Nicht in jedem Getränk bilden sich Bläschen, die gleichmäßig wie in einer Perlenkette zur Oberfläche aufsteigen.
Foto: Madeline Federle, Colin Sullivan

Oft sind es die nicht perfekten Aspekte, die einer Sache ihre besondere Note verleihen. Das trifft beispielsweise auf das Sektglas zu: Das prickelnde Erlebnis erfordert Unregelmäßigkeiten am Inneren des Glases, sonst bilden sich kaum Kohlensäureblasen. Das können winzige Kratzer sein oder Faserreste des Tuchs, mit dem das Glas getrocknet oder poliert wurde.

Manche Gläser werden eigens mit einem sogenannten Moussierpunkt am Boden des Kelchs hergestellt (vom französischen "mousse" für "Schaum"): kein Produktionsfehler, sondern ein "Keim", an dem die Schaumbläschen entstehen können. Denn nach dem Öffnen einer Sektflasche, die unter Druck steht, will sich das Gas Kohlenstoffdioxid absondern, das bis dahin in der Flüssigkeit gelöst war. Dafür benötigt es einen Anhaltspunkt, an dem Bläschen wachsen und nach oben steigen.

Gerader Weg nach oben

Schaut man genau hin, können sich die Gasblasen unterschiedlich verhalten – je nach Reinigungszustand, Getränk, Druck und anderen Variablen. Einen tiefen Blick ins Glas warf ein Forschungsteam der Brown University in den USA und der Universität Toulouse in Frankreich, um die Vorgänge dabei besser zu verstehen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachmagazin "Physical Review Fluids" veröffentlicht.

Die Gruppe um Ingenieurwissenschafter Roberto Zenit wollte konkret wissen, weshalb die Bläschen in einem Glas Champagner oft einen geradlinigen Weg zur Oberfläche nehmen und eine hübsche Perlenkette bilden, die sich noch dazu für längere Zeit hält. Denn in anderen kohlensäurehaltigen Getränken, einer Limonade beispielsweise, wackeln die Bläschen beim Aufsteigen stärker hin und her.

Tenside im Sekt

Also testete das Team im Labor quasi die Minibar durch, von Sekt über Bier bis hin zu Mineralwasser. Die Becher waren nicht gerade stilecht, aber für die Tests notwendig: Die Fachleute füllten etwa Pellegrino-Wasser, mexikanisches Tecate-Bier und Champagner aus dem Hause Charles de Cazanove in quaderförmige Plastikbehälter. Dann wurden etliche chemische Eigenschaften gemessen, darunter der Radius der Blasen, die Flüssigkeitsdichte und die Fettsäurezusammensetzung, sowie Simulationen durchgeführt.

Es kristallisierte sich ein bedeutsamer Faktor heraus, nämlich die Anwesenheit von Tensiden – oder tensidartigen Bestandteilen – in der Flüssigkeit. Wer dabei den Mund verzieht, tut das berechtigterweise: Tenside sind den meisten vor allem als Spülmittel bekannt. Sie bestehen aus einem Teil, der "wasserliebend" ist, und einem, der Öliges liebt. Deshalb können sie mit etwas Reibung fettigen Schmutz ablösen und einschließen. Diese sogenannten Emulgatoren kommen auch in Lebensmitteln vor, schließlich sollen fettige und wässrige Bestandteile – vom Salat bis zur Schokolade – gut vermengt sein.

Verunreinigungen – "the good stuff"

Das hat mit Blasen im Champagner auf den ersten Blick wenig zu tun. Was Tenside aber auszeichnet, ist, dass sie allgemein die Grenzflächenspannung zwischen zwei Phasen senken, auch zwischen Gasbläschen und Flüssigkeit. Mehr tensidartige Teile sorgen also für ein gleichmäßiges, geradliniges Aufsteigen der Kohlensäureblasen im Glas. Und in Schaumweinen finden sich diese Stoffe häufiger als in Mineralwasser.

Der leitende Autor Roberto Zenit bezeichnet sie zwar als "Kontaminanten", also quasi als Verunreinigungen, aber auch als "the good stuff" im Champagner. "Diese Proteinmoleküle verleihen der Flüssigkeit Geschmack und Einzigartigkeit", sagt Zenit. Seiner Theorie zufolge sind sie auch die Bestandteile, die die Blasenketten stabilisieren. Bei Bieren kommt es übrigens auf die Sorte an, ob entsprechende tensidartige Moleküle vorhanden sind oder nicht.

Warum sich Gasreihen bilden

Auch große Blasen sorgen theoretisch für einen stabileren Aufstieg, in Getränken bleiben sie allerdings sehr klein. Bei kleinen Blasen und wenig Tensiden ist der Weg an die Oberfläche unregelmäßig, weil die aufsteigenden Bläschen kleine Wirbel abgeben, die sie seitlich ablenken und für ein Zickzackmuster sorgen. In tensidhaltigen Flüssigkeiten – oder bei großen Blasen – bilden die entstehenden Wirbel hingegen eine Art Fahrstuhlschacht: Eine Gasblase wird in die Bahn der vorangegangenen Blase gesaugt. Die Kette bleibt relativ stabil.

Am lebensnahen Forschungsgegenstand war der leitende Autor Zenit besonders interessiert. Er beschäftigt sich bevorzugt mit Gasbläschen – und dadurch mit Prozessen, die etwa am Meeresboden an Methanquellen oder in Belüftungstanks bei der Abwasserbehandlung vor sich gehen. Damit sind die meisten Menschen nicht vertraut, kennen aber Limonade, Bier oder Schaumwein aus dem Alltag, sagt Zenit. So wollen er und sein Team "den Menschen begreiflich machen, dass die Mechanik von Flüssigkeiten für ihr tägliches Leben wichtig ist".

Die beste Einschenkmethode

Die Studie erklärt nicht nur ein Alltagsphänomen, sondern könnte auch von praktischem Nutzen sein. So lassen sich etwa für Belüftungsbecken in industriellen Anlagen die Art der auftretenden Blasen besser vorhersagen.

Das Team ist nicht das erste, das sich mit den Naturwissenschaften von Schaumweinen befasst: Vor einigen Jahren erschien eine Studie der Universität Reims (in der Champagne) im "Journal of Agricultural and Food Chemistry", die die beste Einschenkmethode analysierte. Demnach sei es empfehlenswert, das Glas zu neigen und den Sekt langsam auf den Glasrand fließen zu lassen. So sollen Geschmack und Prickeln erhalten bleiben.

Sekt aus dem Weißweinglas

Viele Sektleute sind übrigens weder Fans des klassischen schmalen Sektglases (der Flöte) noch solche der breiten Champagnerschale. Die Aromen entfalten sich besser in einem hohen, aber bauchigeren Glas, etwa einem Weißweinglas, das gleichzeitig keine zu große Fläche liefert und damit ein rasches "Ausrauchen" verhindert.

Denn einmal an der Oberfläche angekommen, explodieren die Bläschen und bilden kurzzeitig winzige Springbrunnen. Mit ihren Tröpfchen bringen sie Aromastoffe als Aerosole in die Luft, bis in eine Höhe von ungefähr 20 Zentimetern über dem Glas. Die Minifontänen kann man auch auf Nasenspitze und Lippen spüren: durch das Auftreffen auf der Haut, aber auch, weil die winzigen Tröpfchen, die allmählich in den Gaszustand übergehen, der Haut Wärmeenergie entziehen. So nehmen wir sie als kühlend wahr, wie Wasser, das nach einer Schwimmrunde auf unserer Haut bleibt und mit der Zeit verdunstet. (Julia Sica, 7.5.2023)