Ein historisches Spektakel, das seine Wurzeln im 11. Jahrhundert hat, fand am Wochenende in London statt.

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Am Sonntag hatte auch der Himmel ein Einsehen. Immerhin hingen nur aufgelockerte Wolken am hellblauen Himmel über London und Südengland.

So konnten all jene in Ruhe gemeinsam feiern, die sich auf Initiative des britischen Königshauses zum "Big Lunch" trafen. Und die 20.000 Eintrittskartenbesitzer für das abendliche Krönungskonzert im Schlosspark zu Windsor mussten nicht die Regencapes herausziehen.

Wie anders die Szenerie am Samstag. Da schien es, als werde Charles Philip Arthur George, seit September als Charles III. Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland sowie 14 weiterer Staaten rund um den Globus, seiner vielbewunderten Mutter nacheifern. Auch die damals blutjunge Elizabeth II. war im Juni 1953 im kühlen englischen Regen zu ihrer Krönung in die Westminster Abbey gefahren.

VIDEO: Die wichtigsten Momente von Charles' Krönung.
DER STANDARD

Weltweites TV-Spektakel

Jene Zehntausenden von Schaulustigen, die teils seit mehreren Tagen in der Londoner Innenstadt campiert hatten, ließen sich die Laune nicht verderben. Goldene Kutsche, Kürassiere hoch zu Ross, tausende Soldaten – all das gab die Fernsehbilder ab, die man von Gelegenheiten royaler Prachtentfaltung gewohnt ist. Der Glamour aber sollte nicht davon ablenken, worum es am Samstag vor allem ging: einen auf jahrhundertealten Traditionen beruhenden Gottesdienst, der den 74-jährigen Monarchen in die Reihe alter biblischer Könige stellt.

Wer dem zweistündigen Geschehen in der Westminster Abbey zusah, mag erhebende Musik und anrührende Bilder im Gedächtnis behalten haben. Für viele wird der Moment entscheidend gewesen sein, als der Erzbischof von Canterbury dem 74-Jährigen die Edwardskrone aufs Haupt drückte und wie ein Hutmacher nachprüfte, ob das ungewohnte Teil auch ordentlich saß. Dass Justin Welby anschließend wie ein Einpeitscher im Fußballstadion "God save the King" rief, woraufhin der Slogan tausendfach zurückschallte – das hatte natürlich höchsten theatralischen Wert.

Wenig Zweifel aber bestehen bei Kennern der königlichen Seele, dass für Charles der vorhergegangene Vorgang viel wichtiger war: die Salbung durch den Erzbischof. Diese zentrale religiöse Handlung wurde hinter etwas albern bemalten Stellwänden zelebriert und damit vor den Fernsehzuschauern verborgen.

Charles nimmt Glauben ernst

Wie seine im September verstorbene Mutter nimmt auch König Charles seinen Glauben sehr ernst. In den Tagen nach der Amtsübernahme sprach er stets davon, er sei zu seiner Aufgabe "berufen". Wie für Elizabeth ist auch für deren Sohn das Leben als Monarch nicht lediglich eine Position, die ihm von Sterblichen übertragen wurde.

Dabei könnten die Briten kirchenferner, ja religionskritischer kaum sein. Bei der Volkszählung vor zwei Jahren identifizierten sich gerade noch 46,2 Prozent der Untertanen Ihrer und nunmehr Seiner frommen Majestät als Christen, weniger als eine Million Menschen gehen einigermaßen regelmäßig zur anglikanischen Messe, bei den Katholiken sind es nur unwesentlich mehr. Der Rolle des Kirchenoberhaupts hat sich Charles längst gebeugt. Der christlich-anglikanische Festgottesdienst versuchte aber doch, die anderen christlichen Strömungen sowie Angehörige anderer Religionen einzubeziehen. Premierminister Rishi Sunak, ein gläubiger Hindu, verlas die Epistel aus dem Kolosserbrief des Paulus. Eine Jüdin, ein Muslim und ein Sikh, sämtlich Angehörige des Oberhauses, durften royale Insignien bringen.

Breiter verteilte Rollen

Auch Frauen spielten eine zentrale Rolle. So las die Bischöfin von London aus dem Lukas-Evangelium. Penelope Mordaunt, im normalen Leben konservative Ministerin für das Gesetzgebungsprogramm der Regierung im Unterhaus, erhielt Bewunderung für die stoische Ruhe, mit der sie das 3,6 Kilo schwere Staatsschwert in Gleichgewicht hielt.

Wie nervös viele der Beteiligten waren, zeigte sich in der Tatsache, dass fast alle ihre kurzen Einlassungen von eigens angefertigten Spickzetteln ablasen. Das galt im Fall des Erzbischofs auch für einfachste religiöse Formeln, die eigentlich jeder Geistliche im Schlaf hersagen kann.

Auf ausdrücklichen Wunsch des Königs hatte sich der legendäre Dirigent John Eliot Gardiner – die beiden kennen einander als Schafzüchter – um die Musik des Tages gekümmert. Dementsprechend bekamen die frühen Gäste Auszüge aus dem Magnificat und der Kantate Singet dem Herrn von Johann Sebastian Bach zu hören.

Die britische Monarchie hat freilich nicht nur Fans. In London – hier am Trafalgar Square – protestierten zahlreiche Menschen.
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Hingegen beeindruckte das Gospelensemble Himmelfahrtschor mit einer Neuinterpretation des Halleluja. Nahtlos fügte sich auch der byzantinische Sprechgesang in das Geschehen. Charles hatte sich die Musik aus der Liturgie der griechisch-orthodoxen Kirche gewünscht zur Erinnerung an seinen Vater Philip, der 1921 als Prinz von Griechenland zur Welt gekommen war.

Festnahmen bei Demos

Für Unmut sorgte nur die Festnahme mehrerer Monarchiegegner. Insgesamt hatte die Londoner Polizei 52 Menschen festgenommen – nach Angaben von Aktivisten oft ohne Begründung. Die konservative Regierung hatte das Demonstrationsrecht kürzlich erneut verschärft, nun reicht der Polizei ein Verdacht, dass es zu erheblichen Störungen kommen könnte, als Anlass für Festnahmen.

Reibungslos verlief hingegen am Nachmittag der Auftritt der Königsfamilie auf dem Balkon des Buckingham-Palastes. Zu besichtigen waren die sogenannten "working royals" sowie deren Kinder und Enkel. Weder der abtrünnige Charles-Sohn Harry noch Charles’ Skandal-Bruder Andrew waren geladen.

Der König hat versprochen, er wolle die Institution verschlanken. Das wird schon aus biologischen Gründen gelingen: Viele der noch aktiven Royals, etwa zwei Cousins der verstorbenen Queen, haben die 70-Jahr-Grenze bereits überschritten und dürften sich demnächst in den Ruhestand zurückziehen. Hingegen wartet auf Charles, 74, und Camilla 75, viel Arbeit – ganz egal, wie gut oder schlecht das Wetter wird. (Sebastian Borger aus London, 7.5.2023)