Neuronen anders."

Während Ganser spricht, dreht sich der Mann vor mir immer wieder um und lächelt mir zu, als würde er Bestätigung suchen.

"Glauben Sie nicht alles, was Sie denken", appelliert Daniele Ganser. Und: "Gehen Sie in die Natur. Das verknüpft Ihre Neuronen anders."
Foto: Panama Pictures

Dann bricht Ganser das Weltgeschehen auf ein einfaches Fußballspiel herunter. Der Schiedsrichter ist er. Er verteilt eine rote Karte an Putin, dafür, dass er in Ukraine einmarschiert ist. An Olaf Scholz wegen der Panzerliefungen an die Ukraine.

Im Laufe des Vortrags bekommen auch Bill Clinton, George W. Bush, Joe Biden, Barack Obama und Wolodymyr Selenskyj die rote Karte für ihren jeweiligen Teil der Schuld, den sie alle am russischen Angriffskrieg tragen – gemäß Ganser.

Kopfschmerzen zum Herzstück

Dann folgen 21 Minuten Pause. "Weil zwanzig Minuten das letzte Mal nicht gereicht haben", erklärt Ganser und erntet Lacher.

"Das war ja jetzt alles Allgemeinwissen", sagt der Mann vor mir.

Neben der Bar stehen die Besucher an Tischen und nippen an ihren Gläsern. Weiter unten unterschreibt Daniele Ganser seine Bücher und macht Selfies mit seinen Fans. Von allen Seiten sind Handys auf ihn gerichtet.

Auf der Rolltreppe frage ich einen Mann, wie er es bisher fand. Er schüttelt meine Hand und stellt sich als Christian vor. Er findet gut, dass Ganser gegen das Angstschüren der Medien vorgeht. Schon während der Corona-Krise. Da habe er angefangen, seine Videos zu schauen.

Nach der Pause startet Ganser in ein Thema, bei dem ihm oft abgeraten werde, darüber zu sprechen. "Sprechen Sie nicht über den Putsch", schildert er die Warnungen. "Und dann mache ich es nochmal." Das ist das Herzstück seines Vortrags. Er erzählt, dass die Maidanrevolution, die 2014 in Kiew stattfand, ein von den USA eingefädelter Putsch gewesen sei. Dass die These eines Putsches längst hinlänglich widerlegt wurde, lässt er aus.

Ich bekomme Kopfschmerzen und finde es ganz passend.

Verschwörerisches Lockmittel

Immer wieder sagt Ganser: "Alle gehören zur Menschheitsfamilie." Oder betont, dass verschiedene Meinungen wichtig sind. Er gibt vor, andere Perspektiven zu respektieren. Das lässt ihn harmlos wirken. Trotzdem empfiehlt er als Antwort auf Kritik: "Nicht glauben, nicht lesen, gehen Sie in die Natur." Oder benennt alternative Medien oder Querdenker-Stars wie Sucharit Bhakdi als seriöse Informationsquellen.

Er lacht darüber, dass er von manchen Verschwörungstheoretiker genannt wird, und gibt seinem Publikum das Gefühl, alles richtig zu machen. Er bestätigt sie in ihrem Wissen und rät ihnen davon ab, den Diskurs zu suchen. So bereitet er den Weg für andere, extremere Verschwörungstheorien. Die "NZZ" beschreibt Ganser in einem Text als "Marihuana der Verschwörungstheoretiker". Mit seiner vermeintlich harmlosen Ideologie führt er Leute überhaupt erst an Verschwörungstheorien heran. Die Angst vor einer neuen Weltordnung und der Vernichtung Europas ist dann nicht mehr weit.

"Bleiben Sie wachsam!", beendet Ganser seinen Vortrag. Der ganze Saal steht auf, Jubel, Klatschen. Ich wünsche dem Mann vor mir einen schönen Abend. Er klopft mir auf die Schulter. Vor dem Büchertisch macht Ganser wieder Selfies. Die Menschen drängen sich um ihren Star, lassen ihre Bücher signieren. Ganser sieht zufrieden aus.

Draußen regnet es. Das Unwetter kommt zu spät. Vor mir strömen die Besucherinnen, unter Regenschirme gekauert, nach Hause, vorbei am ukrainischen Honorarkonsulat eine Straße weiter. (Anna Dreussi, 5.5.2023)