Früh im Spiel erhält Link zusätzliche Fertigkeiten, die das Abenteuer abwechslungsreicher, aber auch fordernder machen.

Foto: Nintendo, Screenshot

Wagen wir ein gemeinsames Experiment? Ich schreibe diese Zeilen nach nur wenigen Stunden im Spiel "The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom". Nach 20 Jahren Spiele testen traue ich mir zu, dennoch eine gute Einschätzung machen zu können. Danach spiele ich noch weiter und prüfe, ob ich inhaltliche Ungenauigkeiten ausbessern muss. Wichtig ist für mich nämlich, dass man als Wartender auf das neue "Zelda"-Game vor allem eines erleben kann: Überraschungen.

Wird "Tears of Kingdom" den gigantischen Erwartungen gerecht? Wir haben es angespielt.
DER STANDARD

Und ich verspreche euch, ich werde euch diese wunderbaren Überraschungen, die das Spiel zu bieten hat, mit diesem Text nicht nehmen. Denn um die Antwort auf meine Überschrift jetzt schon zu geben: "Zelda: Tears of the Kingdom" wird für viele das Spiel des Jahres werden.

Atem der Wildnis

Im März 2017 erschien mit "Breath of the Wild" das erste "Zelda", das ich von Anfang bis Ende durchgespielt habe. Es war ein anderes "Zelda", habe ich von Freunden und Bekannten erfahren. Anders, als die unzähligen Teile, die seit 1986 für diverse Nintendo-Plattformen erschienen sind. Im Gegensatz zu den zahlreichen 2D-Teilen und auch späteren 3D-Ausflügen hat mich "Zelda" damals am richtigen Fuß erwischt und es war tatsächlich das erste Mal, dass ich mit einer mobilen Konsole sogar in der Wiener U-Bahn gefahren bin, weil ich die Switch nicht aus der Hand legen wollte.

Das Erkunden der offenen Welt, die vielen Mini-Aufgaben versteckt in Schreinen und die durchaus ansprechende Optik ergaben ein wohlig schmeckendes Abenteuer, für die damals noch frische Nintendo Switch.

Mit "Tears of the Kingdom" erscheint nun rund sechs Jahre später der offizielle Nachfolger. Wie man aus den Trailern weiß, schlüpft man erneut in sich regelmäßig wechselnde Kluft von Serien-Held Link und irgendwie spielt auch Prinzessin Zelda wieder eine Rolle. Ohne auch nur mit einer Silbe mehr in Richtung Handlung zu verraten, was die Inszenierung und die Dichte an Story betrifft, kann Zelda meiner Meinung nach nicht mit den großen Kalibern der Branche mithalten.

Während das Intro noch gekonnt düster gehalten wird und der neuen Bedrohung ein Gesicht gibt, wechselt das Spiel schnell wieder in eine sehr kindliche Inszenierung der Figuren. Das Herumhampeln vieler Charaktere und die etwas künstlich mystisch inszenierte Handlung im späteren Verlauf, sind nicht der Grund, warum ich persönlich ins Geschehen gezogen werde. Seine wahren Stärken zeigt das Spiel, wenn es den Entdeckerdrang der Joypadakrobaten hinter der Switch anstachelt. Man wird in eine Welt entlassen, die man erkunden will – und das in und auf mehreren Ebenen.

Früh im Spiel lernen wir den Umgang mit der Fähigkeit, Fahrzeuge und andere Dinge zu bauen, um uns in der Welt fortzubewegen.
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Baumeister Link

Ebenfalls nicht entgangen wird vielen unserer Leser sein, dass Link diesmal über besondere Fähigkeiten verfügt, die ihn zum Beispiel Fahrzeuge zusammenbauen lassen. Einen Pferdewagen, ein kleines Floß oder auch einen Segelflieger – mit ein paar Bewegungen und den richtigen Materialien überbrückt man die Welt Hyrule nicht nur zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes, sondern mithilfe selbstgebauter Fahrzeuge. Das ist oftmals fummelig, aber funktioniert im Großen und Ganzen so gut, dass man gerade zu Beginn des Spiels animiert ist, Dinge auszuprobieren. Später setzt viel mehr die Routine ein, aber sei es dem Spiel verziehen. Wir reden hier von mehreren hundert Stunden, die man mit Link verbringen kann. Wiederholung lässt sich da nur schwer vermeiden.

