Wer mittags kurz schläft statt sich müde durch den Nachmittag zu quälen, bringt unterm Strich mehr weiter.

Foto: Getty Images/iStockphoto/PeopleImages

Jetzt mal unter uns: Machen Sie, wenn Sie von zu Hause aus arbeiten, hin und wieder ein kurzes Nickerchen in der Mittagspause? Ja? Keine Angst, Sie sind längst nicht allein. Je nach Umfrage bekennen sich zwischen 30 und 50 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zum Power-Nap im Homeoffice. Und das sind noch Zahlen von vor der Pandemie, mittlerweile dürfte die mittägliche Siesta also noch weit mehr Fans haben. Gut so – und bloß kein schlechtes Gewissen haben, finden Schlafforscherinnen und Schlafforscher. Denn ein Mittagsschlaf macht uns zufriedener, kreativer und produktiver, das zeigen zahlreiche Studien.

Dösen nach der inneren Uhr

Etwa sieben Stunden nach dem Aufwachen haben wir einen Tiefpunkt. Das ist bei den meisten Menschen zwischen 12 und 14 Uhr. Bei Nachteulen, die spät schlafen gehen und dementsprechend morgens länger schlafen, kann das aber auch erst zwischen 15 und 16 Uhr sein.

Im Idealfall timt man – wenn es das Arbeitsumfeld erlaubt – die Mittagspause und den Power-Nap nach dieser inneren Uhr, rät Schlafcoachin Melanie Pesendorfer: "Der Moment, wenn einem nach dem Essen fast die Augen zufallen, ist der perfekte Zeitpunkt für ein Schläfchen." In der Schlafforschung ist das der Beginn eines sogenannten Schlaffensters, und viele kennen vielleicht das frustrierende Gefühl, wenn man ein ebensolches übertaucht: Erst fühlt man sich total müde, möchte dann aber noch rasch etwas erledigen, bevor man sich hinlegt. Und wenn man dann Zeit hat fürs Schläfchen, ist man plötzlich gar nicht mehr müde. "Es dauert dann etwa 90 Minuten bis zum nächsten hormonellen Schlaffenster", erklärt Pesendorfer.

Nicht länger als 30 Minuten

Ab diesem Zeitpunkt der Schläfrigkeit sollte man sich etwa eine halbe Stunde nehmen für das ideale Power-Nap: "Augen schließen, fünf Minuten zum Runterfahren, danach zehn bis 20 Minuten zum Dösen und zum Schluss noch fünf Minuten, um wieder zu sich zu kommen", sagt die Expertin. Zwar ist auch tiefenentspanntes Wachsein erholsam für unser Gehirn, im besten Fall schläft man allerdings tatsächlich kurz ein. Beim Einschlafen wird nämlich das Hormon Somatropin vom Gehirn in die Blutbahn freigesetzt. Dieses Wachstumshormon regt Regenerationsprozesse in Zellen und Gewebe an. Dadurch fördert es einerseits die Wundheilung und unterstützt andererseits die Gehirnfunktion und das Gedächtnis. Es geht also weniger um die Länge des Schlafs als um das Einschlafen an sich.

Jedenfalls – und das ist laut Expertin die wichtigste Regel – sollte das Ganze nicht länger als 30 Minuten dauern. "Sonst besteht die Gefahr, dass man in eine Tiefschlafphase kommt, und wenn man aus einer solchen geweckt wird, ist man noch viel desorientierter als vor dem Schlaf. Es dauert irrsinnig lange, bis man wieder leistungsfähig wird." Das liegt daran, dass der Körper mit dem Wechsel in den Tiefschlaf bestimmte Stoffwechsel- und Regenerationsprozesse in Gang setzt. Können die dann nicht abgeschlossen werden, verstellt das quasi unsere innere Uhr und wir sind verwirrt.

Kaffee vorm Nappen

Wer gerne Kaffee trinkt, dem empfiehlt Pesendorfer die "Nappuccino"-Methode, also noch vor dem Power-Nap einen Kaffee zu trinken, weil Koffein erst nach etwa 30 Minuten im Körper wirkt: "So entfaltet das Koffein genau dann seine Wirkung, wenn man wieder aufwacht."

Aber unabhängig davon, ob man zuvor Kaffee getrunken hat oder nicht, wird man danach die positiven Effekte eines Mittagsschlafs spüren: Kognitive Leistung, Konzentration und Kreativität sind bis zwei Stunden nach dem Aufwachen deutlich besser als vor dem Nap, belegt eine Studie. Es ist also oft viel sinnvoller, sich nach dem Mittagessen kurz hinzulegen, anstatt sich müde durch den Arbeitsnachmittag zu quälen – man bringt dann in der kürzeren Zeit mehr weiter.

Schlafen in zwei Phasen

Der Mittagsschlaf hat übrigens eine lange Geschichte. Über Jahrhunderte haben Menschen biphasisch geschlafen, sie verteilten zwei Hauptschlafzeiten und ein Nickerchen über die 24 Stunden. Durch historische Aufzeichnungen weiß man, dass die Menschen im Mittelalter meist kurz nach Sonnenuntergang ins Bett gingen und nach einigen Stunden, um Mitternacht herum, wieder aufwachten. Dann folgte eine längere Wachphase, die für alle möglichen Aktivitäten genutzt wurde: Gebete, Stricken, Gespräche, Vergnügen. Für gewöhnlich dauerte dieser Abschnitt einige Stunden lang. Dann folgte eine zweite Schlafphase, der sogenannte Morgenschlaf. Dieser dauerte meist bis zum Morgengrauen, wenn die Menschen durch das Tageslicht wach wurden und dann ihrer Arbeit nachgingen.

Mittags wurde dann meist ein Nickerchen eingelegt, um sich von schwerer körperlicher Arbeit zu regenerieren. "Der Mensch schläft erst seit circa 150 Jahren in der Nacht durch", erklärt Pesendorfer. Mit Beginn der Industrialisierung wurde nämlich der Tagesrhythmus an die Arbeitsschichten angepasst hin zu dem, wie ihn die meisten heute kennen: acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf. Aber eigentlich wäre ein biphasisches Schlaf-Nap-Verhalten viel besser im Einklang mit dem menschlichen Biorhythmus, glaubt Pesendorfer, und plädiert für die Rückkehr des Mittagsschlaferls. (Magdalena Pötsch, 10.5.2023)