Die Spanne zweier Steinwürfe verbindet das Natur- mit dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Zwischen beiden thront, ihrer Kinder ebenso entbunden wie ihrer Regierungspflicht, die Kaiserin Maria Theresia. Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf, Schöpfer des Theaterprojekts Ganymed, haben expandiert: Eine unsichtbare Brücke soll die Kluft zwischen den beiden zentralen Schausammlungen Wiens überwinden. Zwei Alphörner (Martin Ptak und Georg Schrattenholzer) stehen aufgepflanzt vor dem Denkmal der hohen Frau und tönen sonor in den Abendwind.
Lange nach Betriebsschluss wimmelt es in beiden Häusern wie in einem Bienenstock. An alle Besucher des Doppelkunstparcours Ganymed Bridge werden zügig Klappsessel ausgehändigt. Gruppen ziehen, streng nach Farbe unterschieden, durch die Saalfluchten, Parkettböden knarren mürrisch.
Gerinnselbildung
Wer rasch von Entschluss ist, darf vor einem von gezählten zwölf Performern sein Stühlchen aufschlagen. Man kann dem darstellenden, häufig auch nur musizierenden Personal erwartungsvoll ins Antlitz blicken. Rasch kommt es zu Gerinnselbildungen. Im Naturhistorischen Museum stehen die Schaukästen derart dicht, dass man von der Benützung des Sitzes öfter absieht. Zudem hindern Museumswärter am Abweichen vom Trampelpfad.
Schwerer fällt es, von einem Generalthema zu sprechen, einem Bogen, der beide Sammelstätten überwölbt. Wiederum hat man eine Anzahl verdienter Autorinnen und Autoren mit Textaufträgen bedacht. Aller Augenmerk liegt auf den tierischen Aspekten der Schöpfung: Martin Pollack zum Beispiel führt ein inniges Zwiegespräch mit einem toten Marder. Schauspieler Christian Nickel gibt den Rezitator als wunderlichen Kauz, der auf die unzähligen Präparate rings um sich verweist. Er habe sich, als passionierter Forscher, ein "bescheidenes naturwissenschaftliches Kabinett" eingerichtet.
Mondfisch und Cello
Sammeln, Präparieren, Kategorisieren: Auf der NHM-Seite zu dem Spektakel dominiert der Positivismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Das zeitigt somnambule Ergebnisse, wenn zum Beispiel Lukas Lauermann unter dem Präparat eines Mondfischs das Cello streicht.
Zu anderer Gelegenheit wird man Zeuge szenischen Nestbaus. Manaho Shimokawa kündet, nur von einem Hemdchen bedeckt, matt zerfließend von den Freuden eines gefiederten "Zurück zur Natur" (Text: Liliya Burdinskaja). Bizarr der Auftritt der kubanischen Zwillinge Mercedes und Miriam Vargas: Die beiden lassen auf den Spuren japanischer Riesenspinnen ihr Langhaar wallen. In solchen Augenblicken fühlt man sich unangenehm an den Budenzauber alter Jahrmärkte erinnert.
Hang zur Bestialität
Insgesamt konziser die kunsthistorische Spektakelseite – auch wenn man mit Fortdauer des Abends die Pfeilrichtung des Leitsystems unweigerlich aus den Augen verliert. Franz Schuhs Abhandlung über Brueghels Vogelfalle nimmt des Menschen Begabung zur Bestialität, getarnt durch Biedersinn, scharfsinnig in den Blick. Grischka Voss mimt ein allerliebstes Einhorn (in einem Jargonmix von Teresa Präauer). Herzzerreißend die Abschiedssymphonie eines Rudels Hunde, die, auf sich allein gestellt, in einer von Menschen verwaisten Zone zu Wildtieren mutieren.
Mara Romei agiert in Sichtweite von Jan Fyts Früchte und Geflügel mit Jagdhund, um den Hals trägt sie den wundreibenden Strick kultureller Abrichtung. Geschrieben hat das famos-wehmütige Requiem auf die Vierbeiner Milena Michiko Flašar.
Zum Ausklang des Abends – der subversive Gesang der "Strottern" hallt störrisch nach – stellt man sich die Frage: Was hat es mit Ganymed Bridge auf sich? Die Antwort darauf geben nicht die Klappstühle, eher die allseits gezückten iPhones. Gereicht werden Häppchen, und man muss nicht alle genossen haben, um dennoch nicht auf den Geschmack gekommen zu sein.
Problematisch bleibt ein Parcours, dessen Ansichtssachen nach dem Ausmaß ihrer Exotik sortiert worden sind. Auch der Tiergarten Schönbrunn wurde 1752 eröffnet: unter der Regentschaft Maria Theresias. (Ronald Pohl, 7.5.2023)