Der Bastelaspekt ist aber nur eine Fähigkeit, zu der sich früh im Spiel noch weitere hinzufügen. In über Link platzierte Stein- und Holzbauten kann man sich magisch hinauf- und hindurchziehen, was ganz neue Möglichkeiten der Fortbewegung ermöglicht und den horizontalen Aspekt des Spiels – neben den zahlreichen Flugmöglichkeiten – betont. Dann ist da noch das Verschmelzen von Dingen, um beispielsweise mit bestimmten Materialien Waffen zu verstärken. Diese verursachen dann nicht nur mehr Schaden, sie halten auch länger im Gebrauch. Ja, Waffen zerbrechen wieder. Egal ob Bögen, Schilde oder Schwerter – wie im Vorgänger ist man ständig am Suchen neuer Verteidigungs- und Angriffsmittel. Irgendwie habe ich gehofft, dieser Aspekt würde aus der Serie verschwinden, aber Nintendo hat sich anders entschieden.

Das nervt bis zu einem gewissen Grad, auch wenn man durch das Verstärken der Waffen deren Haltbarkeit spürbar verlängern kann. Außerdem findet man in der Regel ausreichend Material, um nie nackt durch die Gegend laufen zu müssen. Apropos nackt. Gewänder, die entweder schick aussehen oder einen Zusatznutzen haben, findet man im Spiel bei Händlern oder auch in Kisten. Das ist auch dringend nötig, denn neben einer besseren Verteidigung, will man beim Erklimmen eines schneebedeckten Berges nicht ständig scharfe Chilis einwerfen, um nicht zu erfrieren. Kochen ist und bleibt trotzdem integraler Bestandteil des Spiels.

Immer wieder findet man sich vor einer Kochstelle, um dort Fleischstücke oder Äpfel mit Zutaten zu mischen, die Bonuseffekte gewähren. Das ist vor allem sinnvoll, um sich vor den fordernden Kämpfen mit ausreichend Stärkungen auszustatten. Sei es, um die Lebensherzen im Kampf schnell wieder aufzufüllen oder auch die Angriffskraft zu erhöhen. Die geringe Ausdauer des kleinen Link ist in diesem Teil der Serie dank diverser Hilfen – Stichwort Türme und Deckensprung – nicht mehr so ein regelmäßiges Problem wie noch im Vorgänger.

Schreine sind über die ganze Weltkarte verteilt und zwingen die Spielerinnen dazu, sich mit den Möglichkeiten des Spiels intensiv auseinanderzusetzen.
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Alte Bekannte

Hat man den Vorgänger "Breath of the Wild" gespielt, ist "Tears of the Kingdom" eine Aneinanderreihung von Déjà-vus. Egal ob Soundkulisse, das Bewegen durch die Welt oder auch die unzähligen Schreine, die wieder mit immer komplexer werdenden Rätseln aufwarten – viel im Spiel hat man vor sechs Jahren in sehr ähnlicher Form schon erlebt. An Neuerungen fehlt es dann aber doch nicht. Abgesehen von den neuen Fähigkeiten und vor allem den Basteleinlagen, gibt es noch mehr in der Welt zu entdecken, das sich als Kochzutat oder Bastelelement empfiehlt. Hätte Nintendo dem auch noch mit einem übersichtlicheren Inventar Rechnung getragen, das Leben als Link wäre noch einen Deut einfacher.

Auf andere Komfortfeatures hat Nintendo dann aber doch nicht vergessen. So gibt es nun mehr Teleporter auf der Welt, mit denen man komfortabel – wenn auch nicht ganz ohne Ladezeiten – schnell reisen kann. Auch wird die Haupt-Quest diesmal stringenter erzählt und führt die Person am Joypad sehr geradlinig von Punkt A nach Punkt B. Wer sich in der Welt verlieren will – und das werden viele wollen – kann dies aber natürlich trotzdem machen. In Ställen, wo man erneut das eigene Pferd unterstellen kann, gibt es zudem Treuepunkte, die man später gegen Boni eintauschen kann.

