Die Unabhängige Ukraine-Untersuchungskommission hat der Uno-Menschenrechtsrat im Vorjahr ins Leben gerufen.

Foto: United Nations Human Rights Council

Als Moskau jüngst Kiew beschuldigt hat, es mit einem Drohnenangriff auf Präsident Wladimir Putin abgesehen zu haben, ließ das Dementi der Ukrainer nicht lange auf sich warten: Das überlasse man lieber dem Kriegsverbrechertribunal, konterte Präsident Wolodymyr Selenskyj sinngemäß, der sich da gerade auf dem Weg nach Den Haag befand, um dort den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu besichtigten und die Errichtung eines Sondertribunals gegen Russland zu fordern.

Doch es wird noch lange dauern, bis die russische Führungsriege für Kriegsverbrechen in der Ukraine (etwa die Deportation von Kindern) vor Gericht landet – wenn es überhaupt je so weit kommt. Der IStGH hat zwar bereits einen Haftbefehl gegen Putin ausgesprochen, der gilt aber nicht als aussichtsreich. Indes konzentrieren sich die ukrainischen Gerichte statt auf die Befehlshaber auf russische Kämpfer. Laut Kiewer Staatsanwaltschaft sind bisher rund 85.000 Fälle von Kriegsverbrechen (Angriffe auf Zivilisten, Folter, Vergewaltigung etc.) bekannt. Doch das vor Gericht nachzuweisen ist keine einfache Sache. Immerhin braucht es für eine Verurteilung handfeste Beweise.

Während internationale Ermittler aus Frankreich und anderen EU-Ländern Kiew unter die Arme greifen, um alle physischen Belege, Videos und Zeugenberichte so zu protokollieren und zu verwahren, dass sie auch in Zukunft vor Gericht standhalten, gibt es in Wien ein Team von 22 Uno-Ermittlern, das ebenfalls Ermittlungen durchführt.

Gegen Moskaus Willen

Es handelt sich hierbei um die sogenannte Unabhängige Ukraine-Untersuchungskommission, die der Uno-Menschenrechtsrat gegen den Willen Moskaus im Vorjahr ins Leben gerufen hat und die ihren Sitz in der Uno-City im 22. Bezirk hat. Sie dokumentiert unter der Leitung des norwegischen Richters Erik Møse (einst Präsident des Ruanda-Tribunals) alle Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverstöße in der Ukraine – egal, von welcher Seite sie verübt wurden, und präsentiert ihre Ergebnisse jährlich der UN-Vollversammlung, dem Menschenrechtsrat und damit auch der Öffentlichkeit.

Ihre Bilanz fiel bisher eindeutig aus: Während auf ukrainischer Seite zwar auch einige Verstöße im Zuge der bisher zehn Vorortuntersuchungen festgestellt wurden, sei die überwältigende Anzahl mutmaßlicher Kriegsverbrechen vonseiten der russischen Streitkräfte verübt worden. Die Kommission stützt sich dabei auf hunderte Interviews mit Opfern und Augenzeugen (mehrheitlich Frauen) und eigens verifizierte Videos und Fotos. Sie steht auch in regem Kontakt mit den Anklägern in Den Haag und in Kiew, sollte das Material vor Gericht gebraucht werden. (Flora Mory, 8.5.2023)