Das Schicksal der Kastanienallee 12 am Prenzlauer Berg in Berlin galt als besiegelt. Als die fast hundertjährige Besitzerin des Gründerzeit-Ensembles mit 55 Wohnungen und Ateliers starb, erbten ihre Söhne nicht nur die Immobilie, sondern auch die Schulden.

Die Transparente hängen noch in der Kastanienallee 12.
Foto: VWBF

Die rund 100 Mieter hatten im Kiez miterlebt, wie der Immobilienmarkt funktioniert. Sie ahnten: Ein Investor würde früher oder später vor den vier hintereinanderstehenden Häusern mit abgeblätterter Fassade, verwucherten Hinterhöfen und Graffiti an den Wänden stehen. Dann würden diese entmietet – so nennt es die Branche, wenn man seine Mieterinnen und Mieter loswird –, saniert und zu noch mehr Geld gemacht.

Leistbare Wohnungen fehlen

Wohnen ist in Berlin zum Luxusgut geworden. Insgesamt fehlen zehntausende Wohnungen. Gebaut wird seit Jahren zu wenig, das liegt am starken Zuzug, aber auch an langsamen Behörden und mächtigen Bezirken, die immer wieder Bauprojekte zu verhindern wissen. Ein Problem ist auch, dass kommunale, preisgedeckelte Bestände abverkauft wurden. Die Wohnungsgemeinnützigkeit wurde in Deutschland 1989 überhaupt abgeschafft.

Und doch spielen Genossenschaften in Berlin eine Rolle. In der Kastanienallee 12, K12 genannt, sind die Transparente noch da: "Geld hat keinen Charakter", hängt zum Beispiel über einem Durchgang. Es sind Überbleibsel der letzten Jahre, in denen die Mieterinnen und Mieter des Hauses um ihr Verbleiben im Kiez und gegen den Verkauf des Hauses gekämpft haben.

Drei Jahre lang kämpften die Mieter um ihr Haus.
Foto: Zoidl

Letztendlich konnten sie die Eigentümer überzeugen, das Haus nicht zum Höchstpreis zu verhökern, sondern an die Genossenschaft Selbstbau zu verkaufen und damit dem überhitzten Immobilienmarkt zu entziehen. Drei Jahre haben die Gespräche gedauert, erzählt Jarmila Dürholt. Die Familie der Mittzwanzigerin lebt seit vier Generationen hier. Dürholt wurde zu so etwas wie dem Gesicht von K12 und ist Vorsitzende des Hausvereins. Ein "emotionaler Kampf" seien die letzten Jahre gewesen, aber, wie sie betont, gezeichnet von gegenseitigem Verständnis.

Jetzt kommt die Sanierung

Für mehr als sechs Millionen Euro wurde das Haus im Dezember verkauft, mehr als 550.000 Euro mussten die Mieterinnen und Mieter selbst aufstellen. "Fast alle", sagt Peter Weber, Vorstand der Genossenschaft, hätten einer freiwilligen Mieterhöhung auf vier Euro pro Quadratmeter – von zuvor 2,5 Euro – zugestimmt. Die Gewerbeflächen wurden von einer Schweizer Stiftung gekauft, die zwei Millionen Euro als Instandhaltungsdarlehen gegeben hat. Gefördert wird das Haus auch durch Landesmittel.

Und jetzt? Zum Durchatmen ist keine Zeit. "Wir wussten immer, dass es zwei Prozesse sind", sagt Dürholt. Nun sei der erste geschafft. Als Nächstes geht es darum, die Sanierung zu stemmen. Denn in den dunklen Gängen und auf den abgetretenen Treppen im Stiegenhaus weht noch der Geist der DDR. Derzeit werden die Wohnungen teils noch mit Kohleöfen geheizt, die WCs sind auf dem Gang, die mintgrüne Farbe im Stiegenhaus blättert ab. "Wenn eine Partei oben nicht heizt, frieren die Rohre zu", sagt Dürholt.

Jetzt kommt die Sanierung

"Wir sind überzeugt, dass uns das auch wieder gelingen wird", sagt Peter Weber von der Genossenschaft über die anstehende Sanierung. Vieles hänge nun von der Gesetzgebung und den Fördermöglichkeiten ab: Das Gebäudeenergiegesetz wurde vor kurzem geändert. Neue Heizungen müssen ab 2024 zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Einen Fernwärmeanschluss gibt es in der Gegend nicht, "wir werden also eine Insellösung brauchen", sagt Weber.

Nun müssen die Substandard-Häuser renoviert werden.

Er hat Erfahrung mit Problemhäusern: Webers Genossenschaft hat mehrere Häuser in Berlin angekauft. In den letzten Jahren hat sich großer Widerstand gegen die Spekulation mit dem Wohnraum in Berlin geregt. Die Initiative "Deutsche Wohnen enteignen" sammelte bei einem Volksentscheid 2021 mehr als eine Million Stimmen.

Mit der Forderung treffe man aber die falschen, sagt Klaus Mindrup, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, denn die ganz Großen würden sich eher an die Regeln halten. Ein weitaus größeres Problem seien kleine Anleger auf der Suche nach schnellem Geld – und Menschen, die am Mietmarkt nicht fündig werden, daher selbst eine vermietete Wohnung kaufen und für diese dann Eigenbedarf anmelden. Tausende Mietwohnungen würden dem Markt so pro Jahr verloren gehen.

Blick nach Wien

Immer wieder schaut man von Berlin daher neidvoll nach Wien, wo die Preise zwar auch gestiegen sind, die Situation aber dennoch eine andere ist. Ein Grund dafür ist der stärkere soziale Wohnbau, war man sich beim Verein für Wohnbauförderung (VWBF), der die Exkursion nach Berlin organisiert hat, einig. Eine Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit hat sich auch die deutsche Regierung vorgenommen, im Juni sollen erste Eckpunkte präsentiert werden. "Die Wohnungskrise wird sich weiter zuspitzen", sagt Mindrup, dadurch werde mehr politischer Druck erzeugt.

Die Möglichkeit, dass Genossenschaften Mieterinnen und Mietern wie in der Berliner Kastanienallee unter die Arme greifen, gäbe es rein theoretisch auch in Österreich. "Wir haben bis in die 2000er-Jahre Pro blemhäuser der Stadt angekauft und saniert", sagt VWBF-Obmann Michael Gehbauer. "Diese Problemhäuser gibt es heute nicht mehr."

In der Kastanienallee 12 läuft nun die Bestandsaufnahme des Hauses. "Die Arbeit fängt jetzt erst an", sagt Jarmila Dürholt. Die Stimmung in der Hausgemeinschaft sei gemischt. "Es fällt uns auch schwer, dass unser Dornröschenschlaf jetzt vorbei ist", sagt sie. "Es ist eine spannende Sache, diese neue Zeit anzunehmen." (Franziska Zoidl aus Berlin, 14.5.2023)