Es gibt wieder Händler auf der Straße, die diversen Kleinkram kaufen und verkaufen, es gibt an jeder Ecke der Welt eine kleine Höhle zu entdecken und Wegelagerer fragen gelegentlich nach Hilfe. Neue Taschenplätze werden wieder mit Krogsamen verdient, mehr Lebensherzen oder auch Ausdauer gibt es für das Lösen von Schreinen. So kommt man in einen Strudel von Aufgaben, der im Ansatz schon fast als Abarbeiten empfunden werden kann. Aber dann ist da eben dieser Nintendo-Feenstaub, der sich in den Poren dieses Spiels wiederfindet. So erwischt man sich regelmäßig bei dem Satz, dass man noch über diesen einen Berg schauen will oder noch diesen einen Schrein lösen möchte, um dann ganz sicher ins Bett zu gehen. Man tut es nicht.

Alte Bekannte und neue Wesen trifft man verstreut über die einzelnen Ebenen. Die Textboxen werden dabei meist nur von diversen Grunzlauten untermalt.
Foto: Nintendo, Screenshot

Nicht ohne Fehler

Neben vielen positiven Begegnungen erlebt Link natürlich auch eine Vielzahl an Widersachern, die sich in allen Farmen und Formen präsentieren. Gekämpft wird wie im Vorgänger mit den bereits erwähnten Waffen. Ausweichmanöver und das aktive Blocken helfen zusätzlich, wenn besonders große Brocken warten. Gezielte Schüsse in Kopf und Augen haben immer wieder für den Spieler positive Effekte, etwa, dass ein größeres Wesen kurz benommen ist. Um Pfeile mit Zusatzfunktionen auszustatten, kann man während des Bogenschießens ins Inventar schalten, was die Zeit stoppt und dann Brand-, Bomben- oder Rauchpfeile erlaubt, sofern man die Zutaten im Rucksack hat. Das ist für größere Auseinandersetzungen fast unerlässlich, da Link gerade zu Beginn des Spiels nur wenige Treffer einstecken kann.

Während man die Pfeile im Kampf selbst verstärken muss, sollte man Schlagwaffen schon vorab mit einem Bonus verstärken. Zwischen hinschlagen und ausweichen ein zusätzliches Metall ans Schwert kleben, ist eher stressig. Warum man all diese Verbesserungen nicht zu jedem Zeitpunkt komfortabel im Inventar lösen kann, bleibt ein Rätsel. Vor allem deshalb, da mit Superfähigkeiten, mehreren Waffen und den natürlichen Aktions-Möglichkeiten bereits jede Taste des Joypads belegt ist und so Spielerinnen zu jederzeit fordert. Da versucht die kindliche Aufmachung und diese eben mannigfaltige Steuerung einen Spagat, den ich so nicht ganz nachvollziehen kann.

Wir bewegen uns über und auf Hyrule. Das ergibt immer wieder wunderschöne Momente, in denen man gerne verharrt.
Foto: Nintendo, Screenshot

Sound of Music

Kommen wir zum letzten Punkt – der Präsentation. Viele hatten gehofft oder zumindest vermutet, das neue "Zelda" würde möglicherweise eine neue Hardware-Generation bei Nintendo einläuten. Eine Switch Pro sozusagen. Es ist anders gekommen und so muss das Open-World-Game mit der betagten Hardware auskommen, die seit sechs Jahren brav ihren Dienst verrichtet. Das funktioniert überraschend gut und so freut man sich auch diesmal über einen sich richtig nass anfühlenden Regen, kleinen Hauchwölkchen im Kalten und einem enormen Weitblick.

Dennoch kommt das Spiel gelegentlich ins Stottern, speziell wenn sich viel am Bildschirm tut, man von weit oben auf die Welt zufliegt oder man gerade durch einen Baum mit vielen Blättern klettert. Das hat so gut wie nie wirklich spieleinschränkende Auswirkungen, aber Puristen werden hier lautstark die Nase rümpfen. Auch was den Sound angeht überrascht der japanische Hersteller nur wenig. Sounds und Musikstücke sind größtenteils bekannt. Während die gelegentlichen Zwischensequenzen mit Sprachausgabe in mehreren Sprachen, darunter auch Deutsch, unterlegt sind, brabbeln und keuchen die Figuren im Spiel den Rest der Zeit komische Laute aus ihrem Hals. Beim x-ten "Hmmm" oder "Aaaaah", wenn man sich gerade zu einem storyrelevanten Thema unterhält, wünscht man sich dann doch entweder komplette Vertonung oder völliges Schweigen.

Kleidung ist nicht nur eine optische Abwechslung, sondern bringt meistens auch Zusatz-Boni mit sich.
Foto: Nintendo, Screenshot

Zeit nehmen

Wie bereits angedeutet, wurde für diesen Test nur ein kleiner Teil des Spiels entdeckt. Auch nach Spielstunden im niedrigen zweistelligen Bereich versucht man sich noch immer in der riesigen Welt zu orientieren, findet Dinge, die es bisher nicht gab und bemerkt die steigende Komplexität der Schreine. Immerhin der Umgang mit dem Purah-Pad, aus dem Vorgänger in ähnlicher Form als Sheikah Slate bekannt, ist man wieder auf Du und Du, markiert dort interessante Punkte und deckt so immer weitere Teile der Karte auf.

Langsam erkennt man auch die gefundenen Gegenstände im Inventar immer besser und verkürzt so die am Anfang häufigen Suchwege. Irgendwie stellt sich in vielen Dingen Routine ein, der Ärger über manche Designentscheidungen bleibt und trotzdem kommt man nach einer kurzen Pause gern zurück, weil man noch über den einen Berg schauen will und den einen Schrein meistern möchte.

"Zelda: Tears of the Kingdom" erscheint am 12. Mai 2023 exklusiv auf Nintendo Switch. Die empfohlene Altersfreigabe liegt bei 12 Jahren, der Preis bei rund 70 Euro. Die Downloadgröße beträgt rund 16 Gigabyte.

Das Testmuster wurde dem STANDARD von Nintendo zur Verfügung gestellt.

Der Ausdauerbalken sollte immer im Auge behalten werden, speziell wenn man sich in luftigen Höhen befindet.
Foto: Nintendo, Screenshot

Fazit

Wenn ich das neue "Zelda" starte, fühle ich mich von einem mit viel Liebe designten Videospiel umarmt. Auch wenn die Welt ihre Garstigkeiten bereithält, die bezaubernde Musik und der dank des Vorgängers vertraute Umgang mit der Welt ließen mich schon nach wenigen Stunden so tief in diese zu einem gewissen Teil bekannte Welt sinken, dass ich kaum noch aus ihr heraus wollte.

Klar, ich könnte hier ein paar Dinge aufzählen, die mich in all diesen Stunden auch massiv genervt haben. Das Basteln von Fahrzeugen fühlt sich oftmals fummelig an, auch wenn später eine Autobau-Funktion Abhilfe schafft, das Nicht-vorbereiten-Können von Pfeilen mit bestimmten Fähigkeiten mag sicher dem einen oder anderen Nintendo-Mitarbeiter als kluge Idee zugunsten der Dynamik vorgekommen sein – mich nervte es die meiste Zeit.

Auch technisch ist man natürlich aufgrund der in die Jahre gekommenen Hardware limitiert, aber auf der anderen Seite geht es in Videospielen am Ende weniger um die Auflösung oder die Framerate, sondern primär um die Emotionen, die ich beim Erleben der Welt empfinde. Diese pendeln sich bei "Tears of the Kingdom" vor allem im grünen Bereich ein, jenen Gefühlen, die Wohlbefinden bei mir altem Gamer auslösen. Das neue "Zelda" ist nicht fehlerlos, aber es ist ein wunderbares Spiel, das mich als Spieler am Joypad fordert und gleichzeitig belohnt.

Ich bin sehr sicher, dass dieser "Zelda"-Teil alle Menschen glücklich machen wird, die schon den Vorgänger mochten. Aufgrund mancher Design-Entscheidungen vielleicht sogar ein paar Menschen mehr. "Tears of the Kingdom" ist eine inhaltliche Überraschungsbox mit viel Charme. Danke, Nintendo. Ich bin wieder zu Hause. (Alexander Amon, 11.5.2023)